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Digital posten, analog lesen. #Booktok gilt der Buchbranche auch in dieser Saison als Versprechen

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Ich hab’s sofort gefühlt: „Buchmessse goes #BookTok“

Leipzig will erklären, wie man mit Young-Adult-Literatur auf TikToks Buchkanal allen Seiten mehr Umsatz verschafft

Von Gregor Dotzauer

Noch einmal so lesen, als würde man gar nicht lesen. In Romane eintauchen, als gäbe es zwischen dem eigenen Leben und dem der Figuren nicht die mehr oder weniger durchsichtige Wand der Fiktion. Man könnte fast neidisch werden, wenn man BookTokerinnen von ihren Verschmelzungserfahrungen mit den neuesten Romantasy-Büchern schwärmen hört: Im derzeit erfolgreichsten Genre des Young-Adult-Sektors kreuzen sich Happy-End-Romanze und Fantasy auf schaurige oder mythologische Weise.

Ich fand’s mega. Ich hab’s sofort gefühlt. Ich habe stundenlang nur geflennt. So geht das in einem fort. Zehn Bücher in einer Minute, aus dem nach Farben geordneten Regal geholt und in die Kamera gehalten, manchmal auch mit dem gegenteiligen Bekenntnis: Ich hab’s nicht gefühlt. Wer will da nach Gründen fragen?

#BookTok, jene weltweit mit schwer zu beziffernden zweistelligen Milliarden von Buchclips gefütterte Ecke der Kurzvideo-Plattform TikTok, gilt noch immer als größte Hoffnung einer Branche auf dem Weg zur verloren geglaubten Generation Z. Von #bookstagram, dem entsprechenden Kanal von Instagram, spricht derzeit kein Mensch. Wenn Verlage nicht einschlägige Imprints gegründet haben wie Rowohlt mit Kyss oder Bastei Lübbe mit Lyx, wo Sarah Sprinz, die 27-jährige Prinzessin der deutschen New-Adult-Literatur erscheint, verfügen sie wie Kiepenheuer & Witsch oder dtv eigene #BookTok-Kanäle. dtv verlegt auch die „Queen of Love“ des Genres, die im Selfpublishing groß gewordene Amerikanerin Colleen Hoover.

Für eine Buchmesse, die seit jeher Kulturelles und Geschäftliches verbindet, ist es eine Pflicht, solchen Veränderungen nachzuspüren. So legt Leipzig im Anschluss an Frankfurt unter dem Motto „Buchmesse goes #BookTok“ nun einen eigenen Schwerpunkt auf. In mehreren Veranstaltungen gibt unter anderem die Buchhandelskette Thalia Auskunft, wie sich die Umsätze steigern lassen. Autorinnen und Autoren bekommen in einem Workshop Nachhilfe, wie sie sich selbst am besten vermarkten. Und TikToks Deutschlandchef Tobias Hennig, vormals bei Springer für das Digitalgeschäft von „Bild“ und „Welt“ zuständig, gibt über mögliche Synergieeffekte aus seiner Perspektive Auskunft.

Neue Bewusstseinsindustrie

Man kann die einmal aus der Fan-Fiction rund um Filme und Computerspiele geborenen Titel, um die es dabei geht, unschwer den Formeln und Mustern der Trivialliteratur zurechnen. Als solche lässt sie sich als Schulung in Klischees verteidigen, die schließlich zu erwachseneren Lektüren führt - oder mit dem Recht auf Lust an der Regression. Das Phänomen hat deshalb aber eine neue Qualität gewonnen, weil es analoge und digitale Welt, individuelle Identifikationsbedürfnisse und internationale Konzerninteressen in einem Maß verschränkt, dass man glatt von einer neuen Bewusstseinsindustrie sprechen könnte.

Wie sollte man außerdem von dieser Form des Eskapismus sprechen, ohne zugleich an die Triggerwarnungen zu denken, mit der Leser vor wirklichkeitsnäheren Fiktionen gewarnt werden (wollen)? Was hat die Gefühligkeit von Romantasy mit dem „sensitivity reading“ zu tun, das eigens eingesetzte Lektorinnen Manuskripten angedeihen lassen, um diskriminierende Sprache zu verhindern? Und was garantiert, dass #BookToker, zu denen neben Teenagern längst auch studierte Mittzwanziger gehören, ihr auf Selbstbestätigung gerichtetes Lesen nicht auf journalistische Texte übertragen?

Schreckliche Redundanz

Jenseits aller sprachlichen und inhaltlichen Versatzstücke, die etwa Sarah Sprinz in ihrer „Dunbridge Academy“-Trilogie benutzt, ist ihr Erzählen von einer himmelschreienden Redundanz, die kein Lektorat getilgt hat – vielleicht weil sie schnelles oberflächliches Lesen erst ermöglicht.

TikTok, derzeit wohl das soziale Medium mit dem größten Suchtpotenzial, versteht sich aber auch auf andere Literatur. Neben #poetrytok widmet es sich einmal sogar Goethes Trauerspiel „Stella“. Bookmeee aus Berlin verrät: „Normalerweise mag ich Goethe nicht. Aber das hier ist sehr leicht zu lesen. Zack-zack-zack. Goethe-Klassiker. Boombayah!“

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