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Symbol für die Varusschlacht. Die eiserne Maske eines Gesichtshelms eines römischen Legionär. Die Maske wurde 1990 bei Kalkriese gefunden.

©  Friso Gentsch/dpa

Kultur: Feldherr zwischen Verrat und Genialität

Vor 2000 Jahren schlug Arminius die Römer in Germanien – am Sonntag stellt Ralf-Peter Märtin sein Buch „Die Varusschlacht. Rom und die Germanen“ vor

Herr Märtin, vor 2000 Jahren schlug ein Cheruskerfürst mit Namen Arminius im sogenannten Germanien drei römische Legionen vernichtend. Hat dieses als Varusschlacht bekannt gewordene Ereignis heute überhaupt noch eine Bedeutung außer für Geschichtsstudenten oder historisch Interessierte?

Diese Varusschlacht ist ein Teil unserer Vorgeschichte. Denn die Ergebnisse dieser Schlacht haben die weitere Entwicklung der Welt zwischen Rhein und Elbe maßgeblich beeinflusst. Wenn die Schlacht nicht so unglücklich für die Römer verlaufen wäre, dann hätte sich der, ich nenne ihn jetzt mal so, römische Way of Life bis an die Elbe verbreitet.

Das klingt ja fast so, als wäre es besser gewesen, Arminius und seine Verbündeten hätten die Schlacht verloren?

Als Arminius die Römer aus Norddeutschland vertrieben hatte, wurden die betreffenden Teile Germaniens von der positiven Wirtschaftsentwicklung, die durch den römischen Einfluss am Rhein einsetzte, abgeschnitten. Der Sieg des Arminius über die Römer hatte mittelfristig dazu geführt, dass es den Germanen in Norddeutschland schlechter ging, als ihren Stammesgenossen am Rhein.

Immerhin hatten die Germanen unter Arminius ihre gerühmte Freiheit verteidigt und dem römischen Expansionsbestrebungen vorläufig einen Riegel vorgeschoben.

Das ist eine schöne Vorstellung des 19. Jahrhunderts, dass die Römer nach dieser Niederlage sofort den Kopf in den Sand gesteckt hätten. Anstelle der drei vernichteten Legionen hat Rom sofort sechs neue aufgestellt. Das deute ich nicht gerade als ein Zeichen dafür, dass man sich geschlagen hinter den Rhein zurückziehen wollte.

Und die Freiheit?

Was diese berühmte Freiheit betrifft, ist auch das sehr differenziert zu betrachten und zu fragen, was Freiheit zu dieser Zeit überhaupt bedeutet haben kann. Im Grunde ist dieser Freiheitsdrang ebenfalls auch nur ein Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert. Da hat man sich die Germanen als urdemokratische Gesellschaft vorgestellt und unter dem Fürsten Arminius wie in einer konstitutionellen Monarchie. Genau das, was das 19. Jahrhundert von seinen Fürsten haben wollte.

Obwohl doch der berühmte römische Geschichtsschreiber Tacitus schon 100 Jahre nach der Varusschlacht in seinen Annalen über Arminius schrieb: „Unstreitig war er der Befreier Germaniens“?

Ja, „liberator Germaniae“. Wobei berücksichtigt werden muss: Wenn jemand über die Freiheit schrieb, war das eine Kritik des Republikaners Tacitus an der Kaiserherrschaft in Rom, die er als Unfreiheit verstand.

Also zeigte Tacitus mit seiner Beschreibung der freiheitsliebenden Germanen seinen dekadenten Landsleuten ein Bild vom idealen Staat?

Ja, die Freiheit, die in Rom verschwunden ist, bei den Germanen gibt es sie noch.

Faszinierend an der Geschichte um die Varusschlacht ist ja, dass die Römer im Grunde die Krieger ausgebildet hatten, die sie dann vernichtend im Herbst des Jahres 9 schlugen. Arminius war Befehlshaber einer germanisch-cheruskischen Hilfstruppeneinheit, hatte als Auszeichnung das römische Bürgerrecht erhalten und war in den Rang eines Ritters befördert worden.

Absolut, und das begann schon in anderen, früheren Feldzügen in römischen Provinzen, so auf dem Balkan, wo sich die Hilfstruppen, wie es in den Quellen so schön heißt, ihrer eigenen Stärke bewusst wurden und gediente Soldaten die Revolten gegen die Römer anführten.

Wenn es nun nicht der Freiheitsdrang war, den Arminius und seine Verbündeten gegen die Römer kämpfen ließ, was dann? Ihnen ging es doch gut? Sie hatten Privilegien, Machtpositionen und konnten wohlhabend werden?

Das ist ein Bündel von Ursachen. Vielleicht war es zu Steuererhöhungen gekommen. Vielleicht hatte sich in den Hilfstruppen des Arminius eine antirömische Stimmung breit gemacht hatte, weil es wiederholt zu Spannungen zwischen den römischen Legionären und den Hilfstruppen gekommen war.

Kann zu diesem Ursachenbündel auch ein Machtanspruch des Arminius gezählt werden?

Ja, es kann sein, das Arminius eine außerordentliche Tat vollbringen wollte, die ihn innerhalb seines Stammes als den überlegenen Fürsten etabliert hätte. Denn Arminius war nur einer von vielen cheruskischen Adligen und er hatte den Anspruch, Führer seines Stammes zu werden. Um das aber umsetzen zu können, brauchte es die ungeheure Tat, die alle beeindruckt.

Diese ungeheure Tat lieferte er mit dem Sieg über die drei Legionen des Arminius. Einen Makel hat dieser Sieg: Arminius beging Verrat und lockte die römischen Truppen in einen Hinterhalt.

Das muss man wirklich zugeben. Es gab bis dahin niemanden, der mit dieser fast schon kriminellen Energie diesen Verrat und Hinterhalt betrieb. Arminius täuschte seinen Dienstherren Varus monatelang, ließ ihn sich in Sicherheit wiegen und war sogar regelmäßig Gast an seiner Tafel. Er täuschte Freundschaft und Kameradschaft mit denen vorher, die er dann Wochen später niedermetzeln oder versklaven ließ. Das ist schon eine außergewöhnliche Taktik.

Kann dieser Verrat und der Hinterhalt nicht auch als Genialität des Arminius gesehen werden? Denn er wusste genau, dass es bisher nur ganz selten einem Gegner gelungen war, die römischen Legionen in der offenen Feldschlacht zu schlagen.

Ja, darin sehe ich die große militärische Leistung des Arminius. Ihm gelang es, den Römern mit disziplinierten Hilfstruppen entgegenzutreten, die nicht wie Stammeskrieger plünderten, ihre Formationen auflösten und damit ihre Kampfkraft schwächten wie es bei früheren Überfällen die Regel war . Auch die Germanen werden das als eine große Kriegslist gesehen haben, denn der Erfolg war das Entscheidende.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Ralf-Peter Märtin stellt morgen in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, 11 Uhr, „Die Varusschlacht. Rom und die Germanen“ vor.

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