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Lada Nakonechna: „Below Ground Level (crutches)“, 2024.

© Lada Nakonechna Foto: Uwe Walter

Explosionen am Himmel: Lada Nakonechna in der Galerie Eigen + Art

Die ukrainische Künstlerin reflektiert zeichnend und in Skulpturen die brüchige Lebenssituation in ihrer geschundenen Heimat.

Von Jens Müller

Der Mensch ist erstaunlich anpassungsfähig. Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell man doch bereit und in der Lage ist, sich mit dem eben noch Unvorstellbaren zu arrangieren. Selbst ein Kriegszustand wird also irgendwann und vermutlich viel schneller als man sich das als irgendwann nach 1945 geborener Deutscher auszumalen willens ist: Alltag.

Von dem Schwarz-Weiß-Foto mit Bäumen und möglicherweise einer Explosion und drei x-förmigen Kreuzen wird einem in der Galerie Eigen + Art gesagt, dass jeder Ukrainer es sofort verstünde. Das heißt: die zugrundeliegende Situation. Die Menschen dort würden kreuzförmig Klebeband auf ihren Fenstern befestigen, um diese vor dem Bersten durch die Druckwelle einer in der Nähe sich täglich ereignenden Explosion zu schützen.

Der Titel der Ausstellung „Below Ground Level“ verweist einerseits auf die räumlichen Gegebenheiten in der Galerie. Gleich hinter dem Eingang auf Erdgeschossniveau führt eine Treppe nach unten in den Ausstellungsraum. Man könnte mit ihm andererseits den Aufenthalt in einem Bunker oder Keller und damit den Krieg assoziieren.

Aus abstrakter Kritzelei wird eine Landschaft

Die 1981 im damals sowjetischen Dnipropetrowsk, dem heute ukrainischen Dnipro geborene Lada Nakonechna ist also keine Künstlerin der L’art pour l’art. Eskapismus ist ihre Sache nicht. Dabei verfügt sie über ein bemerkenswertes zeichnerisches Vermögen, wie einige der Bilder (je 3800 Euro) ihrer nun schon siebten Schau bei Eigen + Art seit 2012 erkennen lassen: Was aus der Nahsicht nach wilder, abstrakter Kritzelei aussieht, erweist sich aus der Distanz plötzlich als Topografie, als Landschaft, als Dorf, als Himmel, geschaffen nur mit den Mitteln der Schraffur, ohne jegliche Umrisslinien.

Auf anderen Bildern verbindet, kontrastiert die Künstlerin ihre Zeichentechnik mit Schwarzweißfotografien, die sie dem Internet entnommen hat: Mit dem Skalpell oder Cutter-Messer hat sie die oberste Schicht, die mit der Bildinformation, vom Fotopapier abgekratzt und das darunterliegende Weiß freigelegt. Es freigelassen oder zeichnerisch wieder neu ausgefüllt. Mit Himmel. Mit Wolken am Himmel. Explosionswolken über dem Himmel der Ukraine.

Aber nicht nur. So hat Lada Nakonechna zum Beispiel die Körper toter (ukrainischer?) Soldaten vom Waldboden entfernt und durch Zeichnungen ersetzt. Vielleicht weil ihr die fotografische Abbildung hier pietätlos, die zeichnerische Verfremdung angemessener erschienen ist? „Der Grad des Realismus in der Zeichnung bestätigt oder untergräbt dabei den Realismus des Fotos. Künstlerische Medien befragen sich gegenseitig nach ihren Werten und ihrem Potenzial, die Authentizität einer Tatsache auszudrücken“, ist im Ausstellungstext der Galerie zu lesen.

Klar ist: Nichts ist klar. Diese Kunst, so politisch sie auch sein mag, erlaubt keine eindeutige, eindimensionale – propagandistisch verwertbare – Lesart. Die aus krummen, kaum bearbeiteten Ästen und ein bisschen Pappmaché gefertigten Krücken gleich am Eingang: Man kann sie natürlich als Hinweis auf die Versehrten des Krieges lesen – aber möglicherweise sind sie auch ein Fingerzeig auf die Verheerungen, die der Mensch mit seinem Krieg, der auch ein Ökozid ist, der Natur antut?

Die Künstlerin verließ vor zwei Jahren die Ukraine

Und dann sind da als weitere Werkgruppe noch diese Bild-im-Bild-Bilder, die einzigen der Ausstellung mit Rahmen: In einer perspektivisch angedeuteten White-Cube-Situation scheint da etwa einmal das Detail eines zerstörten Hauses als Gemälde an der Wand zu hängen. Reflektiert die Urheberin damit ihre eigene Situation und ihre Verarbeitung des Kriegsgeschehens zu Kunst? Oder geht es ihr hier vielmehr um dessen Wahrnehmung aus der kühlen und sicheren Distanz durch das deutsche Publikum?

Lada Nakonechna ist nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zwei Jahren mit ihrem Kind über Polen nach Deutschland ausgereist, sie hat derzeit einen Lehrauftrag an der Universität Kassel. Eindeutige Lesarten ihrer Kunst gibt es nicht. Sie lässt sich aber nicht anders verstehen, als dass die Künstlerin den Krieg weder hinter sich lassen kann noch will.    

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