zum Hauptinhalt
Achim Freyer ist Bühnen-, Kostümbildner, Regisseur und Maler; fotografiert in der Staatsoper in Berlin-Mitte.

© Thilo Rückeis

Ein Leben in der Kunst: Achim Freyer, der unsterbliche Visionär

Eine Hommage zum 90. Geburtstag des Regisseurs und Malers, Bühnen- und Kostümbildners.

Längst gehört er zu den Unsterblichen in der Kunst, aus visionären Bildern visuelle Szenen zu schaffen, die auf den Theater- und Opernbühnen in aller Welt noch einmal ganz eigene sinnliche oder schier übersinnliche Welten zaubern. Tatsächlich ist der gebürtige Berliner Achim Freyer, der an diesem Ostersamstag seinen 90. Geburtstag feiert, der Doyen unter den universellen Gesamtkünstlern. Vergleichbar mit ihm erscheint in der Personalunion von Regisseur und bühnenbildendem, auch Licht und Kostüme mit einbegreifendem Genie heute nur noch Robert Wilson.

Achim Freyer ist ein Mythenspielmeister, der mit weißer Mähne und Rauschebart auch selbst einem Mythos entsprungen scheint. Eine Mischung aus Gottvater, Rübezahl und shakespearischem Schalk. So empfängt er bisweilen noch selbst seine Gäste, wenn er sein wunderbares „Kunsthaus“ im Kadettenweg in Berlin-Lichterfelde für Besucher öffnet. Dort gibt es in der dem großen alten Wohndomizil angegliederten privaten Kunsthalle auch in diesem Jubiläumsjahr zahlreiche Sonderausstellungen, und es sollen dabei gut hundert neue Freyer-Gemälde präsentiert werden – das nächste Mal jetzt am Ostersonntag ab 15 Uhr.

Wunderkammern der Kunstwelt

Der Clou freilich ist, wenn Freyer die Wunderkammern seines eigenen Wohnhauses öffnet. Bis unters Dach hängen Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Plakate, stehen Figuren und lagern Objekte, laufen Freyerfilme in (alten) Fernsehern, es sind auf eng gedrängtem Raum gut 2000 Werke: mal ein Matisse, ein früher Neo Rauch, das Gemälde eines unbekannten Straßenkünstlers oder etliche Bilder des zu Lebzeiten als verrückt verfolgten und als seltsamer Heiliger verehrten Friedrich Schröder Sonnenstern. Die sogenannte „Petersburger Hängung“ (Bilder in mehreren Reihen übereinander) ist nichts gegen Freyers fantastische Kunstversammlung auf jedem Zentimeter Wand – sogar über den Köpfen sind an der Decke Gemälde befestigt.

Zuletzt hat Achim Freyer 2022 den „Faust“-Preis des Deutschen Bühnenvereins für sein Lebenswerk erhalten. Das passte insoweit, weil eine der schönsten frühen Arbeiten Freyers in Zusammenarbeit mit seiner damaligen Frau Ilona Freyer in den 1970er Jahren die witzig burleske Ausstattung für Claus Peymanns Stuttgarter Doppel-Inszenierung von „Faust I und II“ war. Freyers Kennzeichen: die Verbindung von Volkstheatereffekten mit intellektueller Vielfalt durch Masken, Puppen, magischen Zeichensystemen und Anspielungen aufs Grand-Guignol. Kasper und Kaiser, Herr Gott und Frau Welt gehören so voll sinnlichem Raffinement zusammen.

Nicht nur bis an die Decke, sondern auch quer darüber ist hier die Kunst gehängt: Kunsthaus Achim Freyer
Nicht nur bis an die Decke, sondern auch quer darüber ist hier die Kunst gehängt: Kunsthaus Achim Freyer

© Kunsthaus Achim Freyer/Gunter Lepkowski Berlin

Früh politisiert

Freyers Vater war von den Nazis wegen kriegskritischer Äußerungen erschossenen worden, das prägte schon früh auch das politische Bewusstsein des werdenden Künstlers. Als 23-Jähriger wurde er am Berliner Ensemble Meisterschüler von Bert Brecht und dessen Bühnenbildner Karl von Appen. Bald entwirft er Szenerien und Kostüme für Ruth Berghaus, Adolf Dresen und Benno Besson. Dresens „Clavigo“ am Deutschen Theater wird 1971 (mit Freyers Bühnenbild) in Ost-Berlin verboten, daraufhin setzt er sich 1972 bei einer Italien-Tournee der Volksbühne in den Westen ab. Die Toskana ist bis heute noch neben Berlin sein zweiter Wohnsitz.

Seine Malerei changiert zwischen zeichenhaft Figurativem und abstrakter Reduktion, 1977 und 1987 ist er auf der Kassler Documenta, doch es dominieren die Bühnenhits: ob mit Glucks von ihm wiederentdeckter „Iphigenie“-Oper in München oder Inszenierungen zur Musik von Philip Glass. Seine Vision von Händels „Messias“ an der Deutschen Oper wird genreübergreifend zum Berliner Theatertreffen geladen, ebenso die „Metamorphosen des Ovid“ vom Wiener Burgtheater. Als er 2009/2010 in Los Angeles den „Ring“ inszeniert, kämpfen Wagner-Helden wie Yedi-Ritter mit Leuchtstäben, andernorts wachsen Riesenhände aus dem Himmel, als Metaphern des Schicksals in Welt, Zeit und Raum. Bis heute.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false