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Nicolas Cage als Paul in „Dream Scenario“.

© dpa/DCM Film/Uncredited

„Dream Scenario“ im Kino: Kein Mann unserer Träume

Nicolas Cage ist mitverantwortlich für das wildeste Kopfkino aus Hollywood. In der surrealen Komödie „Dream Scenario“ spielt er nun einen Collegeprofessor, der in den Träumen seiner Mitmenschen auftaucht.

Von Andreas Busche

Man kann sich die Menschen in seinen Träumen nicht aussuchen, das Unterbewusstsein kennt kein Drehbuch und keine Regie.

Niemand hat Paul Matthews eingeladen, aber der wenig bemerkenswerte Biologie-Professor an einem amerikanischen Provinzcollege wird in Kristoffer Borglis surrealer Horrorsatire „Dream Scenario“ zur Manifestation von Jungs Konzept des kollektiven Unbewussten. Plötzlich taucht er uneingeladen in den Träumen der Menschen auf.

Erst in denen seiner älteren Tochter, dann auch in den Träumen seiner Studenten und von Wildfremden, die ihn im Restaurant ansprechen.

Der sozial inkompetente Familienvater, dem seine Frau (Julianne Nicholson) morgens noch eine Motivationsrede mit auf den Weg zur Arbeit gibt, möchte am liebsten in der Menge verschwinden. Im spärlich besuchten Unterricht hält er Vorträge über die Camouflage des Zebras, dessen Streifen es in der Herde vor seinen natürlichen Feinden schützt.

Nur nicht auffallen in der Menge

Das ist auch Pauls Lieblingstrick der Evolution, den Nicolas Cage mit blank polierter Tonsur, ergrautem Vollbart, braunen Cordhosen und seiner Pelzkragen-Funktionsjacke kongenial verkörpert. 

Nur nicht auffallen. Paul bewegt sich selten aus der Deckung hervor, ein armer Tropf, der dreißig Jahre dem Traum nachhängt, seine Forschungen über das Schwarmverhalten von Ameisen zu publizieren. „Antelligence“ soll der Buchtitel sein, ein lachhaftes Wortspiel, das selbst Paul nur noch ein asthmatisches Gackern entlockt.

Doch plötzlich sieht Paul seine Chance gekommen. Der Mann, der das kollektive Unbewusste Amerikas durchdringt, ist nun auch in der Wirklichkeit eine Berühmtheit, ein Held des Alltags.

Als „Non-Player Character“ in der Traumwelt – selbst hier bleibt Paul ein passiver Beobachter der Menschen um ihn herum; egal, welche Gefahr ihnen auch droht (irre Killer, Krokodile, Erdbeben) – befördert sein neuer Ruhm ihn zum „Social-Media-Phänomen“: eine perfekte Projektionsfläche, die man nach Belieben bespielen kann.

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Paul, der nicht weiß, wie ihm geschieht, verspricht Zugang zu den unausgesprochenen Begehren des Menschen. Der perfekte Werbeträger („Dreamfluencer“) – für Limonade. Ein Einflüsterer des Präsidenten. Oder als Protagonist in der Verfilmung seines Lebens. So etwa stellt sich das Marketingexperte Trent (Michael Cena) vor, der aus Pauls „Fähigkeit“ schnelles Kapital schlagen will. 

Der aber enttäuscht alle Erwartungen an den „interessantesten Menschen auf der ganzen Welt“. Paul ist eitel genug, um den Begehrlichkeiten seiner Mitmenschen auf den Leim zu gehen – die Selfies, das Interesse junger Frauen. Doch eigentlich will er nur als Akademiker ernst genommen werden.

Nicolas Cage in einer untypischen Hauptrolle

Nicolas Cage war in den vergangenen knapp 30 Jahren maßgeblich am wildesten Kopfkino beteiligt, das an den Rändern Hollywoods entstand. Niemand käme auf die Idee, ihn einen Schauspieler der feinen Zwischentöne zu nennen.

Trotzdem waren seine besten Rollen oft nicht die entgrenzten Maniacs, sondern grüblerische Normalos wie in „Bringing Out the Dead“ von Martin Scorsese. Oder in Spike Jonze’ „Adaption“, mit dessen Drehbuchautor Charlie Kaufman (und Protagonisten) „Dream Scenario“ ein eigenwilliges Verständnis von Kopfkino verbindet. 

Im ersten englischsprachigen Film des norwegischen Regisseurs Kristoffer Borgli unterspielt Cage die Absurdität der Prämisse mit einer leidenswilligen Stoik, die noch in den schlimmsten Fremdscham-Momenten ein Mitgefühl für Pauls Klammern an seiner Restwürde bewahrt.

Gedanken – aber wessen? Nicolas Cage wird in „Dream Scenario“ zum amerikanischen Albtraum.
Gedanken – aber wessen? Nicolas Cage wird in „Dream Scenario“ zum amerikanischen Albtraum.

© dpa/DCM Film/Uncredited

Paul wird zur Marke, so wie auch Cage in seinen irrlichternden Auftritten in Filmen wie „Mandy“ zur Marke seiner selbst geworden ist – gipfelnd in der Metakomödie „Massive Talent“ mit und über Nicolas Cage. „Dream Scenario“, der Cage-typischste Film mit einem denkbar untypischen Cage in der Hauptrolle, stellt nun die Frage, was passiert, wenn sich das Produkt gegen seinen Schöpfer wendet.

Vom interessantesten Menschen zu Freddy Krueger

Denn Pauls 15 Minuten Ruhm verkehren sich ins Gegenteil, als die unfreiwilligen Auftritte im kollektiven Unbewussten gewalttätige Züge annehmen. Äußerlich ist er immer noch derselbe, aber in den Träumen wird der „interessanteste Mensch der Welt“ zum modernen Freddy Krueger.

Die Menschen beginnen ihn zu meiden, Buchverträge platzen, als Werbeträger ist er schwer vermittelbar. Paul wird „gecancelt“, seine Popularität reicht nur noch für die Talkshows von rechten Kulturkämpfern wie Tucker Carlson und Jordan Petersen.

Ohne Cage mit seinem Dackelblick könnte man „Dream Scenario“ leicht auch als kulturkonservative Satire auf die Social-Mediahaftigkeit unseres Lebens abtun. Zumal am Ende dann tatsächlich noch die Familie als Wert an sich aus dem Ärmel gezaubert wird. (Paul verliert trotzdem buchstäblich den Boden unter den Füßen.)

Ein Zuckerberg-Verschnitt, gespielt von „Succession“-Star Nicholas Braun, erfindet irgendwann noch ein Gerät, mit dem man sich ohne die toxischen Nebenwirkungen eines marodierenden Pauls in die Träume anderer Menschen einschleusen kann. Das wird dann als eine Art moderne Meditation mit Product-Placement-Option vermarktet. Und seine ehemaligen Fans erklären Paul Matthews zum Programmierfehler einer verfrühten Betaversion.

Ganz so eindeutig ist Borglis Intention aber nicht, was vielleicht ein Drehbuchproblem ist – oder sogar eine Stärke, weil seine mäandernde Geschichte tatsächlich traumhafte Unschärfen besitzt.

„Dream Scenario“ muss sich gar nicht konsequent zwischen Horrorkomödie oder Social-Media-Satire entscheiden. Nicolas Cage schlafwandelt auf diesem schmalen Grat mit der für ihn typischen Realitätsentrücktheit. 

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