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Sitz, schon meiner Patienten müssen liegen! Sigmund Freud und sein Hund 1937.

© imago images/Everett Collection/imago stock

Die zersplitterte Zunft: Psychoanalyse in Zeiten des Kalten Krieges

In „Cold War Freud“ zeichnet die US-Historikerin Dagmar Herzog die Entwicklungen der Psychoanalyse während der Zeit des Kalten Krieges nach – und ruft dabei Erschreckendes in Erinnerung.

Von Larissa Kunert

Sigmund Freud war 81 Jahre alt, als er im Juni 1938 mit seiner Familie aus Wien ins Londoner Exil floh. Er hatte bis zum letzten Moment gezögert, doch die Annexion Österreichs durch die Nationalsozialisten bedeutete nun akute Lebensgefahr für die Freuds. Der Begründer der Psychoanalyse war Hitler und dessen Anhängern nicht nur verhasst, weil er Jude war, sondern auch, weil die von ihm entwickelte Kulturtheorie ihnen als Ausdruck von zu bekämpfender Perversion galt.

Zu dieser Zeit war Wien das Epizentrum der Psychoanalyse und viele ihrer Vertreterinnen und Vertreter waren jüdisch – ein Milieu, das von den Nazis jäh zerschlagen wurde und sich infolgedessen in alle Welt zerstreute.

Schattendasein im Osten

Dies ist der historische Punkt, an dem Dagmar Herzogs Buch „Cold War Freud“ ansetzt, das nun sechs Jahre nach seiner Erstveröffentlichung erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt. Die US-Historikerin, bekannt vor allem durch ihre Forschung zur Sexualgeschichte des 20. Jahrhunderts, zeichnet darin die Entwicklung der Psychoanalyse während der Zeit des Kalten Krieges nach – allerdings beschränkt auf den kapitalistischen Westen, vermutlich, weil psychoanalytische Forschung in den sozialistischen Ländern des Ostens aufgrund von Verboten ein Schattendasein fristete.

Herzog vermittelt einsichtig, warum sich die Psychoanalyse in den USA, Frankreich, Deutschland und der Schweiz jeweils auf unterschiedliche Weise entwickelte und wie sie mit anderen gesellschaftlichen Einflüssen interagierte. So sahen sich etwa die Analytikerinnen und Analytiker in den USA der Nachkriegszeit mit der Aufgabe konfrontiert, ihrer Disziplin in einem Klima von wieder aufkeimender Religiosität, glühendem Patriotismus und denunziatorischem Antikommunismus Geltung zu verschaffen – was nur gelang, indem man sie ihres gesellschaftskritischen Stachels beraubte und sie mit dem Christentum in Einklang brachte.

Mit der sexuellen Revolution war dann der Niedergang der US-Psychoanalyse eingeläutet, die sich nur langsam von schwulen- und frauenfeindlichen Überzeugungen lösen konnte und deshalb zur Zielscheibe linker Kritik wurde.

Indes war es Herzog zufolge in Frankreich gerade die 68er-Bewegung, die der Psychoanalyse neuen Atem einhauchte. In ihrem zum Klassiker avancierten Werk „Anti-Ödipus“ (1972) brachten der Philosoph Gilles Deleuze und der Analytiker Félix Guattari die Psychoanalyse mit radikaler Gesellschaftskritik zusammen.

Politik und Libido

Herzogs verortet das Buch innerhalb seines historischen Kontexts – in einer Zeit, in der die Linke unter anderem darüber debattierte, warum sich so viele Menschen dem Faschismus angeschlossen hatten, obwohl der ihren politischen und ökonomischen Interessen klar zuwiderlief. Deleuzes und Guattaris Theorie, dass es keine Trennung zwischen persönlicher und öffentlicher Sphäre gebe, sondern alles Politische libidinös besetzt sei, kam da gerade recht und ist zugleich Produkt ebendieser Auseinandersetzungen.

Für hiesige Leser am interessantesten dürften freilich Herzogs Ausführungen zur Nachkriegspsychoanalyse in der Bundesrepublik sein. Bestürzend liest sich, wie ein Großteil deutscher Psychiater jüdischen Holocaust-Überlebenden Diagnosen psychischer Erkrankungen verwehrte, die sie für eine Entschädigungsrente qualifiziert hätten. Auch Freud musste hier als Gewährsmann herhalten. Erst nach zähem Ringen innerhalb der internationalen psychoanalytischen Gemeinschaft und unter Druck von internationalen jüdischen Organisationen änderte sich die Situation zugunsten der teilweise schwer traumatisierten Überlebenden.

Was die Deutschen indes mehr interessierte als die Entschädigung ihrer dem Tod entronnenen jüdischen Mitbürger, war, ob sie überhaupt für ihre mörderischen Taten verantwortlich waren. Wie Herzog schreibt, war es mit dem Zoologen Konrad Lorenz ausgerechnet ein ehemaliger überzeugter Nazi, der die Psychoanalyse in Deutschland wieder ins Gespräch brachte. Aggression sei bei Mensch und Tier etwas völlig Natürliches und damit Unabänderliches, behauptete er.

Eine These, die, wie Herzog impliziert, auch deshalb so begeistert aufgenommen wurde, weil sie zur Selbstentlastung des Tätervolks beitrug. Sie führte zur Diskussion darüber, ob es aus psychoanalytischer Sicht einen Aggressions- bzw. Todestrieb gebe, der das Leben in ähnlicher Weise bestimme wie der Sexualtrieb. Bis heute ist man sich in dieser Frage uneinig.

Innerhalb des von ihr entfalteten Panoramas psychoanalytischer Debatten macht Herzog ihre Leser auch immer wieder mit in Vergessenheit geratenen unangepassten Analytikerinnen und Analytikern bekannt – etwa Robert Stoller, der sich so unterhaltsam wie überzeugend über homophobe Dogmen in seinem Berufsstand mokierte.

Oder Karen Horney, die im Sex das Gesellschaftliche suchte und wegen der Popularität ihrer Thesen von ihren männlichen Kollegen ins Abseits gedrängt wurde. So ist „Cold War Freud“ auch Teil einer Geschichtsschreibung, die fortschrittliche Tendenzen würdigt, auch wenn diese sich (noch) nicht durchsetzen konnten.

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