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Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie

© Mike Wolff TSP

Die Woche: Das Flüstern unserer Zeit 

Meinungsfreiheit und Demokratie 

Ein Kommentar von Katrin Sohns

Ende vergangenen Jahres hat die international gefeierte nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie ihre „Reith Lecture“ gehalten, ein renommierter jährlicher Radiovortrag der BBC. In ihrer Lesung widmet sich die Autorin dem Thema Meinungsfreiheit.

Eindrücklich beschreibt sie das Flüstern von Familie und Freunden im Nigeria ihrer Jugend, wenn man auf die Militärdiktatur zu sprechen kam – auch dann, wenn man in den eigenen vier Wänden diskutierte. In Demokratien würde man ein solches „Flüstern“ nicht erwarten, ist doch die Meinungsfreiheit ein essenzieller Bestandteil freier Gesellschaften. Aber Chimamanda Adichie sieht auch in westlichen Ländern immer mehr Menschen, die sich nicht mehr trauen, über bestimmte Themen zu sprechen.

Statt staatlicher Zensur greife hier eine gesellschaftliche. Den Grund hierfür sieht Chimamanda Adichie in dem Aufkommen von sogenannten ideologischen „tribes“. In diesen Stämmen sei oft keine Diskussion mehr gefragt. Vielmehr sei unsere Meinung mit der Mitgliedschaft in den Stämmen besiegelt.

Man mag diese warnenden Worte in einem deutschen Kontext schnell abtun – leben wir doch in einer Demokratie. Auch die Ausmaße der sogenannten „Cancel Culture“ halten sich hierzulande noch in Grenzen. Und doch sind wir vor diesen Entwicklungen nicht gefeit. Sorgenvoll blickt Chimamanda Adichie insbesondere auf die nächste Generation. Aus Angst, ihre Fragen könnten „falsch“ sein, scheuten sich junge Leute davor, Fragen zu stellen. Folglich hätten gerade sie den Akt von Selbstzensur perfektioniert. „Man kommt nicht umhin, sich in dieser Epidemie der Selbstzensur zu fragen: Was verlieren wir und was haben wir bereits verloren?“, so die Autorin.

Ihre Worte sind zu Beginn dieses neuen Jahres eine Erinnerung an uns alle, den Raum für kontroverse Diskussionen immer wieder aktiv zu schaffen – in Familien, unter Freunden, in unseren „Stämmen“, aber auch in Zeitungen. Es mag emotional sein, mitunter unangenehm. Aber unsere Zeit fragt nach Komplexität. Und die klugen Fragen einer neuen Generation sind essenziell, um Antworten auf die vielen Herausforderungen zu finden.

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