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Kultur: Die Barocker

Als wäre die Tinte noch nass: Seit 20 Jahren zeigt die Berliner Akademie für Alte Musik, wie lebendig Klassik klingen kann

Von Carsten Niemann

Wenn Händels Cäcilien-Ode auf dem Programm steht, schlägt die Stunde der Wahrheit. „Durch heil’ge Harmonie entstand das weite Weltenall“: Die geradezu anmaßenden Worte fordern einen Einsatz, der so perfekt gestaltet ist, dass er die Ausführenden nicht schon im ersten schlichten Akkord Lügen straft. Und es geht so weiter: Ist die Wunderkraft des Gesangs gepriesen, deklinieren Händel und Hofpoet John Dryden die Wirkungen der Instrumente durch – und lassen sie parallel zu den Worten solistisch hören: Der „Flöte Klageton“ muss sich mit seinen herzzerreißenden Wirkungen ebenso der Live-Rezension stellen wie die Geigen, die „von heißer Lieb und Sehnsucht, tiefster Qual und höchsten Leiden“ singen. Und der Cellist muss mit Jubel gar den biblischen Erfinder der Musik klanglich vertreten.

Die Zuhörer im Konzerthaus am Gendarmenmarkt jedoch erwarteten am Dienstag alle diese Wunderdinge mit gelassener Entspannung. Warum? Nun, die Akademie für Alte Musik Berlin und der RIAS-Kammerchor unter der Leitung von Marcus Creed haben in ihrer 10-jährigen Zusammenarbeit oft genug Wirkungen erzeugt, zu denen sich selbst die Worte eines barocken Hofpoeten wie eine annähernd sachliche Beschreibung ausmachen. Und tatsächlich wurde der Abend, an dem die Akademie für Alte Musik ihr 20-jähriges Bestehen feierte, zu der Sternstunde, die man insgeheim erwartet hatte.

Beide Ensembles sind das, was Musikkritiker im 18. Jahrhundert wohl als „Armeen von Generälen“ bezeichnet hätten: starke Einzelpersönlichkeiten, die sich mühelos zu einem gemeinsam atmenden, sprechenden, von Lust und Mitteilungswillen angetriebenen Klangkörper zusammenfinden. Und die doch jederzeit in der Lage sind, den Saal als Solisten in ihren Bann zu ziehen.

Wirkte die Akademie oft als der ungebärdigere Partner, der vom Chor sanft an den Zügeln der Liebe gehalten wurde, schien die Harmonie an diesem Abend perfekt: So selbstverständlich, wie hier instrumentale Koloraturketten vom Ensemble zum Chor wanderten, so sprechend gestalteten die Instrumentalisten ihre wortlosen Einwürfe.

Es war ein langer, aber rasant aufsteigender Weg, den die Akademie zu diesem hohen Ideal barocken Musizierens zurückgelegt hat. Misstrauisch beäugte mancher in der DDR die demokratisch organisierten Musiker, die sich ihren n nach dem musikalischen Zirkel um Friedrich den Großen gaben und von denen man annehmen mochte, dass sie neben den Spieltechniken auf historischen Instrumenten auch noch andere restaurative Tendenzen im Sinne hatten. Dennoch legte man schon damals den Grundstein für den heutigen Erfolg: 1984 startete die Abonnementsreihe im Konzerthaus, seit 1985 arbeitet man mit René Jacobs. Nach der Wende wurde die Akademie zu einem wichtigen Faktoren dafür, dass die Alte Musik auch im Westen über den eingeschworenen Kreis von Originalklangfetischisten ernst genommen wurde: Besonders trugen dazu Barockopern-Uraufführungen an der Staatsoper Unter den Linden sowie die Zusammenarbeit mit dem RIAS-Kammerchor bei.

Dass man beim Jubiläumskonzert den innovativen Geist mit der Uraufführung eines neuen, braven Werks des 32-jährigen Sebastian Stier unterstrich, war unnötig. Mit ihrem von Entdeckungen und Ausgrabungen strotzenden Repertoire - von Reinhard Keisers Oper „Croesus“ bis hin zu der jüngsten künstlerisch wie wissenschaftlich mustergültigen Einspielung von Arien für den Kastraten Farinelli mit Vivica Genaux sorgte die Akademie seit langem für genug Unerhörtes. Puristen geht der Swing, den das Ensemble dabei bisweilen produziert, sicher zu weit. Doch denkt man daran, dass Alte Musik zu ihrer Zeit stets als Neue Musik gehört wurde, rechtfertigt sich die oberste Maxime von „Akamus“: so zu musizieren, als sei die Tinte auf den Notenblättern noch nicht trocken.

Zurücklehnen können sich die Musiker dabei nicht. Nach wie vor bekommt man keine Subventionen, die Musiker sind freiberuflich tätig. So sehr sich dies künstlerisch lohnt: Was die finanzielle Absicherung und auch die Arbeitsbedingungen anbelangt (das Ensemble verfügt über keinen festen Probensaal) stehen die Musiker deutlich schlechter da als ihre Kollegen in staatlichen Sinfonieorchestern. Mit dem wachsenden Erfolg, so warnt man, werden die Angebote, mit denen man einzelne „Generäle“ abzuwerben versucht, lukrativer. Gleich, ob man der Auffassung ist, es sei möglich, die Besten durch staatliche Subventionen zu fördern, oder ob man an die Kraft von Qualität, Markt und Sponsoren glaubt: Die Akademie für Alte Musik könnte zum Modell dafür werden, was die Stadt aus diesem Kapital eines schlank organisierten, glänzenden musikalischen Aushängeschildes macht.

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