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Kultur: Der Froschkönig

Küsse und Bisse: H.K. zum Geburtstag ein märchenhafter Gruß/ Von Iris Radisch

Das letzte Mal haben wir uns in Berlin im Schloss Bellevue gesehen, als ihm der Bundespräsident nach dem letzten „Literarischen Quartett“ die Hand schüttelte und sich dafür bedankte, dass er sich im Fernsehen um die deutsche Literaturkritik so verdient gemacht habe, was unbestritten ist, egal was seine Neider dagegen vorbringen mögen. Danach habe ich Hellmuth Karasek, abgesehen von ein paar flüchtigen Augenblicken, in denen ich ihn im Fernsehkasten in irgendwelchen blinkenden Kulissen schwitzen sah, aus den Augen verloren. Einmal las ich ein Interview, in dem er sagte, man solle sich das Arbeitsleben zwischen solchen Kulissen nicht so rosig vorstellen, die Kulissen stünden immer weit draußen vor den Toren der Stadt, und hinter den Kulissen warteten keineswegs hundert willige und begeisterte Jungfrauen, sondern nur ein paar Käsestullen auf den müden Fernseharbeiter.

Das konnte ich mir dann gut vorstellen, wie Hellmuth Karasek spät in der Nacht, eingeklemmt zwischen einer Neuberliner Partyfee und einer abgedankten Tenniskanone im Taxi auf dem Weg von den Fernsehstudios weit draußen vor den Toren der Stadt zurück ins Hotel eine BillyWilder-Anekdote erzählt. Und das war natürlich eine traurige Vorstellung.

Es ist eigentümlich: Obwohl Karasek zu den erfolgreichsten Männern, des deutschen Nachkriegsjournalismus zählt, vollbringt er nebenbei noch das Kunststück, dass er einen immer wieder an den noch ungeküssten und unerlösten Frosch aus Grimms „Froschkönig“ erinnert. In die Bewunderung mischt sich dann Bedauern und Mitleid, wenn er so vor den Türen der blonden Prinzessinnen herumhopst und ruft: Königstochter, Jüngste, mach mir auf! Dabei haben sich ihm doch die Schlosstüren der deutschen Presse weit aufgetan. Natürlich gab es auch Ränke und Rückschläge. Denn kleine Ausflüge in die Halbwelt der Fernsehunterhaltung rächt das Feuilleton sofort, pralle Parallelleben im halbseidenen Fach wurden in der Hochkultur bis vor kurzem noch streng bestraft. Ein hochdekorierter Journalist, der im Fernsehen Rätselraten spielt? Jeden anderen als ihn würde das den Kopf kosten. Doch das ist das zweite Wunder im Leben des großen H.K.: Man kann ihm nichts übel nehmen. Im Gegenteil. Wäre er nicht, wie er ist, dieses schillernde, schlingernde, unbedingt Vertrauen erweckende, ewig jungenhafte, journalistische Gesamtkunstwerk – er würde uns fehlen.

Lange schon sind wir im Zeitalter eines anderen, eines weniger glamourösen, weniger grenzgängerischen Kulturjournalismus angekommen, der in der Hauptsache von Eliten wahrgenommen wird. Umgekehrt nähert sich die Kultur in den Massenmedien, im gebührenfinanzierten Rundfunk- und Fernsehprogramm, unaufhaltsam dem Nullpunkt. Die begnadeten Brückenbauer, die großen Vermittler zwischen Hochkultur und Öffentlichkeit, die Kaiser, Raddatz, Karasek und Reich-Ranicki können das nicht mehr verhindern. Aber es ist ein Segen, dass sie noch da sind. Sie sollen nicht ungeküsst bleiben.

Iris Radisch (geb. 1959), zuletzt Mitglied des „Literarischen Quartetts“, ist Literaturredakteurin der Hamburger „Zeit“.

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