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Szene aus "Parcours d'amour".

© Neue Visionen Filmverleih / dpa

Bettina Blümners Doku "Parcours d'amour": Das Leben ist ein Tanztee

Die Berliner Dokumentarfilmerin Bettina Blümner besucht in „Parcours d’amour“ die Ballhäuser leichtfüßiger Rentner zum Tanztee. Ein Treffen unter der Diskokugel.

Clärchens Ballhaus, wo sonst. Café Keese hat ja vormittags noch gar nicht auf. Und in einem Tanzlokal muss es doch nun sein, das Treffen mit Bettina Blümner. Jetzt, wo sie in ihrem Dokumentarfilm „Parcours d’amour“ von Menschen erzählt, deren Lebensmittelpunkt das Tanzcafé und deren Leidenschaft das Tanzen ist. Auch wenn die Tradition in Berlin weniger lebendig ist als in Paris, wie die in Mitte lebende Regisseurin glaubt. Und auch wenn hier um diese Uhrzeit noch keine Tänzer ihre Runden vorbei an den mit bunten Nelken geschmückten Tischen drehen, sondern nur eindeckende Kellner und neugierige Touristen.

Walzen ginge auch gar nicht. Mitten auf der Tanzfläche steht eine Baubühne. Oben drauf klebt eine Handwerkerin unter der Decke und bessert den abblätternden Putz aus. Die Discokugel daneben blinkt matt im Tageslicht, das durch die offene Tür hereinfällt. Ein wenig Katerstimmung hängt im Raum. Und doch ist die unvergleichliche Aura des hundertjährigen Ballsaals in jeder Sekunde zu spüren. Ein Echo der Stimmen, Silhouetten, Musiken, Plaudereien unzähliger durchtanzter Nächte und Nachmittage.

Genauso wie im Le Memphis, dem berühmtesten der rund zehn Tanzlokale, die Bettina Blümner für ihre charmante, aber nicht romantisierende Milieustudie in Paris besucht hat. Umspült von nostalgischer Akkordeonmusik und desillusioniert durch ihre von Brüchen gezeichneten Leben, machen sich ihre allein lebenden Helden mittags aus den Hochhauswohnungen in der Banlieue per Metro auf zum Tanztee. Fein herausgeputzte, aufgekratzte Herrschaften über 70, die tanzen, flirten und vielleicht ein neues Glück finden wollen. Die Damen – Christiane und ihre Freundin Michelle – eher realistisch das Leben und die Männer kommentierend. Die Herren – Gino und sein Freund Eugène – sichtlich bemüht, mit Späßchen und flotten Sprüchen zu punkten. Und Michel, der professionelle Eintänzer, in Paris „Taxiboy“ genannt, dessen Ehefrau seinen Beruf akzeptiert.

Ein Taxiboy ist der Diamant am Finger der Dame

Den soignierten Herrn hat Bettina Blümner schon 2008 kennengelernt. Bei einer Recherche zu einem geplanten, aber dann mangels Finanzierung nicht realisierten Spielfilm über männliche Dienstleister und weiblichen Sextourismus. Wobei Michel keinen Sex anbietet, sondern Tango und Paso doble in Perfektion. In Paris sei das eine Auszeichnung für eine Dame, sich einen Taxiboy leisten zu können, sagt Bettina Blümner. „Wie ein Diamant am Finger.“ In der Tat ist nichts Anrüchiges an den im Film inklusive Preisverhandlungen gezeigten Begegnungen. Und die zärtlichste Szene zeigt Michel beim Kaffeebesuch einer greisen, eleganten Pariserin, die einst seine Stammkundin war.

Die sich verlässlich täglich um 13.30 Uhr vor dem Nachtclub Memphis aufbauende Einlassschlange, hat die Regisseurin fasziniert, als sie bei Freunden nebenan wohnte. Und dann auch die im Film in ansehnliche Cinemascope-Bilder gebannte plüschige Welt. An interessanten Orten treffe man immer interessante Protagonisten, fasst sie ihren auch in der hinreißenden, 2008 mit dem Deutschen Filmpreis prämierten Berlin-Doku „Prinzessinnenbad“ angewandten Ausgangspunkt zusammen. Die darin im Prinzenbad porträtierten 15-jährigen Kreuzberger Mädchen seien den Pariser Rentnern gar nicht so unähnlich, findet sie, und die Szenen, in denen die Senioren von sich erzählen oder zusammen feiern, geben ihr recht. Die Alten träumen genauso hartnäckig von Liebe und Anerkennung wie einst die Jungen.

Regisseurin Bettina Blümner.

© Promo

Angenähert hat sich die 1975 in Düsseldorf geborene, empathische Dokumentaristin, die 2013 mit der kraftvollen Verfilmung von Alina Bronskys Roman „Scherbenpark“ ein ebenso milieusicheres Spielfilmdebüt hinlegte, beiden Gruppen auf dieselbe Weise. Mit Zeit, Engagement und Glauben. „Ich bin einfach nur da. Ich höre zu. Ich frage. Ich lasse mich von der Realität überraschen.“ Planbar sei das nicht, mehr wie eine gemeinsame Reise. Spricht’s zögerlich und schaut ein bisschen gequält aus diesen ungemein vertrauenswürdig blickenden Augen.

Die emotionale Wahrheit ist wichtiger als die faktische

Nein, eine Plaudertasche in eigener Sache, eine begeisterte Selbsterklärerin ist Bettina Blümner nicht. Sie hat an der Bauhaus-Universität in Weimar und an der Filmakademie Ludwigsburg studiert, an der Volksbühne bei Christoph Schlingensief hospitiert und am Hebbel am Ufer in Berlin Theaterstücke inszeniert, in Frankreich und Kuba gelebt, Preise gewonnen. Aber sie lässt lieber ihre Filmhelden reden. Und wenn es in einer Dokumentation schon um so etwas wie Wahrheit gehen muss, dann ist ihr die emotionale Wahrheit wichtiger als die faktische, weswegen Blümners Filme stets ohne Off-Kommentar und eingeblendete Informationen auskommen.

Auch die jüngste Fernsehdokumentation „Halbmondwahrheiten“ über den deutschtürkischen Psychologen Kazım Erdoğan und seine Vätergruppe „Aufbruch Neukölln“, die am 23. Juni um 23.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt wird.

Visuell lebt „Parcours d’amour“ von den atmosphärischen Cinemascope-Bildern der Kameramänner Mathias Schöningh und Axel Schneppat. Die Spannung zwischen den warmen Rottönen der Tanzpaläste und dem kühlen Blaugrau der Stadt erzählt den Kontrast der Seniorenleben innerhalb und außerhalb des Tanztees. Ja, sie haben den Schwoof, der ist schön. Aber sonst haben sie – nach dem Ende der Erwerbsbiografie, nach den Ehen und der Kinderaufzucht nicht mehr so viel. Selbst der lebenslustige, einst aus Italien eingewanderte Strahlemann Gino, der eine Freundin in einer anderen Stadt hat und trotzdem nichts auf dem Parkett anbrennen lässt, schaut melancholisch drein, wenn er allein zu Haus sitzt.

Die Balance bekommt Bettina Blümner gut hin. Einmal einen Film übers Tanzen zu machen, der eigentlich ein Film übers Leben ist – und eben keiner jener Tanzfilme, die das Tanzen als Mythos oder Technik thematisieren. Und zum anderen von Alten erzählen, die jeden Nachmittag frei nach Caterina Valentes Schlagermotto „Ganz Paris träumt von der Liebe“ das Leben feiern und trotzdem der Schwermut vergangener Chancen und vergehender Zeit Raum geben. „Mit 80 hat man keine Zukunft mehr“, benennt Eugène lakonisch das Dilemma. Dafür jede Menge Vergangenheit. Und das eine oder andere Geheimnis.

Es habe durchaus diverse Herrschaften gegeben, die dann doch lieber nicht gefilmt werden wollten, erzählt Bettina Blümner. „Weil der Ehemann oder die Ehefrau nichts vom Tanzpartner oder Liebhaber wissen.“ Es kann so rutschig wie das Leben sein, das Tanzparkett.

„Parcours d’amour“ startet am Donnerstag in den Berliner Kinos.

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