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Kultur: Bis der Brenner raucht

Neue Regeln für die digitale Welt: Der Streit um das Urheberrecht geht in die letzte Runde

"Never change a running system" - Hände weg, wenn es funktioniert, sagen leidgeprüfte Computerexperten. Das Urheberrechtsgesetz von 1965, das das geistige Eigentum der Urheber und ihrer Produzenten an Bild, Text und Musik schützt, funktioniert eigentlich recht gut. Dennoch wird es geändert, um das Gesetz aus analogen Zeiten an die digitale Welt anzupassen. In dieser ist eine Kopie nämlich vom Original nicht mehr zu unterscheiden, in Sekundenschnelle zu erstellen und mühelos um die ganze Welt zu verschicken. Wie mühelos, hat die Musikwirtschaft erfahren: Sie gibt Internettauschbörsen die Schuld für ihren 40prozentigen Umsatzrückgang.

Das "Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft" zielt nicht vorrangig auf jugendliche Downloadjunkies. Mit Urheberrechten werden 5,3 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, das ist mehr als die Wirtschaftsleistung aller zehn neuen EU-Länder. Bei so viel Geld geht kein Gesetz, dass das Gleichgewicht zwischen Urhebern, Medienwirtschaft, Geräteindustrie, Staat und Bürgern neu justieren muss, reibungslos über die parlamentarische Bühne. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hält es gar für ein gutes Zeichen, dass keiner der Beteiligten mit der Novelle zufrieden ist - beim Ausgleich entgegengesetzter Interessen müssten eben alle Zugeständnisse machen.

Nicht alles soll sich durch das neue Urheberrecht ändern. Geistiges Eigentum bleibt geschützt, es gibt keine "Kulturflatrate" und keinen kostenlosen Zugang ("open access"). Kopien für private Zwecke (also nicht für den Verkauf) von Artikeln, CDs, DVDs oder Teilen von Büchern und Zeitungen bleiben erlaubt, sofern sie nicht von illegalen Kopien oder aus dubiosen Quellen stammen.

Neben vielen kleinen gibt es zwei große Streitfälle. Kreative und Medienwirtschaft (dazu gehören Musik- und Filmproduzenten, Zeitungs-, Zeitschriften- sowie Buchverleger) protestieren gegen die Regelungen der Abgabe für PCs, Drucker, Scanner, MP 3-Player, Brenner. Denn mit den Geräten müssen mehr als 10 Prozent für Kopien von geschützten, nicht von freien Vorlagen gemacht werden. Die Abgabe darf nicht mehr als 5 Prozent des Verkaufspreis betragen, die Hersteller nicht "unzumutbar" belasten, und sie muss zwischen Herstellern und Verwertungsgesellschaften ausgehandelt werden.

Just diese beiden streiten sich seit Jahren vor Gericht über die Abgabe: Vor dem Bundesgerichtshof sind Prozesse wegen PCs, Druckern und Multifunktionsgeräten anhängig. So kommentiert die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort), die die Abgabe an 130 000 Autoren und Journalisten sowie 6000 Verlage weiterreicht, knapp: "Schwachsinn". Und wer, fragt man bei der VG Wort, soll die 10-Prozent-Quote ermitteln, was ist eine "unzumutbare" Belastung? Die Geräte würden immer leistungsfähiger und billiger, Geld werde mit Tinte und Zubehör verdient. Daher sei die Novelle eine "Enteignung der Urheber zugunsten der Geräteindustrie". Lutz Franke vom VG Wort-Vorstand fürchtet, dass statt 91 Millionen Euro bald nur noch 50 Millionen verteilt werden können. Vor "schleichender Enteignung" sprechen auch die Verwertungsgesellschaft Gema, der Deutsche Musikrat und die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten. Sie warnen vor einem Minus von 60 Prozent oder 54 Millionen Euro für Komponisten, Textautoren und Musikverleger.

Der zweite Streitpunkt: Bibliotheken und Archive sollen gedruckte Werke digitalisieren und an beliebig vielen Terminals zugänglich machen können. Weil dafür nur ein gedrucktes Exemplar im Haus sein muss, laufen vor allem wissenschaftliche Verleger Sturm. "In Zukunft", so Christian Sprang, Justitiar im Börsenverein des deutschen Buchhandels, "müssten Bibliotheken anstelle von bisher 30 Exemplaren eines Lehrbuches nur noch eines bestellen." Der Börsenverein sieht in der Urheberrechtsnovelle den Versuch von Bund und Ländern, "Ausgaben im öffentlichen Bildungs- und Forschungssystem einzusparen."

Dieses Motiv war der Stellungnahme des Bundesrats überdeutlich anzusehen: Die Kulturminister der Länder forderten ein "bildungs- und wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht" - im Klartext: kostenlosen Zugriff für Forschende und Studierende. Bei der Bundesregierung fanden sie kein Gehör.

Derzeit setzen die Kontrahenten hinter den Kulissen alle Hebel in Bewegung. Änderungen am Entwurf sind bis zur letzten Minute, bis zur Verabschiedung in der zweiten Jahreshälfte, möglich und auch zu erwarten. Die Kampagnen von Kreativen und Medienwirtschaft sind gerade angelaufen. Der Großen Koalition droht ein heißer Herbst.

Jörg Plath

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