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Barenboim mit der Staatskapelle und dem Chor der Staatsoper.

© Peter Adamik

Berliner Staatsoper: Daniel Barenboims Comeback

Mehr als vier Monate musste Daniel Barenboim krankheitsbedingt pausieren. Zu Silvester konnte er nun Beethovens Neunte Unter den Linden dirigieren.

Vor dem Dirigentenpult fehlt der Notenständer – na klar, denn Daniel Barenboim dirigiert Beethovens Neunte selbstverständlich auswendig. Unzählige Male hat er die Sinfonie schon interpretiert, mit der Berliner Staatskapelle führt er sie seit 1992 traditionell zu Silvester auf.

Dass es auch dieses Jahr wieder so sein würde, war jedoch bis zum 9. Dezember nicht sicher. Denn seit Ende August war der Maestro gezwungen, krankheitsbedingt zu pausieren. Er hatte darauf verzichten müssen, den neuen „Ring des Nibelungen“ zu leiten, das Konzert zu seinem 80. Geburtstag am 15. November wurde abgesagt. Dann aber teilte das Opernhaus mit: „Daniel Barenboim dirigiert die Konzerte zum Jahreswechsel, die am 31. Dezember und 1. Januar in der Staatsoper Unter den Linden stattfinden.“ 

Eine Interpretation, die überrascht

Ein lapidarer Zweizeiler, der ein Comeback ankündigte, das vielen wie ein Wunder erscheint. Und der Genesene nimmt sich mit der Neunten gleich eine der anspruchsvollsten Partituren der Musikgeschichte vor, 90 Minuten lang, in ganz großer Besetzung! Nicht einmal ein Stuhl steht auf dem Dirigentenpodium, als sich am Samstag der Staatsopernsaal mit dem festlich gestimmten Publikum füllt.

Dabei hatte Barenboim seinen letzten Berliner Auftritt, das sommerliche „Staatsoper für alle“-Konzert auf dem Bebelplatz nur im Sitzen absolvieren können. Im allerletzten Moment, bevor die Musiker:innen auftreten, erscheint dann aber doch ein Orchesterwart und hievt eine Art Barhocker aufs Podium.

Gemessenen Schrittes, aber trittsicher, erscheint Daniel Barenboim, nimmt gerührt den prasselnden Begrüßungsapplaus entgegen – und beginnt eine Interpretation, die überrascht. Mild und abgeklärt erscheinen die ersten beiden Sätze der „Götterfunken“-Sinfonie, das Wild-Aufbrausende, Titanische, das Beethovens opus magnum bei Barenboim sonst stets hatte, fehlt völlig. Als wär’s ein Werk von Haydn, entwickeln sich die tönenden Strukturen, mit Elan, aber in klassischer Noblesse.

Daniel Barenboim ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Staatskapelle Berlin.

© Monika Rittershaus

Allein die auftrumpfenden Pauken stechen heraus, erinnern an Zeiten, als diese Musik unter Barenboims feuertrunkener Stabfühlung dampfte und schwitzte. Nichts Aggressives hat das „molto vivace“ des 2. Satzes mehr, der Gestus ist tänzerisch, selbst im Fortissimo dominiert elegante Agilität. Mit knappen Gesten leitet Barenboim sein Orchester, beschränkt sich in der Zeichengebung auf das Nötigste. „Man will nichts, man lässt es geschehen“: Sergiu Celibidaches Credo kommt einem in den Sinn.

Der langsame Satz wird zum Herzstück des Abends: Schon immer war Barenboim hier langsamer als die meisten seiner Kollegen, jetzt jedoch droht der Fluss der Töne förmlich auszutrocknen. Die Staatskapelle jedoch vermag diesen radikal reduzierten Puls aufzunehmen - und in ihren berühmten, betörenden Samtklang umzusetzen. Der Spannungsbogen hält, selbst in dieser slow motion.

Radikale Ausbremsungen prägen auch das Chorfinale, doch hier geht Barenboims Rechnung nicht auf. Vieles fällt auseinander, auch weil menschliche Stimmen nun einmal darauf angewiesen sind, irgendwann zu atmen. Stehende Ovationen für den Maestro gibt es natürlich trotzdem. Schon am 6. Januar will er wieder auf der Bühne stehen, dann bei den Berliner Philharmonikern.

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