zum Hauptinhalt
ARCHIV - 01.10.2015, Spanien, Barcelona: Martin Amis, britischer Autor, aufgenommen vor der Präsentation seines Buches "Interessengebiet". Amis, durch Romane wie «Gierig», «London Fields» oder «Die schwangere Witwe» bekannt, ist tot. Foto: Alejandro Garcia/EFE/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Alejandro Garcia

Britischer Schriftsteller Martin Amis gestorben: Posterboy der Literatur

In den achtziger und neunziger Jahren ein Literaturstar, dann Autor von Autofiktionen und dem Holocaust-Roman „Interessengebiet“. Ein Nachruf auf den britischen Schriftsteller Martin Amis.

Am Ende seines letzten Buches „Inside Story“ macht Martin Amis dem verstorbenen Freund Christopher Hitchens eine lange Liebeserklärung, es sind die Tage kurz nach dessen Tod im Dezember 2011. Amis schreibt vom „taufeuchten kleinen Geheimnis der Literatur“, davon, dass ihre Energie die Liebe sei. Und: „Bei Essayisten war der Liebestransfer mehr oder weniger unbekannt, bis Christopher Hitchens daherkam – er daherkam und wieder ging.“

Man fragt sich, wie sehr Martin Amis zu diesem Zeitpunkt schon mit dem eigenen Tod beschäftigt war, zumindest mit der Erkrankung, die Hitchens mit 62 Jahren und nun auch Amis mit relativ jungen 73 das Leben gekostet hat: Speiseröhrenkrebs.

Martin Amis schreibt in „Inside Story“, seiner zweiten, 2020 veröffentlichten Autobiografie (nach dem Buch „Hauptsachen“ von Anfang der nuller Jahre): „Ich möchte noch so einige Kurzgeschichten geschafft bekommen (die meisten über Rasse in Amerika), und mir schwebt eine dritte Arbeit übers ,Dritte Reich’ vor – eine bescheidene Novelle. Ein weiteres längeres Werk, gar ein langes, scheint jetzt doch unwahrscheinlich. Wir werden sehen.“

Autor von „Zone of Interest“

Diese Pläne verweisen darauf, womit sich der 1949 in Oxford als Sohn des Schriftsteller Kingsley Amis geborene Amis in seinen späteren Jahren zunehmend beschäftigt hat: mit den Untaten Stalins wie in „Koba der Schreckliche - die zwanzig Millionen und das Gelächter“, und vor allem mit dem Nationalsozialismus. Mit dem Roman „The Zone of Interest“, auf Deutsch „Interessengebiet“, hatte er sich 2014 direkt in das Zentrum des Grauens von Auschwitz begeben - und dann darin unter anderem eine Liebesgeschichte erzählt.

Mehr noch als eine Lovestory ist „Interessengebiet“, dessen Verfilmung durch Jonathan Glazer gerade bei den Filmfestspielen in Cannes für Aufsehen sorgt, in großen Teilen eine satirische Komödie. Es habe halt, so Amis einmal als Begründung dafür, im Nationalsozialismus viele lächerliche Anteile gegeben. Außerdem sei ihm die Idee für einen solcherart gestalteten Holocaust-Roman aus dem „Unbewussten“ gekommen, ähnlich wie seinerzeit bei Nabokov mit „Lolita“. All das sorgte insbesondere in Deutschland für Stirnrunzeln, nicht zuletzt wegen der Skandalträchtigkeit des Romans wollte hierzulande zunächst kein Verlag zugreifen. („Zone of Interest“ erschien dann auf Deutsch bei dem Schweizer Verlag Kein & Aber).

Selbst meine Zähne machten Schlagzeilen.

Martin Amis in seiner Autobiografie „Hauptsachen“

Doch hatte es Amis zu dieser Zeit sowieso schon schwer, außerhalb des angloamerikanischen Raums ein größeres Publikum zu finden. Seine Jahrzehnte waren die achtziger und frühen neunziger Jahre. Deren Stimmung brachte er mit intelligenten, bösen, apokalyptischen Romanen wie „Gierig“, „1999“ und „Information“ auf den Punkt. „Money. The Suicide Note“, wie „Gierig“ im 1984 veröffentlichten Original heißt, wurde zuletzt vom „Time Magazine“ in eine Liste mit den 100 besten englischsprachigen Romanen seit 1923 aufgenommen.

Höhere Form von Autobiografie

Man konnte Amis’ Erfolgsromane als höhere Form von Autobiografie verstehen. Denn sein Privatleben, seine Ehen, seine damals exorbitanten Vorschüsse, die Beziehung zu seinem Vater und zu Schriftstellerfreunden wie Julian Barnes (mit dem er sich zerstritt), Ian McEwan, Saul Bellow (eine Art zweiter Vater und Vorbild) und natürlich Hitchens, all das sorgte in England und auch in den USA, wo er zuletzt lebte, für Gesprächsstoff, auf dem Boulevard wie in seriösen Medien. Wie schrieb er in „Hauptsachen“: „Als mein Vater sich in den sechziger Jahren die Zähne richten ließ, berichteten die Zeitungen nicht darüber. (...) Meine Zähne machten Schlagzeilen.“

Amis war ein Posterboy der Literatur, ein Literaturpopstar, als es solche noch nicht gab – aber eben auch ein Phänomen der Liebe zur Literatur. Nun ist Martin Amis am Freitag in seinem Haus in Lake Worth, Florida gestorben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false