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Provenienzforschung sichtbar gemacht. Ausstellungssaal im Kunstmuseum Bern.

© Kunstmuseum Bern, Foto: Monika Flueckiger

Ausstellung im Kunstmuseum Bern: Die unendliche Gurlitt-Geschichte

Das Kunstmuseum Bern als Erbe der Sammlung von Hildebrand Gurlitt zieht Bilanz. Eine Ende ist nicht absehbar.

Zwölf Jahre ist es her, dass Cornelius Gurlitt auf seiner Zugfahrt von München nach Zürich den Zollbeamten auffiel. Anfang 2012 wurde seine Wohnung durchsucht, die vom Vater geerbte Kunstsammlung sichergestellt. Der größte Skandal um NS-Raubkunst in der Bundesrepublik nahm seinen Lauf. Der Fall Hildebrand Gurlitt, Chefeinkäufer für das „Führer“-Museum in Linz, veränderte den Blick auf die Bestände in den deutschen Museen - und wie der Kulturbetrieb nach 1945 wieder auf die Beine kam.

Zu den überraschendsten Wendungen des Falls wurde die Entscheidung Cornelius Gurlitts, die 1600 Werke umfassende Sammlung, die eigentlich nie hätte konfisziert werden dürfen, testamentarisch dem Kunstmuseum Bern zu vermachen: ein schwieriges Erbe, mit dem sich das Haus aber auch als Aufklärungsstelle Nummer eins in der Schweiz profilierte. Nicht immer zur Freude anderer Museen, die die „Washingtoner Prinzipien“, welche die Bedingungen einer Restitution an jüdische Nachfahren regelt, weniger streng für sich auslegen.

Mit der Ausstellung „Gurlitt. Eine Bilanz“ präsentiert das Kunstmuseum nun seinen aktuellen Forschungsstand und führt die selbst angelegten Maßstäbe vor. Das in Bern entwickelte Ampelsystem – grün für einwandfreie Werke, rot für NS-bedingt entzogene Kunst, gelb-grün für lückenhafte Provenienz, aber ohne Belege für einen unrechtmäßigen Entzug und gelb-rot für kritische Verdachtsmomente – hat einerseits Nachahmer gefunden, stößt aber andererseits auch Kritik. Die Rückgabe von zwei Dix-Werken Ende 2021, für die es keinen lückenlosen Nachweis gab, galt als Tabubruch. In der Museumswelt begann es zu rumoren.

Die Berner Bilanz-Ausstellung liefert nun die Argumente für die umstrittene Entscheidung auch für das große Publikum nach: warum es entgegen bisherigen Gepflogenheiten richtig sein kann, die Kriterien für eine Rückgabe weiter zu fassen. Bereits Hildebrand Gurlitts Biografie macht deutlich, wie schwierig eine Beurteilung sein kann.

Der ambitionierte Museumsmann wechselte nach seiner Entlassung durch die rechten Parteien im Zwickauer Stadtrat als weiterhin engagierter Leiter an den Hamburger Kunstverein. Kunsthändler wider Willen seit 1933 ging er dann jedoch den Pakt mit den Nationalsozialisten ein und wurde deren größter Gemäldeverschieber aus dem besetzten Frankreich. Nach seiner Entnazifizierung wirkte er wieder als Kunstvereinsdirektor, nun in Düsseldorf, wo er nach den finsteren Jahren die Wiederauferstehung der Moderne als geistigen Befreiungsakt zelebrierte.

Die mit Din-A4-Fotokopien seiner Werke tapezierten Wände im ersten großen Ausstellungssaal geben eine Ahnung vom Umfang der von Gurlitt in diesen Jahren angehäuften, stets geheim gehaltenen Sammlung, deren heterogene Zusammensetzung typisch für den Bestand eines Kunsthändlers ist. Die schiere Masse überwältigt - ebenso die damit verbundene Arbeit, ihre Herkunft zu rekonstruieren.

Nikola Doll, Kuratorin der Ausstellung und Leiterin der Abteilung Provenienzforschung am Museum, hat nach dieser eindrucksvollen Ouvertüre mit einem 14 Stationen umfassenden Parcours Pfade durch das Dickicht an Materialien, Hinweisen, verdeckten Spuren geschaffen, mit einer eingängigen Optik Wege durch die Fülle an Informationen gebahnt (Szenographie: Holzer Kobler Architekturen, Zürich/Berlin).

Plastisch tritt vor Augen, wie durch die NS-Aktion „entartete Kunst“ die in den 1920er Jahren aufgebauten Moderne-Sammlungen in den Museen nur wenig später zerstört wurden und clevere Händler wie Hildebrand Gurlitt von den Beschlagnahmungen profitierten – zu seiner Rechtfertigung nach 1945 als Rettungstat deklariert. Noch mehr profitierte Gurlitt vom Raubzug der Deutschen im besetzten Frankreich, Millionenbeträge gingen durch seine Hände bei der Vermittlung von Bildern an deutsche Museen. Nur mühsam lassen sich seine durch entfernte Inventarnummern, Stempel, Aufkleber verschleierten Deals rekonstruieren.

Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, wie konnte eine Schlüsselfigur wie Gurlitt im Nachkriegsdeutschland als hofierter Ausstellungsmacher wieder reüssieren, ja sich als Retter der Moderne gerieren? Die traurige Antwort: Die neuen Akteure waren die alten, das System stütze sie weiterhin. Es wurde geschwiegen und weitergemacht.

Wie stabil diese Strukturen sind, erweist sich an der gerade in der Schweiz aufflammenden Diskussion ums Fluchtgut, das in den Museen gelandet ist. Gehört es nicht ebenso restituiert? Klebt nicht auch daran in einigen Fällen Blut? Bislang wurde nur ungern an das Thema gerührt. Von den 1200 Werken der Sammlung Gurlitt konnte allein für 14 eindeutig der Beweis erbracht werden, dass sie NS-bedingt entzogen wurden. Die letzte Übergabe an die Nachfahren einstiger Besitzer durch die Bundesrepublik fand im Januar vergangenen Jahres mit einer Spitzweg-Zeichnung statt.

Bern hat nun angefangen die Ränder aufzuweichen, wie Kritiker monieren mögen, indem es auch schon bei überwiegenden Verdachtsmomenten eine Restitution für angemessen hält, weil allerletzte Gewissheit über 75 Jahre später nicht mehr zu gewinnen ist. An rund 25 Werken der Kategorie wird am Kunstmuseum derzeit weitergeforscht. „Wer sucht, der findet auch“, kommentiert die Provenienzforscherin Nicola Doll die unendliche Gurlitt-Geschichte.

Mit der Ankündigung, sich auch dem Fluchtgut im eigenen Hause widmen zu wollen, begeht das Museum den nächsten Tabubruch. Für weitere Beunruhigung sorgte jüngst der Hinweis von Marcel Brülhart, Mitglied im Stiftungsrat, dass sich im Gurlitt-Nachlass Dutzende Schlüssel befunden hätten, die vermutlich zu Bank-Schließfächern gehörten. Gut möglich, dass darin weitere Werke auftauchen und damit das nächste Kapitel aufgeschlagen wird.

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