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Bernd Wilms vor dem legendären "Verweile doch"-Schriftzug am Deutschen Theater

© Kai-Uwe Heinrich

Theatermann Bernd Wilms wird 80: Aus Liebe zu den Schauspielerinnen und Schauspielern

In Berlin hat Bernd Wilms das Gorki und das Deutsche Theater geprägt: Ein Geburtstagsgruß von Oliver Reese, dem Intendanten des Berliner Ensembles.

Die Geschichte des Dramaturgen und späteren Intendanten Bernd Wilms aus Solingen ist tatsächlich ein Stück Berliner Nachwende-Theatergeschichte, und das kam so: Als ich Bernd Wilms kennenlernte, war er Dramaturg an den Münchner Kammerspielen unter Dieter Dorn; einer, der Schauspieler bewundern konnte und versuchte, mit der eigenen Genauigkeit ihnen (und natürlich auch der Regie) im richtigen Moment zu helfen.

Und einer, der nicht heimlich Regisseur sein wollte. Spät allerdings, mit 50 erst, doch noch Intendant. Zuvor war er Direktor der damals vielleicht besten Schauspielschule Deutschlands, der Otto-Falckenberg-Schule in München. Sein trefflicher, analytischer, nie bösartiger Blick auf Menschen hat hier entschieden Talente erkannt.

Ich war ein naseweiser, aber theatervernarrter Zivildienstleistender, als ich ihn das erste Mal zum Vorstellungsgespräch traf. Eine Erscheinung wie aus dem Bilderbuch: Wilms trug Hut zum Trenchcoat, die Pfeife im Mundwinkel und die Aktentasche immer bei sich, ein intellektueller Sherlock Holmes. Bald darauf musste er mich offiziell abmahnen – ich hatte nicht nur im eigenen Theater gebuht, sondern mich damit auch noch in der Kantine gebrüstet, der Schauspieler Ignaz Kirchner tobte.

Die erste Intendanz schmiss er nach drei Jahren hin

Aber vermutlich war ausgerechnet dieses verdruckste Gespräch der Moment, in dem unsere lange und innige Arbeitsbeziehung begann. Mit 25 wurde ich sein Chefdramaturg der ersten Intendantenstation Ulm. Ich durfte vieles ausprobieren und vor allem durfte ich Fehler machen. Wilms hat mir vertraut, die ganzen 17 Jahre unserer engen Zusammenarbeit an drei Theatern.

Die Ulmer Intendanz endete abrupt nach drei Jahren. Wilms schmiss hin, wollte die Kürzungen am ohnedies armen Dreispartentheater nicht mitmachen, auch wenn viele junge, ganz unprovinzielle Begabungen ihm in die schwäbische Provinz gefolgt waren.

Unvergessen der Tag, an dem Bernd Wilms – da waren wir gerade noch in Ulm – meine Dramaturgenstube betrat und lächelnd fragte, ob ich eigentlich die Bühnenbreite des Berliner Gorki-Theaters kenne? War er verrückt geworden? Nein, aber doch verrückt genug, ein Himmelfahrtskommando anzunehmen: die Nachfolge der 26-jährigen Gorki-Intendanz von Albert Hetterle. 26 Jahre! Länger als Castorf an der Volksbühne! Aber Hetterle war Mitglied der SED-Bezirksleitung gewesen, und da hatte es der Berliner Senat im Jahre 1994 sehr eilig …

Die einzigen Wessis am Gorki Theater

Es galt nichts weniger, als innerhalb weniger Monate und fast ohne Vorbereitungszeit an einem Haus die Wende nachzuholen, an dem außer Wilms und mir kein einziger Mitarbeiter aus dem Westen engagiert war. „Wen meinen Sie, wenn Sie ‚wir' sagen?“ war die einzige, beißend kalte Frage auf der ersten Ensembleversammlung.

Sieben Jahre später war das Experiment gut gegangen und ein Theater, das schon öffentlich zur Disposition gestellt worden war, dauerhaft gerettet. Woran ganz gewiss der Coup mit dem „Hauptmann von Köpenick“ einen wesentlichen Anteil hatte. In Katharina Thalbachs ulkig-sentimentaler Regie spielte Harald Juhnke seine letzte Theaterrolle vor dem endgültigen alkoholbedingten Zusammenbruch.

„Wat haste jemacht mit dein Leben?“ Wenn Juhnke diese Frage an den Schuster Wilhelm Voigt im Himmel imaginierte, blieb kein Auge trocken, das war einfach ganz großes (Volks-)Theater.

Promoviert hat er über den Schwank

Wilms hatte immer eine große Liebe für Entertainment und Unterhaltungskunst, seine Promotion handelt vom deutschen Schwank. Dass er, der Juhnke stets persönlich vor Abstürzen zu bewahren versuchte, sich auf einem Foto in der Boulevardpresse als „Juhnke und sein Saufkumpan“ wiederfand, war weniger komisch als gleichermaßen traurig und falsch.

Nach dem nächsten sensationellen Gorki-Erfolg mit Ben Becker als Franz Biberkopf in der allerersten Theater-Adaption von „Berlin Alexanderplatz“ kam die nächste Berliner Intendanz – die des Deutschen Theaters. Wieder blies schärfster Gegenwind. Nicht nur in dieser Zeitung machte das hässliche Wort von der „Laubenpieper-Lösung“ die Runde, auch am Haus selbst waren „die vom Gorki“ höchst unwillkommen.

Noch heute bewundere ich die Nehmer-Qualitäten meines Intendanten, der fest daran glaubte, dass er es allen schon noch zeigen würde – und meinem vorsichtigen Rat, ob wir nicht bleiben sollten, wo wir waren, entschieden die kalte Schulter zeigte. Nach den ersten mittelerfolgreichen Jahren und vielen internen Kämpfen schien das Schicksal besiegelt, als der Schriftsteller Christoph Hein zum Nachfolger ausgerufen wurde.

Ausgerechnet an dem Tag, als die riesige Skulptur auf dem Vorplatz des Theaters enthüllt wurde, die der Bühnenbildner Olaf Altmann im Zusammenhang mit dem Thalheimer-Faust entworfen hatte! Da standen nun die Worte: „Verweile doch“. Es erschienen süffisante Pressekommentare, aber das „Verweile doch“ wurde Kult – und erwies sich bald als self-fulfilling prophecy. Hein trat rasch vom Theatermachenwollen zurück, Wilms wurde zum Bleiben gebeten, der Rest ist Theatermärchengeschichte.

Große Momente mit Gosch, Gotscheff und Thalheimer

Das Deutsche Theater wurde „Theater des Jahres 2008“ und stellte zugleich die besten Leistungen in den Sparten Aufführung und Schauspieler sowie Schauspielerin des Jahres. Dies war das Ergebnis mühevoller Jahre, die in einer der glücklichsten denkbaren Theaterzeiten mündeten. Bernd Wilms war klug genug, die Regisseure Jürgen Gosch, Dimiter Gotscheff und Michael Thalheimer machen zu lassen; sie sollten an seinem Haus einfach so viel inszenieren, wie sie wollten. Das Ergebnis waren Sternstunden, getragen von einem wunderbaren, unvergleichlichen Ensemble, das aus alt und neu, Ost und West zusammengewachsen war.

Da war sie wieder, die Liebe zu den Schauspielern! Sternstunden wie die rauschhafte „Emilia Galotti“ mit einer heißkalten Nina Hoss, der martialische „Faust“ (1 und 2!), die genial geduckten „Ratten“ – alle von Thalheimer –, „Virginia Woolf“ mit dem theatralen Traumpaar Matthes/Harfouch, eine ganze Reihe von Schimmelpfennig-Uraufführungen sowie der unvergessliche „Onkel Wanja“ – Inszenierungen von Jürgen Gosch, den Wilms die Größe hatte zurück ans DT zu holen, nachdem er ihn nach dessen glücklosen Jahren unter seinem Vorgänger erst einmal nicht weiter engagiert hatte.

Und dann der grummelnde Gotscheff, der an unserem DT, nicht an der Volksbühne, erstmals nach seinen Assistententagen in Berlin arbeitete und schließlich mit den monolithischen „Persern“ eine weitere „Aufführung des Jahres“ zeigte. Das Duo Wolfram Koch/Samuel Finzi waren die Antagonisten zum anderen Schauspieler-Paar Sven Lehmann/Ingo Hülsmann, die viele Thalheimer-Aufführungen prägten.

Die Theaterkarriere beendet er auf dem Höhepunkt

Der Weg des viel zu früh verstorbenen Lehmann zum großen Schauspieler, der er erst an diesem Deutschen Theater geworden war, ist nur ein Beispiel für die glückliche Hand bei der Ensemble-Wahl, bei der auch aufs Abstellgleis geratene Schauspielerinnen wie Margit Bendokat neu aufblühen konnten – diese unverkennbare Schauspielerin hatte lange Jahre keine einzige Premiere gehabt, plötzlich rissen sich alle darum, mit ihr zu arbeiten. Glücksfälle, unvergesslich.

Der Intendant Wilms entschied, sein Berufsleben auf seinem Höhepunkt zu beenden, ein Zeitpunkt, an dem nur die wenigsten freiwillig gehen. Aber Bernd Wilms verabschiedete sich Richtung Hauptstadt-Kulturfonds und schließlich in den Ruhestand im Brandenburgischen, er ging gelassen als Sieger vom Platz. Und „Onkel Wanja“, Regie Gosch, Dramaturgie Wilms, läuft noch immer, stets ausverkauft, als Stück höchst lebendiger Theatergeschichte am DT.

Heute feiert Wilms, natürlich zusammen mit seiner Frau Brigitte, ohne die er schlicht nicht denkbar ist, seinen 80.Geburtstag. Auf sein Werk, falls es das bei Intendanten gibt, kann er stolz sein. Danke für alles, lieber Bernd, und herzlichen Glückwunsch!

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