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RECORD DATE NOT STATED Sabina von Steinbach, 1844. Creator: Schwind, Moritz Ludwig, von 1804-1871.

© IMAGO/Heritage Images/Fine Art Images

Auf den Spuren einer mysteriösen Bildhauerin: Wie Sabina von Steinbach in die Kunstgeschichte kam

Gab es die mittelalterliche Bildhauerin Sabina von Steinbach? Wenn nicht, warum hat man sie erfunden? Und was macht sie auf dem Fries der Alten Nationalgalerie? Die Künstlerin Wiebke Elzel ließ diese Frage nicht mehr los. Ihre Recherchen hat sie als Buch herausgebracht.

Einzelne Frauen unter Männern stechen heraus, sie fallen auf, das war früher wie heute so. Den Fries im Treppenhaus in der Alten Nationalgalerie mit der Darstellung von Repräsentanten aus Politik, Kultur und Wissenschaft gibt es seit knapp 150 Jahren. Die Künstlerin Wiebke Elzel war sicher nicht die erste Person, der die Statue der Sabina von Steinbach ins Auge stach.

Denn „unter den dargestellten Persönlichkeiten befinden sich nur vier Frauen. Sabina von Steinbach ist die erstgenannte von ihnen und die einzige, die nicht von adliger Herkunft ist“, schreibt Wiebke Elzel in ihrem Buch „Sabina. Rekonstruktion einer Recherche“.

Sicherlich war Wiebke Elzel auch nicht die Erste, die sich mehr für ihre Herkunft interessierte. Wer Sabina von Steinbach googelt, findet neben ihrer Beschreibung als „Steinmetzin der Gotik“ auch Hinweise darauf, dass ihre Existenz nicht vollends geklärt ist.

Doch wo andere Menschen das Thema hätten auf sich beruhen lassen, begann für Wiebke Elzel erst die Recherche. „Es hat mich geärgert und frustriert. Was für ein Skandal, dass Sabina immer noch unverändert dort steht! Aber es hatte auch eine gewisse Komik: Da war diese Frau, und es hat sie wahrscheinlich nie gegeben“, erzählt sie im Gespräch.

Von Steinbach zu Steinbach gereist

Ihre Veröffentlichung über die Suche nach Sabina von Steinbach ist ein Kunstwerk im Buchformat geworden. Wiebke Elzel ist Fotografin, die stimmungsvollen Abbildungen stechen sofort ins Auge. Sie zeigen, wie ihre Recherche einer Odyssee glich. Die Fotografien dokumentieren Besuche in Steinbach im Hochtaunus, Steinbach nahe Baden-Baden, Steinbach im Donnersbergkreis, Steinbach im Kreis Kusel, Steinbach im Landkreis Neunkirchen, Steinbach im Rhein-Hunsrück-Kreis und Steinbach im Landkreis Saarlouis.

Verschiedene Schriftarten sind verschiedenen Protagonistinnen und Notizbüchern zugeordnet, aus denen Elzel zitiert. Pfeile verweisen hin und her zwischen Kapiteln und Quellen, illustrieren das assoziative Arbeiten der Künstlerin und visualisieren das Gedankengerüst, das sich um Sabina von Steinbach in den drei Jahren Forschung bildete. Das Buch wirkt wie ein intimer Blick in die Denkweise der Künstlerin: intuitiv, kreuz und quer. Neben einer Herausgeberfigur, die neutral die Recherche nacherzählt, gibt es die Protagonistin W, „zwischen der sich vieles mit mir deckt“, so Wiebke Elzel.

Den linken Treppenaufgang der Alten Nationalgalerie nehmen und schon sticht sie einem ins Auge: Sabina von Steinbach.

© (c) Teresa Rübel

Wer war Sabina?

Sabina von Steinbach soll Bildhauerin gewesen sein, Tochter des Bildhauers Erwin von Steinbach. Ihr werden zwei Statuen am Straßburger Münster zugeschrieben. Doch die Quellenlage ist dünn. Forschungsergebnisse legen nahe, dass sie weit vor Erwin lebte. Und die zwei Statuen am Straßburger Münster wurden vermutlich nicht von einer Sabina geschaffen, sondern lediglich von einer finanziert. Die Sabina aus zahlreichen Romanen und im Fries der Alten Nationalgalerie könnte eine Fiktion gewesen sein.

Sollte es sie doch gegeben haben, dann hat Wiebke Elzel eines mit ihr gemeinsam: Sie sind beide Künstlerinnen in einer männlich dominierten Kunstwelt. Im Mittelalter war es schwierig für eine Frau, einen Beruf auszuüben, und Wiebke Elzels Protagonistin W ist „in eine frauenfeindliche Welt hineingeboren worden, die allerdings zu jenem Zeitpunkt glaubte, ihre Frauenfeindlichkeit weitgehend überwunden zu haben“. Es habe sie in ihrer Kindheit und Jugend stark irritiert, dass Männer als neutrale Menschen galten, ihre Vormachtstellung aber geleugnet wurde.

Interessante Frauen erfinden

Als während ihrer Recherche Zweifel an Sabinas Existenz auftreten, verspürt die Figur W aus Elzels Buch Frustration: „Was wurde hier behauptet? Dass man interessante Frauen erfinden musste, weil es sie in Wirklichkeit nicht gegeben hatte?“

Doch gab es sie. Und die Museen stellen sie endlich aus. Das Bucerius Kunstforum setzte letztes Jahr mit „Genialen Frauen“, so der Ausstellungstitel“, einen Akzent, das Arp Museum in Remagen aktuell mit „Maestras“.

Auch wenn es trendy ist, momentan nur Künstlerinnen auszustellen, ist es immer noch etwas Besonderes - jenseits vom Kanon. Immerhin nicht mehr „herablassend“, „abseitig, in kleinen Kabinetten jenseits der Hauptsäle“, wie Wiebke Elzel Museumsbesuche Anfang der Nullerjahre beschreibt, mit Ausstellungen, die Titel wie „Frauen in der Kunst“ trugen.

Damals aber, beim Bau des Frieses in der Alten Nationalgalerie 1870 bis 1875, war man von feministischem Bestreben weit entfernt. Warum also wurde Sabina in den Fries aufgenommen, warum eine Künstlerin erfunden, die es gar nicht gab? Denn Zweifel an ihrer Existenz bestanden bereits zum Zeitpunkt der Planung des Museums.

Politisch fragwürdige Agenden

Hier setzt das einzige vollfiktive Kapitel des Buchs an: eine Sitzung derjenigen Männer, die darüber entscheiden, ob Sabina auf den Fries kommt oder nicht. Die Herren, das sind Kunsthistoriker, der Architekt der Alten Nationalgalerie, der damalige Kultusminister und weitere Interessensvertreter, die es wirklich gegeben hat. Das Gespräch ist jedoch eine freie Erfindung. Doch es könnte so oder ähnlich stattgefunden haben. Und so verfolgen die Herren in dem Kapitel jeweils ihre eigenen fragwürdigen Agenden.

Bei Elzel fällt der Entstehungszeitpunkt des Frieses in die Zeit kurz nach dem deutsch-französischen Krieg. Die Annexion vom Elsass 1871 durch Deutschland war auch mit einer ideologischen Eingliederung verbunden. Mit der Behauptung, das Elsass sei von jeher deutsch gewesen, verband sich der Anspruch auf die Gotik als ur-deutsche Kunstrichtung.

Da kommt Sabina ins Spiel: Man brauchte in dem Fries unbedingt eine Künstlerin oder einen Künstler aus der Region. Sie wurde fälschlicherweise als deutsche Künstlerin der Gotik beansprucht, um größenwahnsinnige Kriegshandlungen zu rechtfertigen und ideologisch zu unterfüttern, so liest sich das letzte Kapitel.

War Sabina von Steinbach also eine Projektionsfigur von politischen Fantasien und Gesellschaftsbildern durch die Jahrhunderte hindurch? „Die Sabina auf dem Gemälde des Malers Moritz von Schwind erinnert mich an einige Mariendarstellungen. Auch in den Romanen und Erzählungen, aus dem 19. Jahrhundert, in denen Sabina als Protagonistin auftritt, wird sie oft auf seltsam biedere Weise romantisiert“, erzählt Wiebke Elzel im Gespräch. Ihre Theorie: Je weniger man über eine Person wisse, umso besser könne man sie mit irgendetwas füllen, was man sich selbst vorstelle. Doch auch diese Frage lässt sich nicht mehr abschließend beantworten. Sabina bleibt ein Mythos.

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