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Wahltransparente für Erdoğan und seine AKP in Istanbul.

© Reuters/Umit Bektas

Vor den Kommunalwahlen in der Türkei: Eine zerstrittene Opposition macht es Erdoğan leicht

Wenige Wochen vor den Kommunalwahlen in der Türkei verstricken sich Erdoğans politische Kontrahenten in Streit und Postengerangel. Gewinnt die Präsidentenpartei AKP jetzt Istanbul und andere Großstädte zurück?

Recep Tayyip Erdoğan wittert eine seltene Chance. Vor den türkischen Kommunalwahlen in diesem Monat umwirbt der Präsident eine Wählergruppe, die für seine Partei AKP normalerweise unerreichbar ist: Anhänger der Oppositionspartei CHP, der zweitgrößten politischen Kraft im Land und Gegnerin der islamisch-konservativen Politik des Präsidenten.

Er sehe doch, wie die CHP-Wählerschaft an ihrer eigenen Partei verzweifle, sagte Erdogan jetzt auf einer Wahlkampfveranstaltung. Der Präsident empfahl den CHP-Anhängern, zur AKP zu wechseln: „Ihr habt eine Alternative.“

Wenn die Türken am 31. März über neue Lokalparlamente und Bürgermeister entscheiden, liefern sie auch einen wichtigen Stimmungstest nach Erdoğans Siegen bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr.

Viele Wähler schimpfen über die Inflation von 65 Prozent, die trotz mehrerer Anhebungen des Mindestlohnes die Einkommen schrumpfen lässt. Selbst AKP-Anhänger kritisieren das Versagen der Wirtschaftspolitik.

Und trotzdem muss der 70-jährige Erdoğan keinen Denkzettel befürchten. Im Gegenteil: Er will am 31. März für die AKP die Macht in Istanbul und anderen Großstädte zurückgewinnen, die sie bei den letzten Kommunalwahlen vor fünf Jahren an die Opposition verloren hatte.

In der Metropole Istanbul mit ihren 16 Millionen Einwohnern eroberte damals der CHP-Politiker Ekrem Imamoğlu den Posten des Oberbürgermeisters von der AKP.

Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoğlu.
Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoğlu.

© Imago/Zuma Wire/Tolga Ildun

Wenn der 52-jährige Imamoğlu jetzt sein Amt verteidigt, steht er als Herausforderer von Erdoğan bei der nächsten Präsidentenwahl 2028 fest. Verliert Imamoğlu die Wahl in vier Wochen, muss sich die Opposition einen neuen Hoffnungsträger suchen.

Die Allianz der Opposition ist zerbrochen

Obwohl so viel auf dem Spiel steht, geht die Opposition zerstritten in die Wahlen. Ihre Allianz aus dem vergangenen Jahr, als sich sechs Parteien gegen Erdoğan zusammentaten, ist zerbrochen.

Die CHP als stärkte Oppositionskraft kann nicht von der Unzufriedenheit der Wähler profitieren, sondern stößt ihre Anhänger mit fragwürdigen Personalentscheidungen vor den Kopf. So hält sie in der Erdbebenprovinz Hatay an einem Bürgermeisterkandidaten fest, dem eine Mitschuld am Tod vieler Menschen bei der Katastrophe des vorigen Jahres gegeben wird.

Die CHP ist zudem mit dem Versuch gescheitert, sich die Unterstützung der Kurdenpartei DEM zu sichern; Imamoğlu verdankte seinen Wahlsieg in Istanbul 2019 nicht zuletzt den Stimmen der Kurden, die damals auf einen Bürgermeisterkandidaten verzichteten.

Diesmal geht die DEM mit eigenen Bewerbern ins Rennen, denn sie ist von Imamoğlu enttäuscht: Der Bürgermeister habe sich nach seinem Wahlsieg nicht mehr um die Kurden gekümmert, sagte DEM-Spitzenkandidatin Meral Danis Bestas dem Nachrichtenportal T24.

In den meisten Umfragen kommt die DEM in Istanbul auf etwa sechs Prozent – das könnte den Ausschlag geben, denn Imamoğlu liegt derzeit nur knapp vor dem Kandidaten der AKP, dem ehemaligen Bauminister Murat Kurum. Die AKP verweist auf eigene Umfragen, in denen ihr Kandidat Kurum die Nase vorn habe.

Machtkampf innerhalb der CHP-Partei

Auch in der eigenen Partei steht Imamoğlu vor Problemen. In der CHP tobt ein Machtkampf zwischen seiner Reformfraktion und der alten Elite der Partei.

Einige Parlamentsabgeordnete, Provinzpolitiker und Lokalfürsten der CHP wünschten sich Imamoğlus Niederlage am 31. März, kommentierte der Journalist Mehmet Tezkan im Sender Halk-TV. Sie befürchteten, bei einem Sieg von Imamoğlu ihre Posten zu verlieren.

Anstatt rechtzeitig zurückzutreten und somit Imamoğlu zu stärken, blieb Kilicdaroglu im Amt, was Imamoğlus Position geschwächt hat.

Hüseyin Cicek, Türkei-Experte an der Universität Wien, über Zwist in der CHP-Partei

Der Riss geht zum Teil auf einen vermurksten Neubeginn in der CHP nach den Niederlagen im vorigen Jahr zurück. Der damalige Parteichef Kemal Kilicdaroglu klammerte sich an seinen Posten und wurde erst im Herbst entmachtet. „Anstatt rechtzeitig zurückzutreten und somit Imamoğlu zu stärken, blieb Kilicdaroglu im Amt, was Imamoğlus Position geschwächt hat“, sagt Hüseyin Cicek, Türkei-Experte an der Universität Wien.

Kilicdaroglu sei erst von der Bildfläche verschwunden, „als der politische Schaden bereits tiefgreifend war“, sagte Cicek dem Tagesspiegel.

Zum Streit in der Opposition kommt Erdogans Macht über die Medien in der Türkei. Der Staatsender TRT, theoretisch zur Neutralität verpflichtet, berichtete seit Jahresbeginn fast 50 Stunden lang über Erdoğan, aber nur eine Dreiviertelstunde über Oppositionsführer Özgür Özel.

Wahlen in der Türkei sind größtenteils frei, aber fair sind sie wohl kaum.

Howard Eissenstat, Türkei-Experte an der St.-Lawrence-Universität in den USA

„Die meisten Leute schauen die meiste Zeit Medien, die der Regierungspartei nahestehen“, sagt Howard Eissenstat, der sich an der St.-Lawrence-Universität in den USA mit der Türkei befasst. „Wahlen in der Türkei sind größtenteils frei, aber fair sind sie wohl kaum.“

Im Endspurt des Wahlkampfes wird sich Erdoğan, der zurzeit durch die Provinz tingelt, ganz auf Istanbul konzentrieren. Schon jetzt sehe es so aus, als sei das halbe Kabinett ständig in Istanbul, um Wahlkampf zu machen, sagt ein Diplomat.

Erdoğan gibt sich siegessicher: Imamoğlus Erfolg vor fünf Jahren sei nur ein Ausrutscher gewesen, sagt der Präsident.

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