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Desinformationen vernebeln Fakten und Wahrheit besonders in Südosteuropa.

© imago/Christian Ohde / Imago/Christian Ohde

Fake News auf dem Balkan: Hysterie, Verschwörungen und russische Propaganda

Südosteuropa wird immer mehr zum Ziel von Desinformationskampagnen. Eine neue Studie zeigt auf, warum Falschnachrichten und Manipulation auf dem Balkan so gut funktionieren.

Ein Gastbeitrag von Christopher Nehring

Mal werden bulgarische Kinder an die Front in die Ukraine geschickt, mal werden Rumänien und Moldau vom Westen zwangsvereinigt und mal gibt es angeblich weder Gas noch Warmwasser: Wenn es um Desinformation geht, gilt Südosteuropa, von Istrien bis Transnistrien, als das Sorgenkind des Kontinents.

Die Themen sind dabei zahlreich: russische Einflussnahme, ethno-nationalistische Nachbarschaftskonflikte, EU-Erweiterung, Corona-Pandemie.

Einer Umfrage von Eurobarometer aus dem Jahr 2022 zufolge glaubten zum Beispiel 55 Prozent aller Bulgaren, oft oder sehr oft mit Desinformation in Kontakt zu kommen. Gleichzeitig fühlten sich über 60 Prozent sicher, Desinformation erkennen zu können. Eine weit verbreitete Impf- und Pandemieskepsis, allgegenwärtige Verschwörungstheorien und geringe Medienbildung sprechen allerdings dagegen.

Desinformation in Südosteuropa ist, wie die Studie des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt, ein Problem mit vielen Gesichtern. Die einzelnen Länder unterscheiden sich sehr stark darin, womit Desinformation betrieben wird – und von wem.

Russland als „Befreier und Brudervolk“

In Bulgarien, Serbien, Montenegro und Moldau ist russische Einflussnahme die häufigste Form politischer Desinformation. In Albanien, Kroatien, Kosovo oder Rumänien hingegen sind pro-russische Narrative verpönt. Dort wird Russland nicht als „Befreier und Brudervolk“, sondern vor allem als Unterstützer serbischer Nationalisten wahrgenommen.

Von Serbien aus sendet Russland seine Propaganda in die gesamte Region.

Christopher Nehring, Gast-Dozent an der Universität Sofia

Serbien ist ein Schlüsselland in der Region: Von hier aus sendet das Büro des kremltreuen Auslandssenders „Sputnik“ russische Propaganda in die gesamte Region. Auch Desinformation über die ewigen Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarstaaten schwappt von hier aus nach Kroatien, Bosnien und in den Kosovo. Solche Falschmeldungen sollen die Bevölkerung spalten und Konflikte anheizen. Aber Desinformation kommt nicht nur von außen.

In Bosnien und Montenegro gab es rechtskräftige Urteile gegen Mitarbeiter von „content farms“ und Troll-Fabriken, die im Auftrag politischer Parteien Stimmungsmache, Hate Speech und Fake News verbreiten. Meistens geht es darum, ethnische Konflikte und Feindschaften zwischen Parteien oder Politikern zu befeuern. In Rumänien setzten Oligarchen und verbündete Politiker hingegen ihre Online-Trolle auf ein anderes Thema an: Die Korruptionsbekämpfung der späteren EU-Staatsanwältin Laura Kövesi sei ein geheimer Plan, um rumänische Firmen zu enteignen und das Land an westliche Firmen zu verkaufen. 

Desinformationen werden recycelt und übernommen

Bei anderen Themen werden auch in Südosteuropa globale Desinformationsnarrative einfach recycelt: In Bulgarien adaptierten Online-Gruppen zum Beispiel einfach die von Donald Trump bekannte Hysterie vor angeblich manipulierten Wahlmaschinen.

Ebenso kursieren in allen Ländern nicht nur bekannte Lügen über einen angeblichen militärischen Angriff der Ukraine auf Russland am 24. Februar 2022, sondern auch alle gängigen Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie.

Gegenmaßnahmen

Die Länder ergreifen mittlerweile Maßnahmen gegen die Informationsmanipulation. In Nordmazedonien zum Beispiel veröffentlicht der Rat für Medienethik regelmäßig ein „Register professioneller Online-Medien“, die sich von Webportalen oder Blogs ohne klare Betreiber deutlich absetzen.

Im Kosovo gibt es einen Pilotversuch, Medienbildung als Wahlfach landesweit in Schulen einzuführen.

Christopher Nehring, Gast-Dozent an der Universität Sofia

Im Kosovo gibt es einen Pilotversuch, Medienbildung als Wahlfach landesweit in Schulen einzuführen. Mittlerweile gibt es zwar in jedem Land Südosteuropas mehr oder weniger anerkannte Faktenchecker. Neben Ressourcen mangelt es ihnen jedoch stets an Reichweite und manchmal auch an Qualität.

In den letzten Jahren reifte Desinformation in Südosteuropa zu einem Problem ohne Lösung. Viele Länder setzen der massiven äußeren Einflussnahme Russlands (und verstärkt Chinas) keine koordinierte Antwort entgegen.

Nicht selten verbreiten die Desinformationsfabriken sogar nur die irreführenden pro-russischen Botschaften, die ranghohe Politiker verkünden. Und wo zu viele Politiker und Parteien von und durch Desinformation profitieren, sind Gegenmaßnahmen unpopulär.

Die kommunistische Propaganda verschwand, aber das Misstrauen ist geblieben.

Georgi Gospodinow, bulgarischer Schriftsteller

Doch jede Desinformation braucht auch ein Publikum und Menschen, die sie glauben. Verlässliche Medien und Qualitätsjournalismus könnten da genauso helfen wie Medienbildung. Damit tun sich die Länder Südosteuropas allerdings schwer.

Die Probleme sind immer dieselben: unterfinanzierter Journalismus, Privatmedien in der Hand von Oligarchen und ein politisierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Dazu kommt ein krasses gesellschaftliches Misstrauen gegen Politiker, Medien, Wissenschaft und Eliten. „Die kommunistische Propaganda verschwand, aber das Misstrauen ist geblieben“, fasst es der bulgarische Schriftsteller Georgi Gospodinow auf einer Konferenz zum Thema zusammen.

Nicht zuletzt deswegen sind Facebook und Telegramm für große Gruppen die wichtigsten Informationsquellen. Doch mit der Frage, wie man sicher durch die Welt digitaler Information navigiert, werden die Bürger in der Region zumeist alleine gelassen.

Medienbildung, wird, wie zum Beispiel in Moldau, oft nur von internationalen Akteuren gefördert. Diese unheilvolle Mischung führt dazu, dass Desinformation in Südosteuropa leider allzu oft ihr Ziel erreicht: Wahrheit und Fakten zu vernebeln

Christopher Nehring ist Gast-Dozent des KAS-Medienprogramms Südosteuropa an der Universität Sofia zum Themengebiet „Medien, Desinformation und Geheimdienste“. Er ist Mit-Herausgeber des Sammelbandes „Blurring the Truth. Disinformation in Southeast Europe“ des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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