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Gesundheit: Der Traum vom schneeweißen Mercedes

Der Erzählwettbewerb endet am Sonntag mit einem Fest im Ethnologischen Museum. Und manche Sieger werden hinter die Kulissen schauen

Von Dorothee Nolte

Sein Leben lang hat er davon geträumt, von dem weißen Mercedes und wohl auch von dem fremden Land, in dem die Luxuskarrossen hergestellt werden. Nun steht das, was von seinem Leben und seinen Träumen übrig geblieben ist, in eine Plastikfolie eingehüllt auf einem Metallschrank in Berlin-Dahlem, bewacht nur von einem einsamen Magazinmitarbeiter. „Ein Sarg aus Ghana", sagt Angelika Tunis und deutet auf das schneeweiße, zwei Meter lange Holzgefährt. „In Ghana beerdigt man die Menschen gerne in einem Gegenstand, den sie sich immer gewünscht haben.“ Für sie, die seit 30 Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Museum arbeitet, ist das selbstverständlich, kaum der Rede wert.

Für andere dagegen, die düstere Eichensärge gewöhnt sind, ist es eine merkwürdige Vorstellung – der Tod als der Erfüller aller Wünsche, als Gabenspender, als Triumph über die geizige Wirklichkeit. Eine von zahllosen Merkwürdigkeiten, die sich im Ethnologischen Museum in Dahlem aufstöbern lassen und die von fremden Ländern und Sitten erzählen. Es kann daher wohl kaum einen geeigneteren Ort geben für das Erzählfest, mit dem der Wettbewerb „Fremd sein, In die Fremde gehen" an diesem Sonntag abschließt (Genaueres siehe Kasten).

Mit einer halben Million Objekte ist das Ethnologische Museum eines der größten Völkerkunde-Museen der Welt, und nur ein Bruchteil der Gegenstände wird in den Dauerausstellungen wie „Afrika" oder „Indianer Nordamerikas" präsentiert. Der Rest lagert in Magazinräumen, die nur mit wissenschaftlicher Begründung betreten werden dürfen. Für einige Gewinner des Tagespiegel-Erzählwettbewerbs wird das Museum eine Sonderführung durch eben jene Räume anbieten, die den Blicken der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleiben. Und vielleicht werden die Besucher dort, zwischen Kisten, an den Wänden lehnenden Speeren, Körben, Spielzeugfiguren und Keramiken, sogar eine größere Faszination für das Fremde empfinden als in den sorgsam präsentierten Ausstellungen. Denn hier ist nichts mit erklärenden Schildchen versehen, nein, hier harrt das Objekt seiner ganz persönlichen Entdeckung durch einen Betrachter.

Kisten aus dem Weltkrieg

In Holz- und Metallschränken lagern, mehr oder weniger geordnet, beschnitzte Masken, hüfthohe Trommeln, bunte Seidenstoffe, oben drauf kann man den weißen Mercedes aus Ghana entdecken oder jene lebensgroßen Puppen, die eine afrikanische Familie darstellen sollen und jetzt so melancholisch durch ihre Plastikhülle schauen - frühere Ausstellungsmacher dekorierten damit ihre Räume, heute gilt das nicht mehr als politisch korrekt. „Zum Teil sind hier noch unausgepackte Kisten, die im Zweiten Weltkrieg verpackt wurden", erläutert Angelika Tunis. Und die eine lange Irrfahrt hinter sich haben: erst als Kriegsbeute nach Leningrad, nach der Wiedervereinigung zurückgeführt nach Leipzig und anschließend wieder an ihren angestammten Ort.

Um alles auszupacken und zu ordnen fehlt schlicht das Personal. Die Museen in Dahlem haben nach Kürzungen zu kämpfen, die Bausubstanz kann nur notdürftig erhalten werden, Stellen werden nicht besetzt. Und: Es kommen immer weniger Besucher. „Der erste Rückgang kam, als die Gemäldegalerie aus Dahlem fortzog", erinnert sich Tunis. „Aber es ist für uns noch schwieriger geworden, seitdem alle Welt auf die Museumsinsel strömt." Wenn einmal das Schloss wieder aufgebaut ist, soll das Ethnologische Museum dorthin ziehen. Aber das ist vorerst nur eine rosige Zukunftsaussicht, die in der Gegenwart dazu führt, dass Investitionen in Dahlem ausbleiben.

Rote Wachsrollen voll Musik

Interessant für die Gewinner des Erzähl-Wettbewerbs dürfte auch ein Besuch in der musikethnologischen Abteilung des Museums sein, das Instrumente aus aller Welt sammelt, darunter auch Koras, jene 21-saitigen Harfenlauten, mit denen afrikanische Erzähler ihre Rezitationen begleiten. Hier können sie auch dem charakteristischen Singsang dieser „Griots“ lauschen, denn das Museum verfügt über insgesamt 150 000 Tonaufnahmen von Musik und Tanz aus der ganzen Welt - Hörproben der besonderen Art, die der Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich sind. Zum Teil stammen sie aus Forschungsreisen, die Ethnologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unternahmen, mit einem Edisonschen Phonogramm unterm Arm: „Der war leichter zu tragen als ein Plattenspieler", erläutert Albrecht Wiedmann, Mitarbeiter des Phonogramm-Archivs. Die Musik wurde auf rote Wachsrollen – 30 000 davon lagern heute in Dahlem – aufgenommen, die digitalisiert werden.

Ob als normaler Besucher oder als Spion hinter den Kulissen – ein Besuch im Ethnologischen Museum bietet genug Anlass zum Fremdeln, für manche vielleicht auch gegenüber der Welt der Ethnologen und Museumsleute, die mit Kontinenten und Jahrhunderten jonglieren und nicht so recht in der Gegenwart zu leben scheinen. Übrigens hat am Tagesspiegel-Wettbewerb auch ein studierter Ethnologe teilgenommen. Seine Fremdheitserfahrung war: ein Aushilfsjob im psychiatrischen Altenheim.

Ethnologisches Museum, Lansstraße 8, Berlin-Dahlem, U-Bahnhof Dahlem-Dorf. Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr, Telefon 030/83 01 438, www.smb.spk-berlin.de Sonderausstellungen zurzeit: Brasilien und Mexiko.

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