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Elefanten schwimmen durch den Linyanti.

© Daniel Fernandez Campos

Abenteuer an Okavango und Linyanti: Ein ziemlich feuchtes Safari-Paradies

Der Nordwesten Botswanas kämpft mit seltenen Problemen: Mal gibt es zu viel, mal zu wenig Wasser. Darauf hat sich eine einzigartige Natur eingestellt.

Ein Leben ohne Wasser um ihn herum, das kann sich Nthophang Xani beim besten Willen nicht vorstellen. Der 37-Jährige, den alle nur „Tops“ rufen, ist im Okavangodelta Botswanas aufgewachsen, er hat früh gelernt, Fische zu fangen, Einbaumkanus zu fahren und frisches Flusswasser zu schätzen. „Sand und Gras, bessere Filter gibt es nicht“, sagt der Guide, der im Abu Camp Gästen die Natur erklärt.

Tops ist einer der wenigen Menschen, der in der etwa 20.000 Quadratkilometer großen Region aufgewachsen ist. Sie ist halb so groß wie die Schweiz, jedoch mit wenigen tausend Menschen dürftig bevölkert. Die dünne Besiedlung im Nordwesten des Landes hat einen Grund: Das Okavangodelta ist eines der größten Feuchtgebiete der Welt, eine unbewohnbare Laune der Natur. Auf rund 1700 Kilometern schwillt der Okavango zu einem Strom an, um in der Kalahariwüste im weltgrößten Binnendelta zu versickern.

Was für eine Verschwendung von Ressourcen, was für ein Glücksfall für Flora und Fauna. In dieser einmaligen Landschaft hat sich eine artenreiche Tierwelt erhalten, die sich nach dem Pegelstand des Wassers richtet und kaum vom Menschen beeinflusst wird. Damit das Delta für zukünftige Generationen erhalten bleibt, ist es seit 2011 Teil des grenzüberschreitenden Kavango-Sambesi Transfrontier Conservation Area, mit 520.000 Quadratkilometern (etwa die Fläche Frankreichs) das zweitgrößte Naturschutzgebiet der Welt.

Tops lehnt an einem Jeep, hinter ihm grunzen Flusspferde in einer Lagune, sie brauchen das Wasser, um ihre sensible Haut von der Hitze abzukühlen. Das ist im Moment nicht so einfach. Ihr Tümpel hat sich während der Regenzeit im Januar zwar etwas aufgefüllt, doch bis zum Mai wird er beinahe austrocknen und sich erst wieder zu einem See auffüllen, wenn die Flutwelle aus dem Hochland von Angola endlich die Ebene erreicht und das Land in eine Inselwunderwelt verwandelt.

Wenige Gebiete auf der Welt kämpfen mit diesem Problem, dass es für einige Monate im Jahr Wasser im Überfluss gibt und in anderen die Trockenzeit zur Bedrohung wird. Lebensfeindlich ist diese Region, wenigstens für Menschen. Hier können sie sich auf nichts verlassen, außer auf die Unvorsehrbarkeit von Naturereignissen.

Vom Abu Camp aus können Gäste Tiere an der nahen Lagune beobachten.
Vom Abu Camp aus können Gäste Tiere an der nahen Lagune beobachten.

© Daniel Fernandez Campos

Tops besucht seine Familie regelmäßig im Dorf, „gar nicht weit weg“, sagt er, „nur sechs Stunden“ mit Jeep, Kanu und zu Fuß. In einer Stadt zu leben, kann er sich nicht vorstellen. „Das Delta hat doch alles“, sagt er – und zählt auf: „Mopaneholz für die Häuser, Leberwurstbäume für den Bootsbau, Schilfgras für die Dächer.“ Ach ja, und Tilapiafische zum Essen sowie die Wurzeln der Seerosen, die laut Tops ganz hervorragend schmecken.

Er zeigt vom Jeep aus auf einen Termitenhügel, beinahe so groß wie ein kleines Haus. Diese Pyramiden der Emsigkeit haben einen enormen Wert für das Delta. Um sie herum bilden sich kleine Inseln, wachsen Bäume und festigen damit den Boden. „Wer in unserem Dorf eine richtige Wand bauen will, nutzt das Material eines verlassenen Baus und vermischt ihn mit etwas Kuhdung.“ Unkaputtbar, diese Mauern, schwört Tops.

Auf der Morgensafari fährt er über weite Ebenen, auf denen hüfthohes Gras wächst und von Elefantenherden regelrecht abgeerntet wird. Leoparden und Löwen streunen durchs Unterholz, Impala-Antilopen stellen wachsam ihre Ohren auf. All das, erklärt Tops, wird im Mai und Juni knietief unter Wasser stehen. Ein spiegelglatter See erstreckt sich dann über mehrere Quadratkilometer. Man bemerkt diese ständige Anwesenheit von Feuchtigkeit: Die Fahrrillen sind schneeweiß und sandig, es ist, als würde sich der Jeep durch eine Ostseedüne kämpfen – nur dass nirgends ein Meer zu sehen ist.

Während Tops lenkt, lacht er viel, breitet seine Arme aus und könnte auch ein toller Bühnenunterhalter sein. Als er seinen Eltern erzählte, dass er Safari-Guide werden wolle, haben sie ihn für verrückt erklärt. Elefanten zerstören alles, meinten sie, die Ernte, die Zäune, weshalb sollte man sie schützen oder gar Besuchern zeigen? Langsam hat er ihnen beigebracht, dass sie für das Ökosystem wichtige Wegbereiter sind, weil sie das Land durchpflügen, alte Bäume fällen und jungen Sprösslingen damit eine Chance geben. Jedes Mal, wenn er zurück im Dorf seinen Eltern etwas Geld gibt, sagt er nun: „Hier, ich gebe dir einen Elefanten.“

Abendstimmung im Jao Camp.
Abendstimmung im Jao Camp.

© Wilderness Safaris

Nur 45 Minuten mit dem Landrover entfernt, im Jao Camp, wartet Ipeleng Mollowakgotla auf Touristen aus der ganzen Welt. Der 42-Jährige ist das Gegenteil von Tops. Er spricht ruhig, beinahe leise, alles an ihm zeugt von Sorgfalt: der jede Woche rasierte Kopf, die ordentlich gegürtelte Hose. Er stellt sich als „Cruise“ vor, so nennen ihn alle seine Freunde. Aufgewachsen ist er in einer Extremregion mit geringen Niederschlägen: in der Kalahariwüste im Süden des Landes.

Wasser gab es kaum, er lernte als Kind auf die dicken Baobab-Bäume zu klettern, die in ihren Astlöchern Wasser speicherten, und daraus zu trinken. Seinen ersten Job bekam er mit Anfang 20 im Chobe Nationalpark, wo er sich – Ironie des Schicksals – darauf spezialisierte, Touristen über den Linyanti-Fluss zu schippern. Seit 2007 arbeitet er im Okavangodelta, kann gar nicht genug bekommen von Kanälen, Sümpfen und Lagunen. Tausendfaches Grün anstatt eintöniges Sandgelb.

Jeden Tag studiert er die Wettermeldungen aus Angola, auf einer App kontrolliert er, wie viele Milliliter Regen dort fallen. „Es wird ein gutes Jahr“, sagt er. Nach einigen Dürren in den vergangenen zehn Jahren rechnet er nun mit einer kräftigen Flut. Die ganzen Feuchtwiesen, die um das Jao Camp und seinen mondänen Stelzen-Villen liegen, werden dann zu einem großen Gewässer.

Die Letschwe-Antilopen sind an das Leben im Sumpf angepasst.
Die Letschwe-Antilopen sind an das Leben im Sumpf angepasst.

© Wilderness Safaris

Um 6 Uhr morgens fährt er am kommenden Morgen mit dem Jeep hinaus. Ein fernes Krähen ist zu hören, könnte auch das heisere Bellen eines Hundes sein. „Ein Hornrabe“, sagt Cruise. „Das heißt, es wird heute regnen.“ Der Himmel ist zwar leicht bedeckt, doch keine dunklen Wolken türmen sich auf. Was weiß schon ein Vogel?

Cruise lenkt den Wagen zur Hunda-Insel. Eine Stunde lang geht es an Graswiesen und Antilopenherden entlang. Ebenholzbäume und Palmen spenden Schatten. Cruise scherzt über die „Daggaboys“, die Dreckskerle, wie er die mit Schlamm bedeckten Büffel nennt. Sie suhlen sich im Morast, um ihre Haut zu schützen. Der Guide weist auf wilden Spargel, essbare Wurzeln und wilden Salbei hin. Letzterer übrigens ein Zeichen dafür, dass die Fläche regelmäßig geflutet wird. Früher haben die hier lebenden Stämme gewusst, dass sie an solchen Stellen lieber kein langsam wachsendes Korn pflanzen. Auf der Anhöhe, jener Hunda-Insel, hält er an, gießt einen Morgenkaffee aus der Thermoskanne in die Tasse und schaut auf den Himmel. Die Sonne scheint noch.

Vier Stunden später jagt ein Schauer über dieses ewig flache Land. Es regnet, zwar nicht in Strömen, aber doch genug, um den Boden weiter zu befeuchten, damit die Flut gut in der Erde versickern kann, wenn sie in einigen Wochen das Binnendelta erreicht. Der Hornrabe hatte recht. Cruise hat keine Sekunde an seiner Wettervorhersage gezweifelt.

Cruise steuert ein Mokoro durch das Okavangodelta.
Cruise steuert ein Mokoro durch das Okavangodelta.

© Daniel Fernandez Campos

Am Nachmittag zeigt er seinen Gästen, wie sich die Menschen im Delta Jahrhunderte lang fortbewegt haben. Am Ufer eines Wasserlaufs liegt ein etwa vier Meter langes Kanu, ein sogenanntes Mokoro – allerdings eine Nachbildung aus Fiberglas. Darin können zwei Personen sitzen, während ein Steuermann am Ende aufrecht stehend das Fahrzeug durchs Wasser lotst.

Die Gewässer sind flach, knapp einen Meter tief, die Passagiere sitzen auf Höhe des Flusses. Das Gefährt schwankt hin und her, Cruise gleicht geschickt hinten aus, doch richtiges Erholungsgefühl schleicht sich nicht ein. Soll sich auch nicht, die Sinne sind geschärft für die Umwelt. Für die Schilfinseln, die wie Igel aus dem Gewässer aufragen, und die rotbraunen Letschwe-Antilopen, die bei Gefahr wegspringen.

Cruise achtet darauf, einen vorgetretenen Kanal zu benutzen. „Der Hippo-Highway“, lacht er. Die Dickhäuter haben dieses Wegenetz ins Wasser geschaufelt, um schneller durchs Nass zu pflügen. Momentan leben sie nicht in diesem Gewässer, es ist bereits zu seicht geworden. Nach etwa 90 Minuten kehrt das Boot ans Ufer zurück. Eine Heidenanstrengung für Cruise, der das Kanu nur per Kraft seiner Oberarme gelenkt hat. „Sport ist für heute abgehakt“, sagt er.

Das Duma Tau Camp liegt direkt am Wasser.
Das Duma Tau Camp liegt direkt am Wasser.

© Daniel Fernandez Campos

Ganzjährig genügend Wasser führt der Linyanti, etwa 40 Minuten mit dem Kleinflugzeug Richtung Norden. Von oben erkennen Reisende die Ausmaße dieser ausgewöhnlichen Landschaft: Wasserläufe mäandern durch Savannen, kilometerlange Schlangen, die Gebiete zerteilen. Bis sich die Gras- zu einer dichten Schilflandschaft wandelt und der Fluss als breites Band eine natürliche Grenze zieht. Das 1200 Quadratkilometer große Areal um ihn herum befindet sich nördlich des Deltas, direkt an der Grenze zu Namibia, hier leben noch weniger Menschen.

Tapologo Gaothobogwe empfängt die Reisenden am Flugzeug. Der 41-jährige Guide arbeitet für das nahegelegene Duma Tau Camp und hat natürlich auch einen Spitznamen, er heißt Taps. Er ist so etwas wie ein gemütlicher Bär, der gern lacht, aber auch fantastisch dösen kann. Mit seinem Wagen fährt er durch einen Wald, hinter dessen Bäumen sich große Kudu-Antilopen verstecken und von dessen Ästen Paviane herunterstarren. Es riecht nach wildem Jasmin und kräftigem Salbei.

Er gelangt an einen breiten Schilfgürtel zwischen zwei bewaldeten Hügeln. Kilometerlang zieht er sich dahin. „Das war vor einigen Jahren noch Grasland“, sagt Taps. „Dann hat das Wasser einen Weg gefunden und das Gebiet überspült.“ Nichts deutet mehr darauf hin, dass hier früher Geparden jagten. Heute warten Krokodile im Wasser auf ihre Beute.

Taps führt Safaritouristen durch die Linyanti Concession.
Taps führt Safaritouristen durch die Linyanti Concession.

© Daniel Fernandez Campos

Der Linyanti-Fluss führt ganzjährig ordentlich Wasser und hat ein weitverzweigtes Kanalsystem geschaffen, in das Menschen nur schwer hineingelangen. Um das zu veranschaulichen, steigt Taps am Nachmittag in ein Motorboot und durchquert damit das scheinbar undurchdringliche Schilfdickicht. Das Wasser ist in diesem Schutzgebiet der Herrscher über die Natur, formt die Landschaft und bestimmt die Lebensweise.

Das sieht man eindrucksvoll gegen 16 Uhr, gar nicht so weit weg vom Duma Tau Camp. Vom gegenüberliegenden Ufer nähern sich dunkle Buckel. Taps guckt vom Steuer hoch: „Gleich überqueren Elefanten den Fluss.“ Tatsächlich sammelt sich einige Minuten später eine Herde Dickhäuter am Ufer, wie auf Kommando steigen sie ins Wasser, die Matriarchin voran, am Ende die kräftigen Kühe, in der Mitte die Kälber. „Damit die Krokodile die Jungtiere nicht fassen können“, erklärt Taps.

Noch vor ein paar Jahren war dieser Sumpf Grasland.
Noch vor ein paar Jahren war dieser Sumpf Grasland.

© Daniel Fernandez Campos

Rüssel tauchen aus dem Wasser auf, wie U-Boot-Teleskope, nur dass diese Sinnesorgane zum Atmen und nicht zum Sehen wichtig sind. Kraftvoll schwimmen die Riesen voran, das Boot bleibt auf gehörigem Abstand, nach knapp 60 Metern hat die Herde das andere Ufer erreicht. Trompetensignale erklingen. Nachzügler auf der anderen Seite werden nun aufgefordert, sich bitte zu beeilen. Das nächste Dickicht will abgeholzt werden.

Als die Tiere sich zurückgezogen haben, kann Taps seine Michael-Schuhmacher-Fantasie ausleben. Er beschleunigt das Boot auf bis zu 50 Kilometer pro Stunde, kurvt elegant an Büschen und Inseln vorbei, bremst vorsichtig ab, wenn sich Flußpferdrücken zeigen. Seerosen bilden organische Flokatiteppiche, zehennagelgroße Frösche kleben an ihren Stengeln. Hätte man ohne Taps nie entdeckt.

Nachts kommt die Erkenntnis: Was das Wasser an Leben gibt, kann es in Windeseile wieder nehmen. Es donnert, kracht und schüttet. Die Himmelsschleusen öffnen sich, Regen schießt auf die Erde, als würde er mit Hochdruck aus einem riesigen Schlauch kommen. Blitze erhellen die Zelte des Duma Tau Camps, es ist lauter als vor den Musikboxen des Berghain.

Für die Tiere heißt es nun: Rette sich, wer kann. Hier gilt nicht mehr die Angst zu verdursten, sondern zu ertrinken. Hat sich die Natur im Delta beinahe zahm gezeigt, lässt sie im Schutzgebiet ordentlich die Muskeln spielen. Wasser ist Lebensader und vernichtende Kraft. Es gibt kein besseres Wort als dieses, um das Endzeitgefühl zu beschreiben: Naturgewalt.

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