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„Sim Sim Hamara“ heißt die Sesamstraße in Pakistan. Nicht alle der hierzulande bekannten Charaktere kommen darin vor, Elmo (Mitte, rot) aber schon. Foto: AFP

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Panorama: Sendepause für Elmo & Co.

Wie die Sesamstraße nach Pakistan kam – und dort in einen Sumpf von Vorwürfen geriet.

Buntes Cafe, Gartenrestaurant, Livemusik, Theater, Puppenmuseum, Kunsthandwerk – das lauschige Kulturensemble im pakistanischen Lahore würde auch in Berlins Mitte Gäste anlocken. Geschaffen hat diesen „happening place“ die Peerzada Familie; in der Kulturszene der Stadt im Nordosten des Landes kennt die umtriebigen Brüder mit ihren wallenden Mähnen, ihre Frauen und Kindern jeder. Auch das mit dem Goethe-Institut arbeitende Annemarie-Schimmel-Haus in Lahore arbeitet immer wieder mit ihnen zusammen. Sie selbst werben für ihren 1974 gegründeten „Rafi Peer Theatre Workshop“ als „Pakistans größte Kunstorganisation“, benannt nach dem berühmten Vater, der einst bei Max Reinhardt lernte. Sie sind eine Institution, weit über die Landesgrenzen hinaus ist ihr Name bekannt. Ihr neuestes Prestigeprojekt allerdings hat ihnen bisher kein Glück gebracht: Die Peerzada Familie produziert die pakistanische Version der Kindersendung „Sesamstraße“ – und steht unter Korruptionsverdacht.

Unter einem Baum mit Lichterketten bereiten sich auf offener Bühne an diesem Abend Sufi-Musiker in weißen Gewändern auf ihren Auftritt vor, im Hof sitzt Usmaan Peerzada bei einem Drink, Bruder Saadaan zieht genüsslich an der Shisha-Pfeife, Faizaans Tochter verabschiedet sich nach einem Teller Pasta – am nächsten Tag wartet eine Prüfung in der Schule. Die Szenerie mutet idyllisch an, aber seit einiger Zeit liegt sie hinter hohen Mauern und ist nur durch Kontrollen wie am Flughafen zu erreichen. Auch dieser so friedlich erscheinende Ort ist schon dreimal attackiert worden. Aber niemand sei verletzt worden, sagt Faizaan Peerzada, der Mann für die Außenbeziehungen der Familie. Als gegen 23 Uhr mal wieder der Strom ausfällt, gucken die Brüder nervös auf ihre Blackberrys. Sie kennen die Zeiten, wenn ihre Siemens-Generatoren anspringen. Um elf gehen die meisten Menschen ins Bett, da sind sie normalerweise nicht nötig. Doch es bleibt ruhig.

Faizaan Peerzada trägt große Ringe an den Händen und die grauen Haare zu einem Zopf gebunden. Mit Augen so leuchtend wie die der jungen Besucher streift er durch sein Puppenmuseum auf dem Gelände. Von acht Uhr früh bis Mitternacht hat das Museum geöffnet, der Eintritt ist frei. 380 ihrer 7000 Puppen aus aller Welt zeigen sie auf mehreren Etagen, gerade bauen sie neue Anlagen ein, um die Kostbarkeiten gegen die Luftfeuchtigkeit zu schützen. Liebevoll haben sie Schaufenster für die Protagonisten aus Stoff und Holz gestaltet, für die imposanten Puppen aus Japan, für die langgliedrigen aus Indonesien. Auch mit der Augsburger Puppenkiste hatten sie Kontakt, sagt Faizaan Peerzada, aber der sei irgendwie im Sande verlaufen. Die Marionetten aus Birma zeigen sie mit Händen von Spielern – denn dort sehen die Zuschauer meist auch die Finger der Puppenspieler. „Ich habe sie selbst gemacht, damit die Haltung stimmt“, Faizaan ist in seinem Element.

Und dann zeigt er auf einige Fernsehschirme: Dort läuft das jüngste Prestigeprojekt der Familie – die pakistanische Version der Sesamstraße, hier zu sehen in Urdu, eine der pakistanischen Sprachen, in denen die Serie produziert wird. Elmo, das neugierige rote Monster, ist auch in Pakistan mit von der Partie. Hauptperson der Serie, die hier „Sim Sim Hamara“ heißt, aber ist Rani mit zu Affenschaukeln gebundenen Zöpfen: eine wissbegierige Sechsjährige mit ausgeprägtem Faible für Naturwissenschaften. Für den pakistanischen Plot ist einer der Brüder zuständig. Das Ganze ist aber auch ein Prestigeprojekt der amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID. Angespannte politische Beziehungen zwischen Islamabad und Washington hin oder her, auch pakistanische Kinder sollen mit der beliebten Sendung spielerisch lernen. Die Figuren sollen wohl ganz nebenher die Herzen der Menschen gewinnen und sie religiösen Eiferern entziehen. Dafür lobte USAID die stolze Summe von 20 Millionen Dollar aus. Zu viel des Guten? Ein modernes Märchen? Ein Hauch von beidem lag über den Puppen beim Besuch Ende Mai. Doch inzwischen fallen Schatten auf das Projekt: Elmo und Co. haben erst mal Sendepause.

Vier Jahre sollte das Projekt laufen. „20 Millionen Kinder haben jeden Monat von dem Programm profitiert“, sagt Faizaan Peerzada.

Doch darum geht es im Moment nicht.

Bei der Betrugs-Hotline der Amerikaner gingen Beschwerden über finanzielle Unregelmäßigkeiten bei den Peerzadas ein – und USAID stoppte die Zusammenarbeit. Die Peerzadas sollen Gelder unter anderem für die Zahlung von Schulden zweckentfremdet und Firmenautos für Privatfahrten genutzt haben, außerdem wird ihnen vorgeworfen, lukrative Verträge an Familienmitglieder vergeben zu haben, wie die Zeitung „Pakistan today“ berichtete. Andere sagen, Mitarbeiter hätten sich öfter beklagt, sie seien länger nicht bezahlt worden.

Der Sprecher der US-Botschaft in Islamabad, Robert Raines, bestätigte den Stopp der Zahlungen, bis dahin seien 6,7 Millionen Dollar geflossen. „Bei der Hotline gehen tausende Anrufe ein, aber in diesem Fall gab es genügend glaubwürdige Informationen“, begründet Raines den Schritt. Mit Hinweis auf die laufenden Untersuchungen will er nicht auf die Vorwürfe eingehen. Aber, sagt er noch, es sei wohl mehr, als dass die Familie sich gegenseitig Geld zugeschustert habe. Dass die Peerzadas immer als Clan arbeiten, ist kein Geheimnis: Die Gruppe ist ein Familienunternehmen.

Faizaan Peerzada und seine Brüder sind sauer. Sie weisen die Vorwürfe zurück, haben die Zeitung wegen Rufschädigung verklagt. „Die Vorwürfe sind haltlos“, sagt Faizaan Peerzada. „Wir haben die internationale Ausschreibung gewonnen, wir haben Jahrzehnte Erfahrung“ – mit Puppen und mit Kindern. 150 Leute arbeiteten bei ihnen. Faizaan Peerzada vermutet einen Racheakt ehemaliger Mitarbeiter. Die bisherigen Untersuchungsergebnisse seien ihnen nicht mitgeteilt worden, klagt Faizaan Peerzada. „Warum werden die Vorwürfe nicht vor Gericht erhoben?“ fragt er. „Wir fordern eine unabhängige Prüfung.“ Dafür steht die bisher beauftragte Organisation seiner Ansicht nach nicht. Die Prüfer zu bestimmen aber ist nach den Worten von Botschaftssprecher Raines Sache von USAID. Offensichtlich ist das Tuch zwischen den bisherigen Partnern längst komplett zerschnitten. Dass die Förderung wieder aufgenommen werden könnte, wenn sich die Vorwürfe als unbegründet herausstellen sollten, sei „möglich, aber unwahrscheinlich“, sagte Raines dem Tagesspiegel.

Eigentlich sollte jetzt die nächste Staffel gedreht werden. Inzwischen sei ihnen mitgeteilt worden, es gebe keine weiteren Gelder. Am Freitag war also erst mal Schluss. Niemand denke dabei an Pakistans Kinder, sagt Faizaan Peerzada. Seine Familie sucht jetzt nach neuen Sponsoren, aber das brauche Zeit. Trotzig fügt er hinzu: „Wir werden das Programm fortsetzen, mit oder ohne USAID.“

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