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Blick auf die Synagoge in der Pestalozzistraße.

© dpa/Jörg Carstensen

Im ständigen Kontakt mit der Polizei: Jüdische Gemeinden in Angst vor weiteren Ausschreitungen

Sie haben die Sicherheitsvorkehrungen erhöht und Namensschilder abmontiert – aus Angst. Juden und Jüdinnen fühlen sich in Deutschland nicht mehr sicher. Experten fordern Solidarität.

Nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Gruppen auf Israel hat sich auch für die Jüdische Gemeinde in Potsdam das Leben grundlegend verändert. „Viele Gemeindemitglieder haben Angst, dass irgendetwas passieren kann“, berichtete der Vorsitzende Jewgeni Kutikov am Montag auf einem Fachkongress zum Antisemitismus in Potsdam.

„Jetzt haben wir Angst davor, dass wir von einem antisemitischen Mörder angegriffen werden könnten.“ Der Vorstand habe die Sicherheitsvorkehrungen für die Gemeinderäume massiv erhöht und stehe im ständigen Kontakt mit der Polizei, sagte Kutikov. „Wir wünschen uns mehr Sicherheit, aber wir sind einigermaßen geschützt.“

Gianna Marcuk vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Rostock berichtete von ähnlichen Erfahrungen. „Ich bin in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen und war mein Leben lang mit Antisemitismus konfrontiert“, sagte sie. „In Deutschland konnte ich erstmals stolz auf mein Judentum sein - und jetzt soll ich mich wieder verstecken?“

Die Rostocker Gemeinde wolle das auf keinen Fall, betonte sie: „Wir sind als Aktivisten gegen Antisemitismus in der Stadt bekannt und wir machen weiter!“ Dabei erfahre ihre Gemeinde von den christlichen Kirchen große Unterstützung.

Experten rufen zum Widerstand auf

Der Philosoph Joel Ben-Yehoshua von der Universität Jena berichtete, dass er aus Sicherheitsgründen inzwischen kein Namensschild mehr an seinem Dienstzimmer habe. Er beklagte mangelnde Solidarität aus politisch linken Kreisen. „In bin viel in der links-alternativen Szene unterwegs und das Schweigen ist in dieser Szene sehr spürbar“, kritisierte der Wissenschaftler.

Auf der Konferenz riefen Referenten die Zivilgesellschaft zum Widerstand auf. „Der Kampf gegen den Antisemitismus darf nicht Aufgabe der Jüdinnen und Juden sein“, mahnte der Antisemitismus-Experte Dervis Hizarci. Seit dem Terrorüberfall der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Gruppen auf Israel am 7. Oktober gebe es israelfeindliche Demonstrationen in aller Öffentlichkeit.

„Seit dem 7. Oktober tobt sich auf deutschen Straßen ein geballter Israel-Hass aus“, beklagte auch Olaf Glöckner vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam. Daher zögen sich viele Juden aus der Öffentlichkeit zurück und lebten nur noch in ihren geschlossenen Gemeinschaften. Der Antisemitismus mische sich oft auch mit Ausländerfeindlichkeit, sagte Glöckner.

Seit den 90er Jahren seien viele Juden aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion eingewandert, die oft nur schlecht Deutsch sprächen. „Und sie erleben häufig schon Anfeindungen, wenn sie sich etwa an der Haltestelle auf Russisch unterhalten“, berichtete Glöckner. (dpa)

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