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Stadtleben: Gags gegen Globalisierer

Sie schleudern Pointen statt Steine: Berliner Politgruppen sind heute mit Spaß und Kreativität auf der Anti-G 8-Demo in Rostock

Die Videobotschaft ist nur 20 Sekunden lang: Eine vermummte Frau sitzt im Halbdunkel, ein weißes Pelzknäuel auf dem Schoß, an der Wand hängt ein Schild: „Knut – seit zwei Stunden Gefangener der Hedonistischen Internationale“. Keine Frage, dies ist ein Geiselnehmer- Video. Und wie es sich gehört, stellt die Frau Forderungen. Weniger Polizei will sie haben, und: „Wenn schon G-8-Gipfel, dann mit Afterhour am Strand von Heiligendamm.“

Das Video kursiert derzeit im Internet. Es stammt von der Berliner Sektion der „Hedonistische Internationale“. Die ist eindeutig links und gegen das G8-Treffen, heute wollen ihre Mitglieder in Rostock demonstrieren. Die Gruppe ist das beste Beispiel für einen nachhaltigen Sinneswandel unter linken Aktivisten: Laut ihrem „Manifest“ sind die Mitglieder „überzeugt davon, dass Politik und Aktion Spaß machen können.“ Und dass letzterer nicht auf Kosten des Inhalts geht, sondern dass der Spaß im Gegenteil hilft, eigene Inhalte zu vermitteln.

Wer Steine schmeißt, verschreckt. Auch seitenlange Flugblätter voller Brecht- und Tucholsky-Zitate finden außerhalb kleiner Zirkel keinen Anklang mehr. Die Aktionen der Poplinken sind Hingucker. Und machen neugierig auf mehr. Vor vier Wochen paddelten 30 Hedonisten in Schlauchbooten und mit Che-Guevara-Fahne über den Landwehrkanal, direkt vor das Bundesverteidigungsministerium. Eine symbolische „Seeblockade“ sollte das sein. Um dagegen zu protestieren, dass beim G-8-Gipfel auch Soldaten eingesetzt werden.

Die Gruppen sind nicht nur humorvoll und kreativ, sondern vor allem auch selbstironisch. Die Hedonistische Internationale beschreibt ihr eigenes Weltbild als wilde Mischung aus fröhlichem Miteinander, Anarchie, Frieden, „bunter Wunderwelt“ und „Ferienkommunismus“. Kürzlich versammelten sich Mitglieder vor dem Reichstag und zogen ihre T-Shirts aus. Auf den Oberkörpern war dann „G8 nackig machen!“ zu lesen.

Für die Aktion gab es Applaus von anderen linken Gruppen. Nur das Berliner „Aktionskomitee Nudistische Offensive“ äußerte Kritik: Richtig entkleiden sehe anders aus – nur obenrum ausziehen sei doch albern. Das Komitee verweist auf seine Aktion vom März, als Splitternackte eine mutmaßlich rechte Kneipe in Friedrichshain stürmten. Auch bei den G8-Protesten will die „Nudistische Offensive“ Haut zeigen.

Großen Zulauf hat in Berlin die sogenannte „Clowns-Armee“, ein loses Netzwerk aus Linken, die auf Demos stets bunt geschminkt und mit Plastiknasen erscheinen. So erregen sie Aufsehen und stellen die Polizei vor Probleme, sagt ein Berliner Aktivist: „Wie sollen die Beamten gegen Demonstranten vorgehen, wenn sie bedingungslos angelächelt werden“? Polizeiknüppel, die auf fröhlich tanzende Clowns einschlagen, garantierten jedenfalls schlechte Presse.

Neu ist das Spaß-Konzept nicht. Die europäische Intellektuellengruppe der „Situationisten“ stiftete schon in den späten 50ern Verwirrung, sie gilt den meisten heutigen Gruppen als Vorbild. Genau wie die „Yes-Men“ aus den USA. Die tauschten vor knapp zehn Jahren in Spielzeugläden die Sprachchips von Barbie- und Soldatenpuppen aus. Das gab große Unruhe in Kinderzimmern, weil nun Barbiepuppen ihrem Besitzer den Krieg erklärten, während die Mini-Soldaten ständig „Shoppen gehen“ wollten. Für deutsche Verhältnisse ist die derzeitige linke Protestgeneration aber extrem erfinderisch – „wohl die kreativste, die es je gab“, sagt der Berliner Theaterpädagoge Till Baumann. Er inszeniert „politisches Straßentheater“, will heute in Rostock eine vier Meter hohe Oma-Puppe aus Pappmaché symbolisch über den G-8-Zaun springen lassen. Seine Erklärung: Nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch die Protestler arbeiteten zunehmend global vernetzt. So komme man auf Ideen. „Globalisierung von unten“ nennt er das. Außerdem habe es in Deutschland lange kein so motivierendes Ereignis wie den G-8-Gipfel gegeben. Das Politikertreffen sei ein „großes PR-Spektakel“, heißt es dazu bei der „Hedonistischen Internationale“. Und „weil wir die besseren Ideen, die schöneren Träume“ haben, wäre es doch schade, dieses Spektakel nicht als Bühne zu nutzen.

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