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Berlin: Ode an das Scheitern

Bei einer schrägen Show trauen sich Verlierer in die Öffentlichkeit – zur Gaudi des Publikums

Von Henning Kraudzun

Scheitern gehört zum Leben, dafür muss man sich nicht schämen. Jeder hat schon irgendwann eine Bruchlandung hingelegt. Für Spott und Häme gibt es keinen Grund – wie die „Show des Scheiterns“ zeigt. Im Bund der Polnischen Versager – wo auch sonst – treten morgen Abend wieder mehrere Referenten vor das erwartungsfrohe Publikum und stellen ihr gescheitertes Projekt vor. Danach stimmen die Zuhörer ab, ob das Vorhaben endgültig in der Versenkung und das Konzept im Schredder verschwinden soll. Die Redner sind dann wenigstens ihren psychischen Ballast los.

Bei der ersten Show wagt Michael Graessner den Schritt in die Öffentlichkeit. Der Autonarr hatte vor knapp zehn Jahren ein ungenutztes „Duo“ gefunden, das sind dreirädrige DDR-Mopeds mit Dach aus den „Schwalbe“-Werken. In der Garage des Bruders wollte er es aufmotzen und zerlegte das Gefährt in seine Einzelteile. Bis heute hat sich nichts getan. Statt Enthusiasmus blieb nur das schlechte Gewissen gegenüber dem Bruder. „Verschiedene Weihnachtsfeste fanden statt, wo wir nicht mehr drüber gesprochen haben“, sagt Graessner. Ein klarer Fall: Der Referent sei böse gescheitert, habe sich irgendetwas unter den Nagel gerissen und gleichzeitig den Osten entwürdigt, urteilt der Moderator Sebastian Orlac. Fazit: „Junge, dir ist es nicht ernst damit“, ruft er ins Mikrofon. Es ist eine Mischung aus bizarrer Comedyshow und ernst gemeinter Diskussionsrunde, die sich auf der Bühne abspielt. Zwischendrin spielt ein Balalaikaorchester, dazu singt der Chor „Born to lose“.

Das Spektakel könnte aber auch eine Art TV-Talkshow sein, mit einem gut gelaunten Moderator und Leuten aus dem Publikum, die über ihr Problem erzählen. Ein „Experte“ analysiert vom Sessel aus das Gesagte. Ein Protokollant schreibt die Geschichte der gescheiterten Projekte auf Overhead-Folien mit. Nach jedem Vortrag ist der „Experte“ Mathias Wedel gefragt, ein Satireautor, der sich hier als Pilz- und Sexualberater ausgibt. Graessner diagnostiziert er eine „Obsession unterhalb des suizidalen Schwellenbereiches“. Dann wird er deutlich: „Du hast dir wahrscheinlich noch nie den Arsch aufgerissen!“ Graessner läuft rot an. Doch auf die Schelte folgt noch ein wenig Aufmunterung.

„Wir präsentieren der Welt jene Ideen, die zu früh geboren wurden“, umreißt Orlac das Motto der Show. Vermutlich war auch Peter Roloff, inzwischen ein gestandener Regisseur, mit seiner Idee zu früh dran. Er erzählt von seinem ersten studentischen Filmprojekt. Damals wollte er Vokale filmen und ließ sich von den Eltern die Ausrüstung spendieren. Wochenlang schrieb er am Drehbuch, drei Tage stand er hinter der Kamera. Münder, quietschende Türen, rollende Äpfel, klappernde Fahrräder und andere Aufnahmen – sie sollten für A, E, I, O, U stehen. Hm. Der Film wurde nie fertig, erst für die Show hat der Autor eine Version hergestellt. Das Publikum johlt und klopft sich auf die Schenkel. Wedel betont: „Leider war das zu kurz gedacht.“ Der Streifen ist gescheitert.

Auch wenn es den Anschein hat: Die Veranstalter, eine Gruppe von Kurzfilmern, wollen keine Verlierer-Freakshow inszenieren, sondern „eine Ode an das Scheitern“. Die meisten Referenten kommen aus dem Bekanntenkreis. Ihnen gehe es um Macher, bei denen es nicht ganz geklappt hat, sagt Boris Jöns, einer der Organisatoren. „Gerade Verlierer verdienen Respekt, nicht nur die Erfolgreichen.“ Das heißt aber auch: Man müsse öffentlich scheitern und nicht eine anonyme Versagergruppe gründen. Wer zum Schluss trotz gewagter Aktionen mit leeren Händen dasteht, braucht letztlich viel Selbstironie. Und die Analyse eines Experten.

Die „Show des Scheiterns“, Donnerstag, 26. September, ab 21 Uhr im Bund der Polnischen Versager, Torstraße 66. Infos unter Tel: 28 09 37 79. Der Eintritt kostet 3 Euro.

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