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Berlin: Feiern Knall auf Fall

Silvester in Berlin – mal draußen, mal drinnen. Während sich die einen am Brandenburger Tor drängten, prosteten sich viele andere diesmal ganz privat zu

Silvester 2002 – die Berliner feiern ganz spontan. Wer sich umgehört hat vor dem Fest, der hat kaum etwas von lang geplanten Feten vernommen. Viele sagten: „Wir gehen zu Freunden.“ Oder: „Wir kochen.“ Oder sogar: „Wir bleiben zu Hause.“ Solche und andere Feste quer durch Berlin – hier ein paar Eindrücke.

13.30 Uhr , vorm Edeka im Bahnhof Friedrichstraße: Zehn Meter lang ist die Warteschlange vor den Glastüren zum Supermarkt, nur zentimeterweise wird nachgerückt. „Mist“, jammert eine. „Bis ich dran komme, ist alles ausverkauft. Was soll ich bloß den Gästen servieren?“ Zur gleichen Zeit in Kreuzberg: Eine Familie sucht verzweifelt Biskin fürs Fondue. In vier Supermärkten war es ausverkauft. Der AsiaLaden wird zur letzten Rettung.

15.30 Uhr , im Kammermusiksaal der Philharmonie: Die Berliner Symphoniker legen eine Doppelschicht ein. Einmal am Nachmittag und einmal am Abend spielen sie Verdi, Puccini, Donizetti und Strauß. Motto: „Trinken – Tanzen – Lieben“. „Lachen“ hätte auch gut gepasst, denn Chefdirigent Lior Shambadal spielt Moderator und unterhält das Publikum mit pointierten Kommentaren. Und dann fordert er noch zu etwas sonst Verpöntem auf: zum Mitklatschen!

22.30 Uhr , am Kottbusser Tor: Hier wäre normalerweise die Hölle los, auch schon vor Mitternacht, mit Raketen, die pfeifend die Straße entlangschießen und Hosen in Brand setzen. Aber diesmal: keine Angriffe. Nur einmal kommt von oben ein Heuler geflogen, direkt vor die Füße. „Oh, Entschuldigung“, ruft der Werfer erschrocken.

23.40 Uhr , in der U 2 vom Westend Richtung Innenstadt: Zeitweilig sind die Waggons völlig leer. Will denn keiner Feuerwerk gucken? Sieht aus, als blieben die Berliner dies Jahr lieber auf dem Balkon. Auch auf dem Rückweg: keine Schlangen vor der U-Bahn wie sonst immer.

23.50 Uhr , an einer Absperrung vor der Feiermeile: „Hier kann gerade keiner durch“, sagt der Security-Mann zu ein paar Spätentschlossenen. Dabei ist doch gleich Mitternacht! Verstohlene Blicke nach rechts und links – und schwups, ab durchs Gebüsch, um die Gitter herum. Das haben auch andere mitbekommen. Und plötzlich schleichen sich Dutzende Menschen wie auf der Flucht aus dem Dschungelgefängnis hintereinander durchs Unterholz. Ach ja: Die Container, in die alle privaten Knaller geworfen werden müssen, bleiben recht leer. „Brav, die Berliner dieses Jahr“, sagt ein Polizist. „Kaum einer, der was Verbotenes im Rucksack hatte.“

23.59 Uhr , vor Fernsehgeräten: Bundesweit schauen mehr als 6,6 Millionen Deutsche die ARD-Übertragung des Feuerwerks am Brandenburger Tor. In Berlin ziehen 250 000 Familien den Fernsehsessel dem Spaziergang zum Tor vor.

0 Uhr , Feuerwerk am Brandenburger Tor: bunt wie immer, blau, grün, gold, schöööön! 1800 Raketen zerplatzen am klaren Himmel. Nur ist es diesmal kürzer, das Vergnügen: nur zehn Minuten statt 12 wie sonst. Auch gut. Ist nämlich saukalt, mit minus sechs Grad. Schnell nach Hause!

0.01 Uhr , auf dem Platz der Republik: Die Wiese vorm Reichstag ist vielleicht der schönste Platz fürs große Feuerwerk. Mitten in der Stadt und doch ganz leer im bunten Schein. Nur wenige Menschen stehen hier und fühlen sich, als fielen die strahlenden Funken für sie allein herab.

0.20 Uhr , an der Potsdamer Straße Ecke Großgörschenstraße: Hier ist Silvester kein Freudenfest. Hier ist Silvester ein Bürgerkrieg, sagen Anwohner, ein Stellungskrieg zwischen den Bewohnern des Neubaus und denen der Altbauten gegenüber. Früher haben sich die Parteien noch gegenseitig von den Balkonen aus beschossen. Diesmal verschanzen sich die Altbauler. Nur die Neubauler schießen – mit waagerecht verstellbaren Abschussrampen, von denen mehrere Raketen gleichzeitig abgefeuert werden können. Friedliches, neues Jahr, liebe Nachbarn.

3 Uhr , in Prenzlauer Berg. Eigentlich sollten gerade hier viele Fenster dunkel sein. Eigentlich sollten die Jungen, Hippen irgendwo feiern, in angesagten Diskos oder so. Und eigentlich dürften all die Hamburger und Münchner, die hier jetzt leben, gar nicht da sein zum Fest. Aber viele Fenster bleiben hell. Ist Häuslichkeit jetzt in? rcf

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