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Berlin: „Der Ton in der Stadt ist ruppiger geworden“

Aus „Lederstrumpf“ und Edgar-Wallace-Filmen kennen ihn Millionen. Mit „Kennen Sie Kino?“ war er Dauergast in deutschen Wohnzimmern. Hellmut Lange ist in Berlin geboren und kehrte vor sechs Jahren zurück in seine Heimatstadt. Zu seinem 80. Geburtstag erinnert er sich

Herr Lange, schauen Sie sich manchmal noch Ihre alten Filme an?

Ja. Die LederstrumpfReihe habe ich zum Beispiel inzwischen einige Male gesehen.

Und?

Der Film ist blitzsauber gemacht. Da wurde ja noch eine richtige Geschichte erzählt. Das war kein Actionfilm, und auch keine Geschichte, die sich jemand aus den Fingern gesogen hat, wie „Winnetou“. Lederstrumpf erzählt von einem Mann, der zwischen den Indianern und den Weißen steht. Da steckt eine zeitlose Botschaft drin, von Völkerverständigung und Offenheit für andere Kulturen. Und am Schluss guckt er in die untergehende Sonne und verlöscht, wie er es bei den Indianern gelernt hat. Das ist doch toll.

Lederstrumpf machte Sie berühmt, bis heute verbindet man Ihren Namen mit der Rolle…

…ja, die Reihe hat mir Ruhm und Ehre gebracht. Aber danach war ich verbrannt.

Wieso?

Wenn Sie damals in einem Vierteiler durchgehend die Hauptrolle spielten, sagten danach alle Regisseure: Den wollen wir nicht mehr sehen. In dem Jahr nach Lederstrumpf habe ich keine Filmangebote mehr bekommen. Das war eine der niederschlagendsten Erfahrungen meines Lebens.

Wie sind Sie da herausgekommen?

Der NDR bot mir an, probeweise „Kennen Sie Kino?“ zu moderieren. Und aus dem einen Mal wurden dann zehn Jahre.

Sie sind ja gebürtiger Berliner…

…ja, hier begann alles. Im Funkhaus an der Masurenallee habe ich am 13. November 1936 meinen ersten Schulfunk gemacht.

Damals waren Sie erst 13 Jahre alt…

Ja. Es war eine Sendung über Schuberts Forellenquintett. Ich hatte mich beim Jugendfunk beworben und gesagt: Ich will Rundfunk machen! Da habe ich Blut geleckt. Es war ja damals alles live, weil es keine Tonträger gab.

Schon fünf Jahre später kehrten Sie Berlin den Rücken. Wieso?

Es war Krieg! Ich habe mit 18 Jahren mein Notabitur gemacht, wir haben noch ein Klassenfoto aufgenommen, und am nächsten Tag waren wir schon auf dem Weg zum Arbeitsdienst in Stralsund. Im Juni 1941 wurde ich zur Marine eingezogen. Mit 20 war ich schon Kommandant eines Minensuchbootes im englischen Kanal. Tagsüber schliefen wir, nachts suchten wir Minen. Danach habe ich die U-Boot-Ausbildung gemacht. Ich erinnere mich noch, wie wir dort am 20. Juli 1944 vom Attentat auf Hitler erfuhren.

Was empfanden Sie an dem Tag?

Wir waren betroffen. „Das kann doch nicht wahr sein“, dachten wir. Aber ich war kein glühender Nazi. Mein Vater war sogar ein fanatischer Nazi-Gegner gewesen. Als ich freiwillig zur Marine gegangen bin, hat er nicht mehr mit mir geredet. Dabei wäre ich ein halbes Jahr später sowieso eingezogen worden.

Sind Sie nach dem Krieg in Ihre Heimatstadt zurückgekehrt?

Nein. Nach dem Krieg stand ich mit 40 Mark Entlassungsgeld und einer Fahrkarte nach Berlin in Lübeck. Aber ich bin nicht gefahren.

Warum nicht?

Ich habe mich nicht getraut. Damals war die Stadt unter russischer Besatzung. Ich bin dann erst ein Jahr später wieder zu Besuch in Berlin gewesen.

Sie drehten Dutzende Filme, arbeiteten als Radio- und Synchronsprecher. Was war aus heutiger Sicht Ihr wichtigstes Werk?

Der Film „Waldhausstraße 20“. Ich spielte einen Pfarrer, der in seiner Kirche Juden versteckte. Das war 1960 meine erste große Fernsehrolle. Der Film war der erste abendfüllende Spielfilm des deutschen Fernsehens! Damit änderte sich alles. Am nächsten Morgen wurde mir die nächste Hauptrolle angeboten, drei Wochen später noch eine. Und kurz danach kam der erste Fernseh-Vierteiler, „Das Halstuch“ von Durbridge.

Würden Sie gerne mal wieder vor der Kamera stehen?

Nein.

Wieso?

Menschen in meinem Alter existieren in der Branche nicht. Für Männer jenseits der 50 gibt es kaum gute Rollen. Wir gehören nicht mehr zum werbeträchtigen Markt.

Das klingt verbittert.

Ich habe einmal für Sat 1 in einem Fernsehspiel zum Untergang der Estonia mitgespielt. Das hieß „Die Tochter des Kapitäns“. Am Tag der Sendung wurde es in „Die Fähre in den Tod“ umbenannt, um es besser verkaufen zu können. Da bin ich explodiert. Unter dem Titel hätte ich nicht mal das Drehbuch gelesen, das schwöre ich Ihnen!

Es drängt Sie nicht mehr ins Rampenlicht?

Nein, nur noch, wenn ich etwas für wichtig halte. Letztes Jahr habe ich für Gerhard Schröder Wahlkampf gemacht, auch auf dem Gendarmenmarkt, weil ich es für notwendig halte, dass er weiter an der Regierung bleibt.

Und, sind Sie jetzt mit ihm zufrieden?

Das wird schon noch. Geben Sie ihm ein bisschen mehr Zeit! Er hat enorme Schulden von der Kohl-Regierung geerbt. Die abzubauen, dauert seine Zeit.

Machen Sie eigentlich noch Radiosendungen?

Ja, das letzte Mal habe ich vor einem halben Jahr bei einem Hörspiel des MDR mitgespielt. Das war eine reine Freude.

Sie denken offenbar noch nicht daran, sich ganz zur Ruhe zu setzen.

Nein, ich bin ja durch und durch ein Rundfunkmann. Ich erinnere mich heute noch an die Momente, wenn wir im Krieg nachts bei Windstärke acht Minen räumten, und das Boot schwankte wie wild. Hinterher gingen wir in die Funkbude und hörten ein Klavierkonzert im Radio. In dem Moment vergaßen wir, dass wir über Minen fahren und es jeden Moment knallen kann. Ich dachte nur: Gott, was für ein Medium!

Vor sechs Jahren sind Sie in Ihre Geburtsstadt Berlin zurückgezogen. Fühlt es sich schon wieder heimatlich an, hier zu leben?

Nein, es ist immer noch fremd. Es hat sich so vieles verändert. Ich war einfach zu lange weg. Ich habe nur wenige Freunde hier. Von meinen Berliner Schulkameraden leben noch drei. Mit denen habe ich mich einmal getroffen. Aber wenn man sich im Krieg mit 20 Jahren das letzte Mal gesehen hat, dann ist es schwer, irgendwo anzuknüpfen. Außerdem ist der Ton in Berlin viel ruppiger geworden, ordinärer und proletarischer. Allerdings finde ich es nach wie vor sehr schön, in den Grunewald oder an die Havel zu gehen. Und ich fahre leidenschaftlich gerne auf die Pfaueninsel, da hat man seine Ruhe.

Was wünschen Sie sich zum 80. Geburtstag?

Dass der liebe Gott mir noch eine Verlängerung gewährt. Ich bin immer noch neugierig. Das Gespräch führte Lars von Törne

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