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Rundblick: Reinhard Müller auf der Baustelle des Gasometers im Euref-Campus Berlin-Schöneberg.

© Tagesspiegel/David Heerde

„Meine Frau wundert sich über meinen guten Schlaf“: Euref-Chef Reinhard Müller geht in Rente – und blickt zurück auf seine Karriere in Berlin

Mit dem Zubau des Gasometers ist das Europäische Energieforum in Schöneberg komplett. In Düsseldorf, Paris und Zürich gibt es ähnliche Projekte.

Reinhard Müller ist noch immer so begeistert, als schaute er zum ersten Mal auf die Stadt. Rund 70 Meter über dem Schöneberger Grund ist es frisch, und die Besucher tapsen vorsichtig zwischen Pfützen, Baumaterial und Werkzeug über die Baustelle. Es geht voran im Gasometer, alle Decken sind eingezogen, die ersten gläsernen Fassadenelemente stehen und der denkmalgeschützte Stahlrahmen des riesigen Zylinders ist fast komplett gereinigt.

Der Gasometer ist Müllers letztes Bauprojekt auf dem Euref-Campus am Rand der Roten Insel, zwischen Rathaus Schöneberg und Bahnhof Südkreuz. Mit 200 Millionen Euro verwandelt die Euref AG das IndustrieEdenkmal (1908 bis 1910 errichtet) in ein Bürohochhaus. Mitte 2024 werden rund 2000 Mitarbeitende der Bahn die 28.000 Quadratmeter, verteilt auf zwölf Geschosse, belegen. Das Europäische Energieforum (Euref), wie Müller das Gelände vor 15 Jahre getauft hat, ist damit komplett.

Müller, der im kommenden Sommer seinen 70. Geburtstag feiert, hat aus einer Schöneberger Industriebrache ein Exportprodukt gemacht: In Düsseldorf entsteht derzeit ein ähnliches Areal, für Paris, Zürich und Hamburg gibt es Pläne. Trotzdem geht der Hofherr erste Schritte in den Ruhestand. In einer jetzt beginnenden einjährigen „Abkühlperiode“, wie Müller sagt, übergibt er peu à peu die Geschäfte und wechselt in den Aufsichtsrat.

Sprecherin des Vorstands wird Karin Teichmann, die 2017 von Berlin Partner zur Euref AG kam und seit 2019 im Vorstand sitzt. „Ich akzeptiere Profis neben mir“, sagt Müller über Teichmann. Er räumt sein Vorstandsbüro und zieht ein paar Zimmer weiter zu den Architekten. „Ich gehe dahin zurück, wo ich herkomme.“ 

Wer sich anstrengt, der kann es unabhängig von der Herkunft weit bringen.

Euref-Gründer Reinhard Müller

Wobei sich Müller eher als Bauherr denn als Architekt sieht, er habe immer gestalten wollen, erzählt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Ich möchte nicht, dass Mist entsteht“, und ein Bauherr habe eben größere Möglichkeiten als ein Architekt. In den 1970er Jahren studierte der gebürtige Rheinländer an der TU Berlin Architektur.

„Das Leistungsversprechen in der Zeit von Willy Brandt hat mich als jungen Mann überzeugt: Wer sich anstrengt und Leistung bringt, der kann es weit bringen – unabhängig von der Herkunft.“ Müller hat es weit gebracht und ist mit sich im Reinen. „Ich schulde niemand in der Stadt Geld.“

Der Vater war Konditor, der Großonkel sozialdemokratischer Bürgermeister in Krefeld. Mit 17 Jahren trat Reinhard Müller der SPD bei. Er duzt sich mit Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel; die Party zum 10. Euref-Geburtstag moderierte 2019 Klaus Wowereit. Peter Strieder, einst Berliner SPD-Landeschef, saß viele Jahre im Euref-Aufsichtsrat. Kontakte in die Politik sind in der Baubranche so wichtig wie zuverlässige Baufirmen. In Berlin sowieso.

„Ich bin mit allen Wassern gewaschen, was den Umgang mit Baufirmen und Behörden angeht“, sagt Müller. Und er hat Lehren gezogen aus Erfahrungen. Als junger Architekt prozessierte er zwei Mal. Gegen eine Berliner Malerfirma habe er wider Erwarten gewonnen und gegen einen Stuckateur zu Unrecht verloren, erzählt Müller und zog Konsequenzen. „Ich haben nie mehr einen Prozess geführt.“ Mit ein paar Leitmotiven sei er gut gefahren: „Anständige Arbeit machen“, ein gutes Team aufbauen und zusammenhalten und die Geschäftspartner nicht enttäuschen. „Ich bemühe mich für jeden, der mir sein Vertrauen gibt.“

Reinhard Müller vor dem Gasometer. Auf dem Dach entsteht eine für die Öffentlichkeit zugängliche Terrasse.

© Tagesspiegel/David Heerde

Vor 20 Jahren kaufte die börsennotierte IVG den Immobilienfondsanbieter und Projektentwickler Wert-Konzept, an dem Müller beteiligt war. Er machte also Kasse und arbeitete noch einige Jahre für die IVG. Unter anderem restaurierte Müller den Spreespeicher in Friedrichshain, in den der Musikkonzern Universal 2002 einzog. In jenen Jahren suchte die Gasag einen Käufer für das Gelände des ehemaligen Gaswerks in Schöneberg und fand Müller. Für eine Million Euro wechselten die 5,5 Hektar rund um den Gasometer den Eigentümer. Ein Schnäppchen trotz der Altlasten, die Müller für ein paar Millionen entsorgen musste.

Als nach Fukushima im Frühjahr 2011 die Energiewende Fahrt aufnimmt, wird der Euref zum „Reallabor“ eines klimaneutralen Wirtschaftsstandortes. Die Talkshow mit Günter Jauch in der Kuppel des Gasometers (2011 bis 2015) bringt Geld und Bekanntheit. Bevor die Bauarbeiten im Gasometer begannen, hat Müller vor zwei Jahren  die Kuppel demontieren und auf dem Euref-Campus Düsseldorf wiederaufbauen lassen. Schicke Tagungsräume werden immer gebraucht.

Das kleinste Hotel Deutschlands

Rund 150 Firmen und Forschungseinrichtungen mit 5000 Mitarbeitenden sind heute in Schöneberg angesiedelt, darunter die Gasag, der Bundesverband Erneuerbare Energie und TU Institute. Sieben denkmalgeschützte Backsteinbauten hat Müller restauriert, darunter der ehemalige Wasserturm, in dem sich mit drei Zimmern das kleinsten Hotel Deutschlands befindet.

Um das Hotel kümmert sich Maria Müller, seit 39 Jahren die Ehefrau des Bauherrn. Müller agiert als Bestandhalter: er restauriert und baut Gebäude und vermietet die langfristig zu Preisen um die 20 Euro den Quadratmeter. Für die Bahn wird es im Gasometer etwas teurer.

Alles in allem gehören etwa 100 Beschäftigte zur Euref-Gruppe, die meisten davon arbeiten im Veranstaltungsbereich. In der „Werkstatt 26“ finden bis zu 600 Personen Platz, mehr als 300 Events gab es 2022 in den insgesamt zehn Locations, darunter ein Treffen der Energieminister der G7-Staaten.

Wenn der Gasometer mit dem Kongressbereich im Erdgeschoss und der riesigen Terrasse auf dem Dach fertiggestellt ist, werden es von 2024 an noch mehr werden. Um das Catering kümmert sich ein Spitzenkoch. 2015 holte Müller den Interconti-Küchenchef Thomas Kammeier als Gastronomischen Leiter auf den Euref. „Was würdest du als Mieter erwarten? Diese Frage habe ich mir gestellt“, erzählt Müller. Auch in Düsseldorf. Für die dortige Campus-Küche ist Cornelia Poletto zuständig.

Karin Teichmann, die neue Sprecherin des Euref-Vorstands, eingerahmt von Klaus Wowereit und Reinhard Müller anlässlich der Geburtstagsparty 2019.

© Euref AG/Christian Kruppa

Müller hat mit Hilfe des Bezirksamtes Schöneberg die Bedenken des Berliner Denkmalschützers gegen den Zubau des Gasometers überwunden. „Ich brauche Gegenwind, um richtig gut zu werden“, sagt der Baumeister. Hartnäckigkeit, Geduld und Verhandlungsstärke zeichnen ihn aus, sagen Müller-Kenner über das „Schlitzohr“. Und Zuverlässigkeit und Pingeligkeit. „Wenn ich Kippen auf dem Campus sehe, hebe ich die auf.“

Eine gewisse Eitelkeit sieht man ihm nach bei den Besuchern aus aller Welt, die sich in Schöneberg die klimaneutrale Zukunft anschauen. „Heute gibt sich die Politik hier die Klinke in die Hand“, sagt Müller. Aber auch: „Meine Frau lässt gar nicht zu, dass ich überschnappe.“

„Wir diskutieren zu viel und machen zu wenig“

Den vielen Zweifler habe er gezeigt, „dass die Klimawende machbar und bezahlbar ist“, sagt Müller mit Stolz. „Wir diskutieren zu viel und machen zu wenig“, findet der Sozialdemokrat und meint damit vor allem die Energiewende. Angst vor dem Risiko oder gar dem Scheitern – allein in Schöneberg wurden mehr als 500 Millionen Euro investiert und in Düsseldorf sind es knapp 400 Millionen – „habe ich nie gehabt“. Das viele Geld stamme ja auch von den Banken, also kein Grund zur Sorge. „Meine Frau wundert sich über meinen guten Schlaf.“

Müller hat viel gebaut in Berlin. Er kennt sich aus in der Branchen und den Behörden, den Wohnungsbau sieht er in einer „verfahrenen Situation“. Er sieht nur einen Weg zu mehr Wohnungen. „Die Zinsen müssen runter – also von der öffentlichen Hand subventioniert werden.“ Dann könnte es klappen, denn „anders als andere Großstädte hat Berlin Grundstücke, Grundstücke, Grundstücke“. Die von ihm aber nicht bebaut werden.

Müller verbringt zunehmend Zeit auf Mallorca und dem Golfplatz am Wannsee. Tochter Sarah, die Internationales Business Management studiert hat, gehört seit dem 1. Januar dem Vorstands an und der Schwiegersohn Julian (Müller: „ein Glücksfall“) dem Aufsichtsrat. Reinhard Müller bereitet sich derweil auf den 11. Juli vor.

An seinen 70. Geburtstag lassen sich die Eheleute Müller in der Schöneberger Apostel-Paulus-Kirche von einem befreundeten Pfarrer trauen. Eine Ergänzung zur standesamtlichen Trauung vor 39 Jahren. Ein große Sause ist nicht geplant. „Ich gehe mit meiner Frau und ein paar Freunden zum Essen“, sagt Müller.

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