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Demokratie braucht Demokraten. Das Strafrecht wird nicht lange helfen.

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Wider das autoritäre Moment!: Härtere Strafen helfen nicht gegen Politikerhass

Nach der brutalen Attacke auf einen SPD-Politiker ist das Entsetzen zu Recht groß. Doch der Staat sollte nicht mit Strafverschärfungen reagieren. Sonst verroht neben der Straße auch die Politik. Die Aufgabe ist viel größer als das.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Die Versuchung ist groß. Nach Entsetzen und Empörung über Regelbrüche muss etwas folgen ... Härtere Strafen! Mehr Regeln! Schärfere Gesetze! Der Ruf danach liegt nah und ist zu kurz gedacht.

Auch die derzeitige Debatte um Angriffe auf Politiker folgt diesem Reiz-Reaktions-Schema. Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) kündigt jetzt eine Initiative seines Bundeslandes an, um im Strafgesetzbuch die Bedrohung von Amts- und Mandatsträgern gesondert zu regeln. 

Die Justizministerin des Freistaats, Katja Meier (Grüne), erfand den Begriff des „politischen Stalkings“, das sie unter Strafe stellen will; gemeint sind Demonstrationen vor Wohnhäusern von Politikern. Bundesinnenministerin Nancy Faeser regt einen Sondergipfel der Innenminister an und der für etwas ganz anderes zuständige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) ruft auch nach mehr Abschreckung: durch härtere Strafen.

Eine rechtliche Sonderstellung von Politikern kann neue Störgefühle hervorrufen

Es ist verständlich, dass Politiker sich selbst schützen wollen. Die schlechte Nachricht ist: Immer neue Strafen und Regeln werden Hass und Gewalt gegen sie voraussichtlich nicht verringern. Eine rechtliche Sonderstellung für Politiker, wie sie Armin Schuster fordert, kann neue Störgefühle hervorrufen.

In der Kriminologie gibt es zudem längst weitgehende Einigkeit darüber, dass härtere Strafen nicht unbedingt zu weniger Kriminalität führen. Warum sollte anderes ausgerechnet beim Vorgehen des Staates gegen hasserfüllte Bürger gelten?

Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich müssen Politiker (und Mitarbeiter von Behörden, die noch viel häufiger angegriffen werden) besser geschützt werden. Dies soll kein Plädoyer zum Nichtstun sein. Es ist gut, wenn die Polizei jetzt über Plakataktionen im Wahlkampf informiert wird, Politiker und ihre Veranstaltungen schützt und Beamte präsent auf den Straßen sind.

Der Staat muss sein Gewaltmonopol beweisen, keine Frage

Es ist richtig, wenn stärker gegen die Gewaltaufrufe im Internet vorgegangen wird, die auch überall sonst strafbar wären. Richtig sind auch mehr Beratungsangebote für Betroffene von Gewalt. Die Täter müssen verfolgt und verurteilt werden – und zwar möglichst schnell. Der Staat muss sein Gewaltmonopol beweisen, keine Frage.

Gesetze gegen Hass und Hetze trocknen aber nicht den Nährboden aus, auf dem die Gewalt gedeiht. Vielleicht dienen sie sogar als Dünger. Wer sich zu einem Faustschlag gegen einen Politiker entscheidet, wird sich nicht durch ein neues Gesetz davon abhalten lassen.

Wer autoritär denkt, wird nicht durch ein neues Gesetz zum Demokraten erzogen

Wer Politiker hasst, wird sich von Gerichten vielleicht die übelsten Beleidigungen verbieten lassen, aber nicht seine Gedanken. Kurz: Wer autoritär und gewaltvoll denkt, wird durch ein Gesetz nicht zum friedliebenden Demokraten erzogen. Es wird weiter in ihm gären.

Politische Gewalt hat zumeist politische Ursachen. Eine Studie des Pew Research Center ergab kürzlich, dass nur noch 37 Prozent der Deutschen die repräsentative Demokratie für eine sehr gute Regierungsform halten. 2017 waren es noch 46 Prozent.

Gleichzeitig stieg der Anteil derer, die sich einen starken Führer wünschen, von 6 auf 16 Prozent. Es ist zumeist diese grundsätzliche Ablehnung des Systems, die auch in Hass und Gewalt gegen Politiker umschlagen kann. Auch im Fall des SPD-Politikers Ecke gilt ein Rechtsextremist als tatverdächtig.

Es gilt, die Zahl der Demokratiefeinde zu reduzieren

Mit der Zahl der Systemfeinde und Unzufriedenen steigt auch die statistische Wahrscheinlichkeit von Gewalt. Daher muss ihre Anzahl reduziert werden. Diese Aufgabe ist gigantisch, angesichts autoritärer Tendenzen weltweit. Sie lässt sich nicht mit einem Sondergipfel oder einem neuen Gesetz lösen. Sie wird andauern; sie wird Kraft kosten, Beharrlichkeit erfordern.

Die erfolgreiche Antwort auf Hass und Gewalt gegen Politiker und andere Vertreter des Staates wird nicht im Herbeisehnen eines neuen Wir-Gefühls liegen, in mehr Demokratieerziehung oder, wie jetzt diskutiert, schärferen Gesetzen.

Demokratie braucht in erster Linie Demokratinnen, nicht das Strafrecht. Sie braucht ganz wesentlich den Glauben möglichst vieler Menschen an das politische System. Den kann man nicht durch Strafen erzwingen; den muss man erarbeiten.

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