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In Berlin wird per Flugblatt über das Kriegsende informiert.

© imago/ITAR-TASS

Gedenken zum 8. Mai: Diesen Feiertag sollten wir uns leisten

Gerade in Zeiten, in denen die liberale Demokratie wieder bedroht ist, braucht es ein Innehalten am 8. Mai, diesem Tag mit seinen vielen unterschiedlichen Bedeutungen.

Ein Kommentar von Nikolaus Bernau

Eines der großen Rätsel der Berliner Erinnerungspolitik der vergangenen Jahre ist, warum der 8. Mai nicht längst zum Gedenk- und Feiertag erklärt wurde. Er hat derart viele Bedeutungen, dass wir ihn uns leisten sollten, um innezuhalten und an diesem Tag mal nicht zu shoppen.

Notwendig ist es gerade in diesen Zeiten, in denen die mit Millionen von Toten errungene liberale Demokratie wieder bedroht ist von Parteien, die Andersdenkende schamlos als „Volksfeinde“ verhetzen. In Zeiten, in denen „Friedensfreunde“ fast aller politischen Lager meinen, dass die um ihre Freiheit und die Demokratie kämpfende Ukraine doch etwa ein Fünftel ihres Staatsgebiets aufgeben könne. Dann werde Putin schon satt werden.

Dabei lehrt gerade dieser Tag: Der Zweite Weltkrieg begann, als die Demokratien Europas um des eigenen Friedens willen im „Münchner Abkommen“ 1938 die demokratische Tschechoslowakei verrieten, nicht erst, als Deutschland 1939 auch noch Polen und dann Europa überfiel.

Zwiespältige Erinnerungen

Doch der 8. Mai 1945 ist eben auch der Tag des Beginns der sowjetischen Unterdrückung Mittel- und Osteuropas. Bezeichnenderweise wird in Russland am 9. Mai der Tag des Sieges gefeiert. Die Zeit der Unterdrückung dauerte bis 1991, bis zum Zusammenbruch des von Lenin, Trotzki und Stalin mit Krieg, Terror, Hunger und Völkermord zusammengezwungenen Sowjetimperiums. Seit 1917 war ihre Herrschaft eine der Deportationen, der Vertreibungen, der Massenerschießungen, der Lager, der politischen, religiösen und sozialen Unterdrückung.

Die Rote Armee wurde in keiner von ihr unter großen Opfern befreiten Stadt Europas auch nur annähernd so bejubelt wie die amerikanische Armee bei der Befreiung von Paris. Amerika stand für eine neue Zeit, für das Versprechen der Demokratie, des Wohlstands für alle, der Freiheit. Die Rote Armee stand für Stalin. Für viele Menschen begann am 8. Mai 1945 eine neue Terrorherrschaft, in Karelien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Belarus, der Ukraine, Moldawien, der Slowakei und Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, in den sowjetisch besetzten Teilen Österreichs und Deutschlands und nicht zuletzt in Russland.

75 Jahre Grundgesetz

Aber es war auch ein 8. Mai, der des Jahres 1949, als wenigstens die Deutschen dank Amerika neue Hoffnung schöpfen konnten: Während die Westalliierten West-Berlin mit der Luftbrücke gegen den Machtanspruch Stalins verteidigten, unterzeichnete Konrad Adenauer das Grundgesetz. Schon im Kaiserreich, dann 1918 in der Revolution, nach 1933, nach 1945 war dieser sicher schillernde Mann eines immer: ein unbeugsamer Kämpfer für die liberale Demokratie.

Auch seinetwegen ist das Grundgesetz so liberal und westlich geworden, widersteht aller Vorstellung, dass Deutschland eine Sonderrolle unter den Völkern zustehe. Mit der Unterschrift Adenauers wurde es politisch wirksam, auch wenn es erst am 23. Mai in Kraft trat. Was spricht eigentlich dagegen, im Mai drei Feier- und Gedenktage für Freiheit und liberale Demokratie zu haben?

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