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Die Inszenierung „Riesenhaft in Mittelerde™“ hatte in Zürich Premiere und wurde von der Theatertreffen-Jury ausgwählt.

© Philip Frowein

Das Helmi beim Theatertreffen: Trotz Erfolg in existenzieller Krise

„Riesenhaft in Mittelerde™“ ist eine Gemeinschaftsinszenierung von Cora Frost, Theater Hora und dem Puppenkollektiv Helmi. Die Berliner Gruppe kämpft gerade um ihre Existenz.

Es verspricht eine große Gaudi zu werden: J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“-Trilogie als Theater-Happening, als wilder Mix aus Fantasy-Filmdreh und ironischer Fan-Convention, mit dem Publikum mittendrin. „Mit das Großartigste, Überbordendste, was man zurzeit im Theater erleben kann“, schwärmte die „Süddeutsche Zeitung“ nach der Zürcher Premiere von „Riesenhaft in Mittelerde™“. Ganz ähnlich sah das auch die Jury des Theatertreffens, die den Abend nach Berlin eingeladen hat, wo er jetzt seinen Festival-Auftritt feiert.

„Riesenhaft in Mittelerde™“ ist eine Gemeinschaftsinszenierung von Nicolas Stemann, Cora Frost, Stephan Stock vom Theater Hora – und Florian Loycke von der Puppenspieler-Crew Das Helmi, die seit Jahrzehnten im Ballhaus Ost ihre Basis hat und eine Berliner Institution ist.

Das mittlerweile zum Kollektiv angewachsene Team aus den Gründern – Florian und Felix Loycke, Brian Morrow, Emir Tebatebai – und Verbündeten hat seine ganz eigene, unverwechselbare Ästhetik geprägt: mit kulleräugigen Schaumstofffiguren, die immer leicht zerknautscht wirken und deren hervorstechendstes Merkmal das Unperfekte ist. Nicht normschön, aber bestürmend charmant.

Mit seinen Puppen hat die Gruppe nicht nur die Freie Szene, sondern längst auch die A-Liga des Theaters erobert. Vom Hamburger Thalia-Theater bis zum Schauspiel Zürich. Und: Das Helmi ist lange erprobt und geradezu virtuos in der Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigung, wie eben vom Theater Hora.

Nicht nach Feiern zumute

Insofern könnte man die aktuelle Einladung zum Theatertreffen schlicht als weiteren Erfolg verbuchen, an dem die schrägen Schaumstofffratzen ihren Anteil hatten. Das Problem: Ihren Schöpfern ist gerade so gar nicht nach Feiern zumute. Das Helmi kämpft gegenwärtig um seine Existenz.

Im vergangenen Jahr ist der Gruppe die Förderung durch den Berliner Kultursenat entzogen worden, was womöglich nur deshalb keine hohen Wogen geschlagen hat, weil Loycke & Co. sich als sympathisch-chaotische Bastler eher nicht als Aktivisten eignen und es entsprechend versäumt haben, kulturpolitischen Wind zu machen. Nichtsdestotrotz erzählt der Fall Helmi viel über die Schieflagen des Berliner Fördersystems.

Wie eine Komplettentlassung, nach der man zum Jobcenter gehen kann.

Florian Loycke von Das Helmi über den Juryentscheid zur Förderungsentziehung

Die Gruppe ist zuletzt mit rund 130.000 Euro pro Jahr unterstützt worden, aus dem Topf der vierjährigen Konzeptförderung – dem Besten, was Künstlerinnen und Künstler im Bereich der freien darstellenden Künste in Berlin erreichen können. Auch davor wurde Das Helmi über Jahre kontinuierlich gefördert. Bis nun eine Jury des Berliner Senats entschied, die Puppentruppe nicht mehr weiter für den Kreis der Zuwendungsberechtigten zu empfehlen. Eine offizielle Begründung dafür gab es nicht, die ist im Einzelfall nicht vorgesehen.

Klar ist: An mangelnder Produktivität kann es schon mal nicht gelegen haben. „Mit dem Geld aus der Konzeptförderung machen andere Gruppen eine Produktion im Jahr, wir haben vier gemacht“, erzählt Florian Loycke. Von ihrer schönen Show-Reihe „Die Suche nach der Ur-Oper“ entstanden im Ballhaus-Ost sogar acht Ausgaben im Jahr.

Erfinderisch in der Corona-Zeit

Das Helmi hat sich auch während der Corona-Zeit als enorm erfinderisch bewiesen. Unter anderem wurde die hauseigene Plattform „Helmiflix“ mit über 50 Videos und einem Spielfilm gestartet, gestreamt von knapp 10.000 Leuten. Klar, Output und Erfolg sind nicht alles. Und natürlich ließe sich einwenden: Wie sollen denn neue Künstlerinnen und Gruppen die Chance auf Förderung bekommen, wenn nicht auch mal Altgediente weichen – es sei denn, die Fördertöpfe würden aufgestockt, was sie in Zeiten knapper Kassen nicht mehr werden. Aber das ist trotzdem kein Argument dafür, Künstler aus gewachsenen und vermeintlich gefestigten Strukturen ins Nichts stürzen zu lassen.

Die Helmi-Show-Reihe „Die Suche nach der Ur-Oper“.

© Holger Photos

Andere, wie die Gruppe Andcompany & Co., sind immerhin von der vierjährigen Konzeptförderung auf die zweijährige Basisförderung zurückgestuft worden – das bedeutet in der Regel weniger Planungssicherheit und Geld, aber zumindest lässt sich weiterarbeiten.

Für Das Helmi hingegen hat sich der Juryentscheid angefühlt „wie eine Komplettentlassung, nach der man zum Jobcenter gehen kann“, erzählt Florian Loycke am Telefon. Er ist gerade in Gelsenkirchen, wo Das Helmi am Musiktheater im Revier „Death Is Not The End“ inszeniert, ein „Erweckungsmusical“ nach den Mörderballaden von Nick Cave. Aus dem Ballhaus Ost musste das Puppentheater-Kollektiv unterdessen ausziehen, weil es die Miete für seinen dortigen Stammraum nicht mehr bezahlen konnte.

Ab September kein gesichertes Budget mehr

Das Helmi ist jetzt in einem Ateliergebäude an der Prenzlauer Promenade untergekommen, der Senat schoss noch einmalig knapp 5000 Euro für die Miete dort zu, auch das Ballhaus griff der Gruppe im Rahmen seiner Möglichkeiten mit einem kleinen Produktionsbudget für weitere Folgen der „Ur-Oper“ unter die Arme. Allein: Die Perspektive fehlt. „Ab September“, sagt Loycke, „haben wir überhaupt kein gesichertes Budget mehr.“

Vor dieser Situation stehen auch andere Künstlerinnen und Künstler, die unversehens aus der Konzept- oder der Basisförderung fallen: Was wird aus Proberäumen, Büros, festen oder assoziierten Mitarbeitenden, geknüpften Netzwerken? Über welche Projektanträge werden sich jetzt noch Produktionen realisieren lassen? Sicher, die freie Existenz ist ein selbst gewähltes Schicksal. Aber vor dieser Art von „Selbst schuld“-Argumentation sollte man sich hüten.

Zumindest über eine Grundsicherung für Künstlerinnen und Gruppen, die über Jahre gefördert wurden, müsste nachgedacht werden. Es sei denn, man möchte leuchtende Köpfe wie Das Helmi nur noch ab und zu als Gäste in Berlin erleben. Dann eben beim Theatertreffen.

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