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WISSENSCHAFT POTSDAM: „Eine Welt ohne Trost“

Die Philosophin Susan Neiman erklärt, warum das Buch Hiob auch heute noch sehr aktuell ist. Am 7. Juni beginnt dazu am Potsdamer Einstein Forum eine internationale Tagung

Frau Neiman, wieso erzählen sich die Menschen seit 2000 Jahren die Geschichte von Hiob, der alles richtig macht und dennoch vom Leben hart bestraft wird?

Weil es die menschliche Erfahrung widerspiegelt, wie kein anderes Buch. Es gibt rechtschaffene Menschen, die trotzdem viel Leid erfahren und es gibt sehr verdorbene Menschen, die ungestraft, reich und glücklich durchs Leben kommen. Das ist leider die Erfahrung, mit der wir immer wieder konfrontiert werden. Diese Erfahrung ist eigentlich der Beginn der Philosophie, die Frage nach dem warum. Wenn alle bekämen, was sie verdienten, würden sich die Fragen nach dem Sinn des Lebens nicht so brennend stellen.

Gott will Hiob auf die Probe stellen, er nimmt ihm seine Kinder, sein Land, seine Gesundheit. Dennoch bleibt Hiob demütig, er beschwert sich nicht. Schließlich nimmt Gott das Leid wieder von ihm. Ist also Ergebenheit der Schlüssel?

Das ist die meist diskutierte Frage der Hiob-Interpretation, wie lässt sich das Ende verstehen. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war Demut und Ergebenheit in Gottes Handeln die Antwort auf die Frage. Es wurden auch immer wieder Teile des Buches zensiert, die Stellen, an denen Hiob nicht geduldig und demütig sein Leid ertrug. Die Stellen, an denen er Wut zeigt, sind die schwierigsten Stellen der Bibel. Es ist der einzige Ort, an dem Satan direkt auftaucht, der mit Gott wettet, dass Hiobs Frömmigkeit nicht ehrlich sei. Zweitens ist es die längste Stelle, an der Gott direkt spricht. Und drittens ist es der einzige Punkt, an dem der Mensch Wut gegen Gott zeigt.

Was hat sich an der Rezeption geändert?

Erst im späten 18. Jahrhundert – mit Kant – begannen die Menschen sich mit Hiob zu identifizieren, der stets seine Unschuld und Treue zu Gott beteuerte. Vorher waren alle Interpreten Hiobs Freunden gefolgt, die Sünde als Grund für die vermeintliche Bestrafung Hiobs sahen. Man teilte die Auffassung von Leibniz, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben: die kleinen Menschen können Gottes Handeln ohnehin nicht verstehen, wenn man nur durchhält werde schon alles gut. Erst mit der Aufklärung hat man dies hinterfragt. Kant sagte, dass die Freunde nur sagen, was Gott hören will und Hiob der einzige ist, der sich tatsächlich mit Gott und dem Zustand der Welt auseinandersetzt. Wichtig ist, dass Gott ganz zum Schluss sagt, dass nicht die Freunde, sondern Hiob Recht hat.

Was folgt daraus?

Dass eben nicht Geduld und Demut die Lehre sind, sondern dass Hiob selbst verlangt, dass die Vernunft und die Welt zusammenkommen sollen. Dass sei die Aufgabe des Menschen, Gerechtigkeit und Justiz in die Welt zu bringen. Das ist meine Sicht auf Hiob. Natürlich ist das nicht die einzige Lesart. Doch ich würde davor warnen, die Demut gegenüber dem Leid zu stark in den Vordergrund zu stellen. Denn diese Sicht basiert wie gesagt auf zensierten Textstellen.

Aus Ergebenheit kann ja auch schnell Fatalismus werden.

Genau das! Deshalb will ich dieses Moment nicht zu sehr unterstreichen. Demut als Lehre aus Hiob ist eigentlich Vergangenheit, auch wenn es in einigen Kirchen noch so gelehrt wird. Die Rede Gottes zu Hiob gehört zu den schönsten Stellen der Bibel – sie ist erschreckend schön. Erst fragt Gott Hiob, wo er denn war, als er die Welt erschuf. Dann beschreibt er, was er alles kann, was Hiob nicht kann. Aber am Schluss sagt Gott doch, dass sein Knecht Hiob Recht hatte und nicht seine Freunde, die Demut und Geduld angemahnt hatten. Das kann also nicht die ganze Botschaft sein.

Der Skeptiker würde sagen, das Buch Hiob wurde schlichtweg verfasst, um den Menschen zu erklären, wieso es in der Welt eines guten Gottes überhaupt das Böse gibt.

Interessant ist, dass das Buch eines der drei Texte ist, bei denen die Gelehrten am stärksten stritten, ob es überhaupt in die Bibel aufgenommen werden soll. Es gibt auch die Theorie, die besagt, dass der letzte Teil, die Aufhebung des Leids, nur hinzugedichtet wurde, damit es in das religiöse Weltbild passe. Denn ohne diesen Teil ist die Aussage ziemlich düster: eine Welt ohne Trost.

Kein Schimmer von Hoffnung also?

Man muss hart daran arbeiten, um aus dem Text Hoffnung zu ziehen. Das ist auch der Grund dafür, dass Hiob so modern ist. Vor der Aufklärung konnte man sich mit einem Leben in Demut zufrieden geben. Nach der Aufklärung und vor allem nach dem 20. Jahrhundert sieht das anders aus. Es gab eine Explosion von Literatur zu Hiob, denn das Bild des rechtschaffenen Menschen in einer ungerechten Welt entspricht dem Selbstverständnis der Moderne.

Warum ist das Buch Hiob heute noch genauso wichtig wie vor 1000 Jahren?

Weil wir uns heute viel weniger durch die systematische Theologie trösten lassen, die uns sagt, dass wir in der bestmöglichen Welt leben.

Sie versammeln nun Wissenschaftler aus aller Welt in Potsdam, um über das Buch Hiob zu diskutieren Was erwarten wir heute noch von Hiob?

Es gab zur Ankündigung unserer Tagung zwei ganz unterschiedliche Reaktionen. Die einen haben sich gefreut, dass man von den tagespolitischen Fragen einmal zu den wirklich fundamentalen Fragen kommt. Andere haben sich gefragt, was das Einstein Forum nun mit der Bibel zu schaffen hat. Gerade weil Hiob ein Text aus der Bibel ist, ist die Frage nach der Gerechtigkeit in der Welt und was der Mensch diesbezüglich kann und was nicht, zentral. Auf unserer Tagung werden auch erklärte Atheisten wie Jan-Philipp Reemtsma oder der große britische Literaturkritiker James Wood sprechen.

Ist der Topos Hiob in unserer Kultur heute nicht viel weiter verbreitet, als uns bewusst ist?

Auf jeden Fall. Es gibt sogar einen Rapper, der sich Hiob nennt. Es gibt in der Musik unzählige Varianten, von Kantaten über altspanische Musik bis hin zum Reggae. Und denken Sie an die vielen Bücher und Filme, den Hiob-Roman von Joseph Roth oder der Film „Serious Man“ der Coen Brothers oder Terrence Malicks „The Tree of Life“ – das ist Hiobs Geschichte. Das Thema ist allgegenwärtig. Es zieht sich durch die Moderne. Allerdings beobachte ich mit Sorge, dass viele Menschen aufgehört haben, überhaupt irgendeine Gerechtigkeit von der Welt zu erwarten. Es gibt postmoderne Strömungen, die von einer ausschließlich ungerechten Welt ausgehen. Dann braucht man keinen Hiob mehr, dann ist die Wut sinnlos. Immerhin gibt es aber noch genügend Menschen, die sich über Ungerechtigkeit entrüsten.

War Hiob der erste Antiheld der Menschheit?

Warum Antiheld? Ich halte ihn vielmehr für einen Helden. Er war rechtschaffen, hat alles richtig gemacht, und zum Schluss versteht er wirklich, was Gerechtigkeit ist. Als die ganzen Schicksalsschläge auf ihn einprasseln, versucht er das hinzunehmen, bis er nicht mehr kann. Dann wirft er mit einer in der Bibel einzigartigen Wucht und Wut Gott Ungerechtigkeit vor. Sich mit dem Schöpfer anzulegen, erfordert schon Mut. Er sagt dann, dass Gerechtigkeit eine menschliche Kategorie ist, und es am Menschen liegt, die Gerechtigkeit in die Welt zu bringen. Das ist eine extrem heldenhafte Haltung.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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Susan Neiman ist seit dem Jahr 2000 Direktorin des Einstein Forums Potsdam. Zuvor war sie Professorin für Philosophie an der Yale Universität und der Tel Aviv Universität.

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