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Mythengestalt. Felix Dserschinski war erster Chef der Tescheka.

© Y. Kochetkov/dpa

Wissenschaft in Potsdam: Die Stasi-Leute waren die Musterschüler

Potsdamer Zeithistoriker widmen den früheren Geheimdiensten der ost- und mitteleuropäischen Länder eine Vortragsreihe. Und machen überraschende Entdeckungen.

Potsdam - Der Staatssicherheitsdienst der DDR war als Institution größer als der sowjetische KGB. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt der Historiker Jens Gieseke, der am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam die Abteilung Kommunismus und Gesellschaft leitet. Denn im Verhältnis zur Bevölkerungszahl habe die Stasi, offiziell Ministerium für Staatssicherheit (MfS), über mehr Mitarbeiter als der sowjetische Geheimdienst KGB verfügt. Die Geschichte der Geheimdienste in den ost- und mitteleuropäischen Ländern steht im Mittelpunkt einer aktuellen Vortragsreihe, die das ZZF mit veranstaltet.

100 Jahre nach der Gründung des russischen Geheimdienstes Tscheka und 30 Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion sind dessen Agenten noch immer von Mythen umrankt. „Die Archive der Staatssicherheit sind einsehbar, hier wird geforscht. Für die Archive des KGB und des Nachfolgegeheimdienstes FSB gilt das so nicht“, erklärt Gieseke. Die Kontinuität der geheimdienstlichen Methoden und der Strukturen, die vom KGB zum heutigen FSB reichen, sei groß, ergänzt der Historiker Jan C. Behrends vom ZZF. „Russland weiß bis heute nicht, wie es sich zur Tscheka, dem ehemaligen sowjetischen Geheimdienst, verhalten soll“, konstatiert Gieseke. Der Gründer des KGB, Felix Dserschinski, genieße weiterhin großes Ansehen, wohl weil er an den Säuberungsaktionen des KGB in den 1930er- und 40er-Jahren nicht beteiligt war. Dser- schinski starb bereits 1926.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Geheimdienst der UdSSR neu organisiert. Aus der Tscheka wurde zunächst der NKWD und im Jahre 1954 der KGB. Die neu entstehenden Geheimdienste der Länder des Ostblocks waren stark von der Sowjetunion beeinflusst, so Behrends. „Die Leute von der Stasi waren die Musterschüler“, sagt Gieseke.

Nachdem absehbar war, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in eine westliche und eine östliche Besatzungszone zerfallen würde, hätte sich die Frage nach einem möglichen ostdeutschen Geheimdienst gestellt, so der Geschichtswissenschaftler. Absicht des KGB sei es gewesen, in der DDR eine Unterabteilung zu gründen. Dem aber widersprach der sowjetische Partei- und Regierungschef Stalin. Er habe den Ostdeutschen einen eigenständigen Geheimdienst, der dann allerdings mit dem KGB kooperieren sollte, zugestanden. Die Geheimdienste hätten zwar einen erheblichen Einfluss auf die Ostblockstaaten gehabt. „Das 100-jährige Jubiläum der Gründung des sowjetischen Geheimdienstes hat im Gegensatz zu dem der Oktoberrevolution aber fast niemand wahrgenommen“, sagt Behrends etwas verwundert. Hier sei noch einiges an Aufarbeitung nachzuholen, so die Historiker. Dazu wolle die Veranstaltungsreihe beitragen, ohnehin sei das Thema noch ein weithin offenes Forschungsfeld.

Jens Gieseke hat sich bereits in einer Studie intensiv mit der Wahrnehmung und der Präsenz des MfS in der DDR auseinandergesetzt. Er betont, dass in der DDR die Geheimpolizei nicht als Abteilung des Innenministeriums versteckt werden sollte, sondern als gleichberechtigtes Ministerium für Staatssicherheit herausgestellt wurde. Zweck sei es gewesen, die Droh- und Kontrollfunktion des MfS hervorzuheben. So bekam die Stasi ein Doppelgesicht: Einerseits sollten die DDR-Bürger dessen Tätigkeit als etwas für das eigene Leben Irrelevantes begreifen, andererseits aber war das Drohpotenzial des Staates doch ständig präsent, so Gieseke. Gerne habe sich das MfS „als zuverlässiger und gleichrangiger Partner der sowjetischen Geheimpolizei“ gesehen. Die Tscheka habe eine „kulthafte Verehrung“ genossen, die sich auch darin äußerte, dass zum 50. Gründungsjubiläum der Tscheka im Jahre 1954 das Wachregiment des MfS mit dem Ehrennamen des Gründers der Tscheka, „Felix Dserschinski“, benannt wurde. Dem entsprach die Aufstellung eines Denkmals für Dserschinski auf dem Platz vor der Lubjanka, dem Sitz des Geheimdienstes, in Moskau.

„Es ist schon erstaunlich, dass man nicht der Opfer des jahrzehntelangen Terrors des Geheimdienstes gedachte, sondern seinen Gründer ehrte“, stellt die Historikerin Julie Fedor bei ihrem Vortrag über den sowjetischen Geheimdienst fest. Die Geschichte der Tscheka sei im Laufe der Jahre „weiß gewaschen“ worden – und in der Sowjetunion ein Kult um den Geheimdienst geschaffen worden, der auch auf seine Nachfolgeorganisation, den Föderalen Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation (FSB) bezogen würde.

Von den Opfern des Geheimdienstes zu berichten, sei auch heute noch in Russland gefährlich. Die Gründungsmythen der Tscheka hätten sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben, so Fedora. Bei ihren Forschungen ist sie auf eine Facebook-Gruppe gestoßen, deren Mitglieder sich heute stolz dazu bekennen, Nachfahren von Mitgliedern des KGB zu sein. „Der KGB hat den Mythos gepflegt, aus der Seele des Volkes geboren zu sein. Dieses Narrativ trägt teilweise noch heute“, folgert Fedor. 

Andreas Hilger (Deutsches Historisches Institut Moskau) spricht am 23. Januar über den Aufbau der Geheimpolizeien in Ostmitteleuropa und der DDR, anschließend Podiumsgespräch mit Jens Gieseke (ZZF); 19 Uhr, Gedenkstätte Berliner Mauer, Besucherzentrum, Bernauer Straße 119, 13355 Berlin

Richard Rabensaat

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