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Homepage: „Wir müssen radikal umdenken“

Der Potsdamer Bodenexperte Alexander Müller über den dramatischen Schwund fruchtbarer Böden und die Aufgaben der Politik

Herr Müller, manch einer meint, der Boden unter unseren Füßen sei bloß Dreck.

Der Boden unter unseren Füßen ist eine der wertvollsten Ressourcen, er ist für das menschliche Leben unverzichtbar. Böden produzieren 90 Prozent der Lebensmittel, sie sind ein riesiges Reservoir an Biodiversität und sie beheimaten eine unglaublich hohe Dichte an Mikroorganismen, die für unsere Stoffkreisläufe unverzichtbar sind. Und trotzdem behandeln wir unsere Böden wie den letzten Dreck.

Was meinen Sie?

Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, in welchem Ausmaß wir fruchtbare Böden verlieren, jedes Jahr schätzungsweise 24 Milliarden Tonnen alleine durch Erosion. Die uns bislang zur Verfügung stehenden Daten sind hier noch nicht ausreichend. Auf unserem Planeten ist bereits ein Viertel der Landfläche degradiert, das betrifft die Existenz von 1,5 Milliarden Menschen. Und wir müssen uns vergegenwärtigen, dass Böden eine begrenzte, endliche Ressource sind. Es dauert je nach Gegebenheiten mehrere Hundert Jahre bis sich eine 2,5 Zentimeter hohe Humusschicht neu gebildet hat.

Wo ist der Bodenschwund am drastischsten?

Sehr deutlich ist die Bodendegradation in den Regionen der Welt zu beobachten, in denen aufgrund Übernutzung durch den Menschen und klimatischen Veränderungen die Wüstenbildung voranschreitet. Aber wir verlieren auch fruchtbare Böden in den gemäßigten Breiten. Und: Die Ausbreitung der Städte ist ein globales Phänomen. Es gibt Schätzungen, dass sich in den nächsten 20 Jahren die urbane Fläche verglichen mit dem Jahr 2000 verdreifachen könnte. Diese Bodenflächen sind dann sowohl für die Lebensmittelproduktion als auch für das Speichern von Kohlenstoff verloren.

Bedeutet Bodenverlust Hungersnöte?

Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen senkt die Bodendegradation die Ernteerträge in Afrika schon heute um durchschnittlich acht Prozent, und das in einer Zeit, in der rund 850 Millionen Menschen hungern. Bodendegradation findet am stärksten in den Regionen statt, in denen das höchste Bevölkerungswachstum zu verzeichnen ist. Aber auch die 19 EU-Staaten verloren zwischen 1990 und 2006 durch Versiegelung insgesamt eine Ackerfläche, auf der 6,1 Millionen Tonnen Weizen hätte produziert werden können. Wenn wir nicht radikal umdenken und vor allem schnell handeln, werden wir den Kampf gegen Hunger und Armut nicht gewinnen können.

Was macht die Böden noch wertvoll?

Abgesehen davon, dass wir unsere Lebensgrundlage für Nahrungsmittel verlieren, wird mit dem Boden auch ein grundlegender Baustein für unser Leben vernichtet: Ohne gesunde Böden wird es kein sauberes Trinkwasser geben, es werden weniger Schadstoffe aus der Luft gefiltert und vor allem werden Böden als der größte terrestrische Kohlenstoffspeicher ausfallen. Was viele nicht wissen: Im Boden wird mehr Kohlenstoff gespeichert als in allen Wäldern der Erde. Mit den Böden verlieren wir eine Schlüsselressource. Wenn wir den Verlust der Böden nicht bremsen, können wir unsere Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen.

Sie haben sich auch Afrika angeschaut.

Genauere Untersuchungen zum Beispiel in Somalia haben gezeigt, dass durch Erosion von einem Hektar Fläche bereits der Verlust von 100 Tonnen Boden zu beklagen ist. Das entspricht fünf vollbesetzen Stadtbussen und zwar pro Hektar und Jahr. In Ruanda gehen jährlich 1,4 Millionen Tonnen Boden verloren – in der Landwirtschaft entspricht das der Nahrung für 40 000 Menschen nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms. Aber auch in Deutschland geht weiterhin viel Boden verloren, durch den Bau von Häusern, Gewerbegebieten und Straßen. Es gibt zwar ein politisches Ziel, den Verlust auf 30 Hektar pro Tag zu verringern, aber wir sind weit davon entfernt, es zu erreichen.

Gibt es in Deutschland nicht einen positiven Trend?

Hier ist die Versiegelung der Fläche zwar von 120 Hektar in den 1990-er Jahren auf 77 Hektar täglich gesunken. Aber: Dies ist immer noch doppelt so viel als die Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung vorschreiben. Und zusätzlich bereitet uns die Erosion auf fruchtbaren Ackerböden große Sorgen. Auch durch den Klimawandel erleben wir neuerdings hierzulande Tendenzen der Versteppung im Nordosten und sogar Sandstürme. Ein viel zu wenig bekanntes Problem entsteht auch durch den Import von vielen Millionen Tonnen von Tierfutter aus anderen Regionen der Welt. Dies bedeutet ja, dass Nährstoffe aus dem Boden um die halbe Welt transportiert werden, auf den Äckern in den Herkunftsländern fehlen und bei uns in Europa als gewaltige Mengen Tiermist wieder anfallen und oftmals zu Überdüngung und Grundwasserbelastungen führen.

Wie kommt es zu dem Bodenschwund?

Wir gehen mit den Böden nicht nachhaltig um. Kurzfristige und nicht nachhaltige Bewirtschaftung von Böden führt zur Ausbeutung der Fruchtbarkeit und zu Verschmutzung mit teilweise langlebigen Stoffen. Auch zunehmende Wetterextreme durch Klimawandel sind die Ursache. Die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Bodenfruchtbarkeit sind uns in nur in Umrissen bekannt. Und trotzdem verbrauchen wir Boden so, als ob wir jederzeit im Supermarkt neuen kaufen könnten.

Wird die Dramatik der Lage in der Öffentlichkeit unterschätzt?

Böden haben in der Tat das Schicksal, ein oft übersehenes oder gar vernachlässigtes ökologisches Thema zu sein. Und gerade für reiche Staaten – auch für Europa – ist es leicht, den Bodenverlust dadurch zu kompensieren, dass landwirtschaftliche Produkte, Nahrung – in großem Maßstab Soja – als Tierfutter importiert werden. Damit soll dann der Verlust an Böden ausgeglichen werden, die wir etwa durch Versiegelung verschwinden lassen. Weltweit hat sich in den letzten Jahrzehnten die Verfügbarkeit von Boden pro Kopf der Weltbevölkerung halbiert. Es ist nicht auszuschließen, dass Knappheit an Boden global betrachtet zu ernsthaften Konflikten führen kann. Wie immer werden die ärmsten Menschen in Entwicklungsländern die ersten sein, die die negativen Auswirkungen spüren.

Am IASS fordert man eine Richtlinie.

Wir brauchen für den Bodenschutz eine Richtgröße, vergleichbar mit dem 2-Grad-Ziel im Klimaschutz, um zum einen auf die Dramatik der Entwicklung aufmerksam zu machen und zum anderen, um das Handeln oder auch das Nicht-Handeln auf diesem Feld kontrollieren zu können. Ein verantwortliches Ziel kann nur sein, weltweit die Zerstörung von Böden zu stoppen, und dort, wo es zu unabwendbarer Versiegelung wegen des Bevölkerungswachstums kommt, muss an anderer Stelle massiv in die Wiederherstellung von Bodenfruchtbarkeit investiert werden. Aber das wird erst dann in ausreichendem Umfang geschehen, wenn Bodenvernichtung durch eine internationale Übereinkunft gestoppt wird.

Was macht der Vorstoß für eine „Bodenschutzrichtlinie“ in Europa?

Seit Jahren liegt ein Vorschlag der Europäischen Kommission vor, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zum Bodenschutz zu einigen. Leider hat das unter anderem Deutschland blockiert. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier wieder einmal kurzfristige wirtschaftliche Interessen über ökologische Vernunft siegen. Langfristig wird uns diese Blockade sehr teuer zu stehen kommen. Und es soll mit dieser Blockade auch der Eindruck erweckt werden, dass Bodenschutz nur in den Entwicklungsländern notwendig sei. Doch auch bei uns in Europa muss die Landwirtschaft nachhaltiger werden. Das ist unter Bodenwissenschaftlern gar keine Frage.

Und auf internationaler Ebene?

Der Schutz der Böden muss in der internationalen Politik endlich angegangen werden. Wir brauchen eine globale Vereinbarung zum Stopp der Bodendegradierung. In diesem Licht muss auch die europäische Gesetzgebung zum Bodenschutz neu bewertet werden. Vor allem aber müssen wir erkennen, dass der Schutz der Böden eine transdisziplinäre Aufgabe ist. Das IASS hat deshalb in dieser Woche Bodenwissenschaftler, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen zusammen mit internationalen Experten aus den verschiedenen Sektoren zur Global Soil Week eingeladen. Mehr als 400 internationale Teilnehmer aus 68 Ländern werden ihre unterschiedlichen Perspektiven auf nachhaltige Nutzung und Schutz der Böden diskutieren und gemeinsam an Lösungen arbeiten: Wir müssen das Schubladendenken beenden und endlich eine integrierte Sichtweise entwickeln.

Werden die Nahrungsmittel von morgen auf künstlichen Nährböden wachsen?

Das tun sie zu einem kleinen Teil schon heute – und der Anteil wird sicherlich wachsen. Aber in überschaubarer Zeit wird fruchtbarer Boden nicht nur für die Produktion von Lebensmitteln für neun Milliarden Menschen im Jahre 2050, sondern auch als unsere Lebensgrundlage nicht zu ersetzen sein.

Das Interview führte Jan Kixmüller

Die „Global Soil Week“ findet in dieser Woche in Berlin statt, veranstaltet wird sie vom Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS).

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