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Homepage: „Wir haben auch leere Aktendeckel gefunden“

„Die Stasi-Überprüfungen waren nur das kleinere Problem“ Uni-Historiker Manfred Görtemaker über das Enquete-Gutachten zu den Hochschulen, die Lage 1995 und gescheiterte Personalpolitik

Herr Görtemaker, das Enquete-Gutachten zur DDR-Aufarbeitung an den Hochschulen von Jens Hüttmann kommt zu einem positiven Ergebnis.

Dass das Gutachten sehr positiv ausfällt, ist im Prinzip nicht falsch. Das habe ich vor der Enquete-Kommission auch so dargestellt. Das jetzige Gutachten besitzt aber den Tenor, dass die Weichen damals allesamt richtig gestellt wurden. Dies war leider nicht so. Ich habe 1993 bei meiner Kandidatur zum Prorektor das ungelöste Personalproblem in den Mittelpunkt meiner Erklärungen gerückt und 1995 eine Dokumentation vorgelegt, um mit Fakten und Zahlen zu belegen, wie die Entwicklung verlaufen ist. Da gab es zum einen die nicht wirklich erfolgten Stasi-Überprüfungen. Es war undurchsichtig, woran das lag. An der Uni sagte man, die Anträge seien gestellt, im Ministerium waren die aber nicht angekommen, in der Gauck-Behörde schon gar nicht. Wir haben dann die Sache auf Null gestellt. Ich habe mir ein Mandat geben lassen, um die vorgeschriebenen Überprüfungen auch vorzunehmen. Das war aber nur das kleinere Problem.

Inwiefern?

Es gab noch ein riesiges Problem im akademischen Mittelbau, der nahezu komplett aus der Pädagogischen Hochschule übernommen worden war. Hier ging es vor allem um die Qualifikation. Die Betroffenen hielten sich alle für qualifiziert. Doch eine Pädagogische Hochschule funktioniert anders als eine Universität; die Forschung steht nicht so sehr im Mittelpunkt. Zudem saßen die Übernommenen nahezu alle auf Dauerstellen, da der Paragraph 106a des Brandenburgischen Hochschulgesetzes von 1992 es ihnen erlaubte, in den alten DDR-Verträgen zu verbleiben. Ich habe damals gesagt, dass es unter diesen Bedingungen keinen nennenswerten Personalaustausch im akademischen Mittelbau geben kann. Und das bedeutete, dass wir auf Jahrzehnte hinaus dem wissenschaftlichen Nachwuchs keine Chance geben konnten, weil die Stellen blockiert waren.

Ihre Lösung?

Ich habe damals vorgeschlagen, allen Mitarbeitern einen neuen Vertrag zu geben – mit einer Befristung auf drei plus zwei Jahre. Nach spätestens fünf Jahren hätte dann eine Entscheidung über eine ordentliche Berufung fallen müssen. So wie es im normalen Universitätsbetrieb üblich ist. Das ist aber komplett gescheitert. Deswegen ist das Personalproblem an der Universität Potsdam zumindest im akademischen Mittelbau nicht gelöst worden. Bei den Professoren gab es aufgrund der Altersstruktur weniger Probleme, da viele Kollegen relativ bald in den Ruhestand gingen.

Was war mit der politischen Belastung der übernommenen Mitarbeiter?

Das wurde, was die Tätigkeit für die Staatssicherheit der DDR anbelangte, mehr oder weniger geklärt. Aber diese Art der Belastungen waren eben nur ein Teil des Personalproblems. Das kommt im Gutachten von Herrn Hüttmann ein wenig zu kurz. Ein Mittelbau, der weitgehend auf Dauerstellen sitzt, ist jedoch gravierend für die Entwicklungsfähigkeit und Qualität einer Hochschule. So konnte die Nachwuchsförderung nicht funktionieren.

Wie wurde damals darauf reagiert?

Wir haben außerhalb der Uni-Struktur eine große Zahl außeruniversitärer Einrichtungen geschaffen, die mit der Hochschule über ihre jeweiligen Direktoren personell verbunden waren. In diesen Einrichtungen konnten dann mit Projektmitteln viele wissenschaftliche Mitarbeiter befristet eingestellt werden, die auch für Lehre und Forschung an der Universität zur Verfügung standen. Damit wurde das Problem der mangelnden Flexibilität im Mittelbau zumindest entschärft. Wenn wir heute damit gut leben können, dann nicht wegen der Weisheit der Landesregierung, sondern weil alternative Wege beschritten wurden, die sich als richtig erwiesen.

Wie viele Mitarbeiter waren übernommen worden?

In der Brandenburgischen Landeshochschule waren zum Zeitpunkt ihrer Gründung im Oktober 1990 647 wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt. Bei der Gründung der Universität Potsdam am 15. Juli 1991 wurden davon 548 Mitarbeiter übernommen. Im wesentlichen handelte es sich um Mitarbeiter aus der ehemaligen Pädagogischen Hochschule „Karl Liebknecht“, wo nahezu der gesamte Mittelbau übernommen wurde. Ganz wenige kamen auch von der Akademie für Staat und Recht in Babelsberg, der ehemaligen Diplomatenschule der DDR. Eine wirkliche personelle Erneuerung im Mittelbau war deshalb zunächst nur schwer möglich. Und das wirkt bis heute fort.

Mit welchen Folgen?

Ein zentraler Kritikpunkt an dem Hüttmann-Gutachten ist ja, dass es zwar viele Lehrveranstaltungen zum Thema DDR gibt. Doch es wurde nicht nach den Inhalten gefragt. Wenn Veranstaltungen zur DDR von den ehemaligen PH-Dozenten angeboten werden, könnten sie durch alte Mentalitäten geprägt sein. Politische Mentalität und Inhalte lassen sich doch kaum voneinander trennen. Ob dies tatsächlich auch heute noch so ist, lässt sich allerdings schwer sagen. Hier bedürfte es einer genaueren Untersuchung.

Sie waren in diesem Sommer in der Mangelsdorf-Kommission, die nach Stasi-Vorwürfen der Uni-Sprecherin das Vertrauen ausgesprochen hat.

Dazu kann ich nichts sagen. Ich war zwar formal Mitglied der Kommission, habe aber an der Sitzung nicht teilgenommen, weil ich zu dieser Zeit im Ausland war.

Es gibt bis heute Kritik an Ihrem damaligen Bericht, die Rede ist von Personalwäsche.

Ich habe den Bericht 1995 geschrieben, um für die Nachwelt zu dokumentieren, wie wir damals mit dem Personalproblem umgegangen sind – auch hinsichtlich zahlreicher Punkte, die wir nicht lösen konnten und mit denen ich nicht einverstanden war. Aber man darf auch nicht schwarz-weiß malen. Man darf nicht nur auf Einzelfälle schauen. Sonst besteht die Gefahr, dass man das Ganze nicht mehr sieht. Die Kritiker tun genau dies: Sie verweisen auf Einzelfälle, die es sicherlich gibt – eine Handvoll Leute, die mit der Stasi zusammengearbeitet haben, denen man dies aber nicht nachweisen konnte. Doch diese Leute waren nie das Problem. Entscheidend war der große Altbestand im Mittelbau auf Dauerstellen, der die wissenschaftliche Innovationsfähigkeit beeinträchtigte.

Aber die übernommenen Mitarbeiter hatten doch auch Qualifikationen.

Natürlich gab es viele Mitarbeiter, die sehr qualifiziert waren – aber längst nicht alle, weil eine Universität, wie ich schon sagte, doch etwas anderes ist als eine Pädagogische Hochschule. Um die tatsächliche Qualifikation festzustellen, wurden mehrere fachliche Evaluierungen durchgeführt. Die erste Evaluierung dieser Art war ein totaler Fehlschlag. Da wurde lediglich die formale Qualifikation abgefragt. Das Ergebnis war vorhersehbar: Alle waren für die Position, die sie einnahmen, formal qualifiziert. Dies sagte jedoch nichts über die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit aus. Wir haben dann eine zweite fachliche Evaluierung durchgesetzt, die sehr viel gründlicher war. Danach wurden, wenn ich mich richtig erinnere, 78 Mitarbeiter zur Kündigung vorgeschlagen, weil sie nicht qualifiziert schienen. Das wurde uns vom Ministerium verweigert – die wollten niemanden kündigen. Ich habe damals gesagt, dass die Universität Potsdam zur Landesversorgungsanstalt Brandenburgs verkomme, wenn es nur darum gehe, die Mitarbeiter in Lohn und Brot zu halten, anstatt nach der Qualifikation zu fragen. Vielleicht gab es eine seltsame Koalition zwischen Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt – die wollten einfach niemandem kündigen. Die Gesamtlage war ja schwierig genug. Wir mussten danach aber viele Mitarbeiter mitschleppen, die an einer Universität eigentlich nichts zu suchen hatten und entlassen gehört hätten.

Was war mit der Administration?

Auch in der Verwaltung wurde ein Großteil des Personals der Vorgängereinrichtungen übernommen. Da ging es allerdings weniger um Kompetenz als um Mentalität. Die früheren Einrichtungen hatten auf eine Weise funktioniert, die mit demokratischen Institutionen nichts zu tun hatte. Das hat sich nach 20 Jahren aber verlaufen.

Warum waren die Unterlagen zur Stasi-Überprüfung seinerzeit nicht bei der Gauck-Behörde angekommen?

Offensichtlich hatte seitens der Gauck-Behörde keine Untersuchung stattgefunden. Entweder waren die Unterlagen dort nie angekommen, oder die Anträge waren nie gestellt worden. Alle schoben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu: Das Ministerium, die Universität, die Behörde. Ich habe dann mit Unterstützung des Rektorats durchgesetzt, die Überprüfung zu wiederholen. Alle Anträge – West wie Ost – wurden neu gestellt.

Sie haben die Akten dann selbst in die Hand genommen.

Innerhalb von sechs Wochen hatten wir sechs Aktenordner zusammengestellt. Ich bin dann mit meinen beiden Prorektor-Kollegen Wolfgang Loschelder und Gerhard Kempter ins Ministerium gefahren. Dort gab es eine ziemliche Überraschung. Ich dachte, wir übergeben die Unterlagen einfach. Doch dort standen wir einer ganzen Riege von Mitarbeitern gegenüber – eine konfrontative Situation. Man bedankte sich bei uns und wollte die Unterlagen in Empfang nehmen. Ich habe dann aber Nein gesagt. Schließlich waren die Akten schon einmal verschwunden. Ich habe vorgeschlagen, dass ich mit einem Vertreter des Ministeriums die Anträge persönlich zur Gauck-Behörde bringe. Andernfalls würde ich mich in der Sache an die Presse wenden.

Und?

Wir sind noch am selben Tag mit einem Wagen des Ministeriums nach Berlin gefahren und haben die Akten direkt bei der Gauck-Behörde abgegeben. Innerhalb der nächsten Wochen gab es dann zahlreiche freiwillige Abgänge von der Uni. Viele hatten plötzlich einen neuen Job gefunden und verschwanden.

Also war tatsächlich in der Gründungszeit eine größere Zahl von politisch belasteten Personen an die Uni gekommen?

Davon gehe ich aus. Das war eine zweischneidige Sache. Gründungsrektor Mitzner hat viele Personalgespräche geführt und wohl auch sehr viele Professoren und Mitarbeiter überredet, zu gehen. Aber viele sind einfach in die Uni hinübergerutscht. Das ist bei einem derart komplizierten Transformationsprozess auch normal. Doch irgendwann muss man das Problem angehen. Das haben wir versucht, auch wenn wir es nicht perfekt lösen konnten. Wir haben die Anträge ohne Ausnahme gestellt und eine Personalkommission zur Einzelfallprüfung gebildet. Wir haben aber auch leere Aktendeckel gefunden. Dann konnte man nichts machen, auch wenn man ahnte, dass sich dahinter etwas verbarg. Das muss eine Gesellschaft aushalten.

Kritiker behaupten, der folgende Rektor Wolfgang Loschelder habe das vertuschen wollen, seiner eigenen Mehrheit willen.

Für Herrn Loschelder lege ich meine Hand ins Feuer. Er hat die Personalgespräche geführt und im Einzelfall auch das Ausscheiden von Mitarbeitern bewirkt. Er ist ein klassischer Jurist, der seine Arbeit ordentlich gemacht hat. Er hat auch nicht mit den alten Eliten gekungelt. Das hatte er gar nicht nötig, denn er hatte immer seine Mehrheiten. Wenn es anders gewesen wäre, müssten seine Kritiker dies erst beweisen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Manfred Görtemaker ist seit 1992 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Er berichtete unlängst der Enquete-Kommission von der personellen Erneuerung der Uni.

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