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Völkische Gesinnung. Experten sehen im völkischen Gedankengut auch heute noch einen hoch virulenten Nährboden.

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Der Rechtsextremismus habe nichts von seiner Brisanz verloren, so Experten auf einer MMZ-Konferenz

Vor einem Unterschätzen der rechten Szene haben Rechtsextremismus-Experten gewarnt. Auf einer Tagung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten zusammen mit dem Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) am Wochenende in Oranienburg und Berlin sagte Ray Kokoschko vom Mobilen Beratungsteam Frankfurt (Oder), dass sich Rechtsextremisten immer geschickter an den Verfolgungsdruck der Behörden anpassen würden. Auch würden die Rechten in Konspiration ausweichen und seien nicht mehr eindeutig auf bestimmte Gruppen festzulegen. Eine Vermischung mit anderen Jugendkulturen und der Rockerszene sei zu beobachten. Diese Entwicklungen werden in der Öffentlichkeit derzeit kaum wahrgenommen.

Der Kriminalist Bernd Wagner warnte vor einem unsichtbaren Ideologieumbau. So werde beispielsweise auch Globalisierungskritik zunehmend in die Ideologie miteinbezogen. Auch sei zu beobachten, dass völkische Stimmungslagen in der Bevölkerung instrumentalisiert werden. Wagner fürchtet, dass der völkische Gedanke, der auch in der DDR eine Rolle gespielt habe, sich neu formiere. „Das ist ein hochvirulenter Nährboden“, so Wagner. Völkisches Gedankengut zeige sich mitunter mitten in der Gesellschaft, wenn etwa in einem gutbürgerlichen Stadtteil ein Asylbewerberheim abgelehnt werde.

Auch der FU-Politologe Professor Hajo Funke befürchtet, dass die Zahlen rechter Gewalttaten in Brandenburg wieder steigen könnten. Wichtig sei, dass es eine wachsame Polizei und Justiz wie auch eine wachsame Zivilgesellschaft gebe, die auf rassistische und antisemitische Gesinnung sensibel reagiere. Der Staat müsse mit repressiver Prävention antworten. Wichtig sei andererseits, dass die Jugend ausreichend Ausbildungsplätze erhalte. Man dürfe die ländlichen Regionen nicht der NPD überlassen. „Sonst bringt der soziale Leerraum dort die Jugend dazu, zu denen zu gehen, die ihre Frustration rassistisch und antisemitisch aufladen“, sagte Funke.

Trotz dieser Warnungen wurde auf der Tagung das Engagement Brandenburgs gegen den Rechtsextremismus als bislang erfolgreich bezeichnet. Auch sei angesichts der wiederholten Anschläge von rechts in diesen Tagen Panikmache nicht angebracht, so der Rechtsextremismus-Experte Christoph Kopke vom MMZ. Ein Wiedererstarken des Rechtsextremismus sei für ihn momentan nicht erkennbar. Hintergrund für den derzeitigen Aktionismus der rechten Szene sei der 20. Jahrestag des Brandanschlags auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen. „Es gibt immer wieder Wellen einer Konjunktur“, so Kopke.

Auch sei die rechte Szene 2012 weiter geschwächt worden, sagte Kopke. Grund seien mehrere Vereinsverbote in Brandenburg und weiteren Bundesländern. Auch die NPD sei in Brandenburg derzeit nicht in der Lage, starke Strukturen zu schaffen. Gleichwohl bleibe der Kampf gegen den Rechtsextremismus eine Daueraufgabe. Zurzeit würden Neonazis versuchen, mit zahlreichen Aufmärschen die Gegenbewegung zu ermüden. Dem müsse man etwas entgegnen.

Der Direktor des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ), Julius H. Schoeps, hatte zur Eröffnung der Tagung betont, dass die Angriffe junger Rechtsradikaler in Deutschland auf die Erinnerung an die Verbrechen der geistigen Vorläufer der NS-Zeit abzielen würden. Eine solche Kontinuitätslinie zeige sich sowohl bei den aktuellen Anschlägen wie auch bei den rassistischen Pogromen von 1992. Die Parole „Rostock ist überall“ beziehe sich offen auf die ausländerfeindlichen Pogrome in Rostock-Lichtenhagen. Schoeps erinnerte daran, dass der damalige Anschlag auf die Gedenkstätte Sachsenhausen nach dem Besuch des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Yitzchak Rabin stattfand: „Er richtete sich somit gegen den Prozess deutsch-israelischer Aussöhnung und gegen die Solidarität mit Israel“, sagte Schoeps mit Verweis auf die Rolle des später von israelischen Rechtsextremen ermordeten Rabin für den Friedensprozess im Nahen Osten. „Dass wir heute in Deutschland eine zunehmende Feindschaft gegen Israel und eine zunehmende undifferenzierte Ablehnung jeder israelischen Politik feststellen müssen, schmerzt gerade auch angesichts der Erinnerung an diesen großen isrealischen Politiker.“ Das Attentat in der Gedenkstätte Sachsenhausen 1992 galt der sogenannten „Jüdischen Baracke“. „Damit zielte der Anschlag auch darauf, die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden zu stören oder zu tilgen, die Verbrechen zu leugnen“, so Schoeps. Dem gelte es heute, Erinnerungsarbeit und politische Bildung entgegenzusetzen, was auch am Potsdamer MMZ geschehe.

Inwieweit der Rechtsextremismus Aufgabe und Gegenstand schulischer Bildung ist, betrachtet auf der Tagung der Professor für Erziehungs- und Sozialisationstheorie Wilfried Schubarth von der Universität Potsdam. Er verwies darauf, dass aus der Landesverfassung hervorgehe, dass Erziehung und Bildung den Auftrag haben, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu begegnen. Die Schule müsse Einsichten in die Gesellschaft und eine politisch-historische Bildung vermitteln und Wissen über andere Kulturen und Religionen fördern. Auch interkulturelles und interreligiöses Lernen müsse Schulstoff sein. Neben der entsprechenden Schulbildung müsse es auch klare und einheitliche Regelungen für Vorfälle mit Rechtsextremismus an den Schulen geben.

Die bundesweite Bilanz bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus falle – trotz mancher Fortschritte – weiter unbefriedigend aus. Noch immer gebe es eine hohe Zahl rechtsextrem motivierter Gewalttaten. 90 Prozent der Gewalttäter verfügten über einen niedrigen Bildungsstand, Dreiviertel von ihnen seien unter 25 Jahren. Schülerbefragungen würden auf ein beachtliches rechtsextremes Einstellungspotenzial verweisen. So sei eine starke ausländerfeindliche Einstellung bei 14 Prozent der Schüler, eine mäßige Ausländerfeindlichkeit bei 26 Prozent zu finden. Vier Prozent hätten eine starke antisemitische Einstellung, acht Prozent zeigten mäßigen Antisemitismus. Jeder zehnte Schüler höre rechtsextreme Musik, vier Prozent sympathisieren mit rechtsextremen Gruppen. Außerdem konstatieren die Wissenschaftler ein geringes zeitgeschichtliches Wissen. Immerhin sind rechte Einstellungen unter Jugendlichen im Land Brandenburg nach einer aktuellen Studie der Uni Potsdam rückläufig, allerdings bei einer hohen Quote von Fremdenfeindlichkeit.

Zwar hätten Schulen ein großes Potenzial für Einflussmöglichkeiten und Lerngelegenheiten, doch offenbar werde es noch zu wenig genutzt. Rechtsextremismus sei oft ein Tabu-Thema, zu dem es auch zu wenige Lehrerfortbildungen gebe. Auch bei der empirischen Bildungsforschung sei das Thema ein weitgehend „weißer Fleck“. Allerdings verwies Schubarth auch auf die Grenzen der schulischen Einflussnahme: Pädagogik könne nur ein Teil der gesamtgesellschaftlichen Strategien sein.

Für die Schulen konstatierte der Erziehungswissenschaftler, dass mehr politisch-historisches Wissen vermittelt werden müsste. Wissen allein reiche allerdings nicht aus, um Schule zu einem demokratischen Lern- und Erfahrungsraum zu gestalten. Soziale, moralische und demokratische Kompetenzen sollten stärker anerkannt und gefördert werden. Hier seien auch ein entsprechendes Leitbild und Schulprogramm gefragt. Auch seien die Schulen nur Teil einer kommunalen Bildungslandschaft, auch auf Elternarbeit komme es an. Projekte wie „Schule ohne Rassismus“ und Gedenkstättenbesuche seien zu fördern. Wichtig sei zudem, dass Rechtsextremismus und interkulturelles Lernen als Themen der Lehrerbildung begriffen werden. Zwar gebe es im Land Brandenburg viele gute Ansätze und ein Beratungs- und Unterstützungssystem gegen Rechtsextremismus, über deren tatsächliche Qualität und Wirksamkeit sei jedoch kaum etwas bekannt.

Konsens bestand auf dem Experten-Treffen darüber, dass Repression (Justiz und Polizei) und Prävention (Bildung, Freizeiteinrichtungen, Jobs) wichtigste Ansatzpunkte gegen rechts sind. Die ehemalige Polizeipräsidentin des Polizeipräsidiums Eberswalde, Uta Leichsenring, schätzte, dass die Polizei heute wachsamer sei als in den 90er Jahren noch. „Manchmal befürchte ich aber doch, dass man sich zu sehr auf den zurückgehenden Zahlen von rechter Gewalt ausruht“, sagte sie. Zumal die Zahlen seit 2012 wieder ansteigen: Nach Angaben des Brandenburger Innenministeriums ist die Zahl der rechten Straftaten 2012 erstmals seit Jahren wieder gestiegen. Von Januar bis September wurden gut 100 mehr registriert als im gleichen Zeitraum 2011.

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