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Schwierige Beziehungen. Am 24. August 1939 unterzeichneten der Außenminister des Deutschen Reiches Joachim von Ribbentrop (l.) und der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow (vorn) in Moskau den deutsch-russischen Nichtangriffspakt (r. hinten neben Ribbentrop steht Josef Stalin). Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Vor 80 Jahren unterzeichnet: Hitler-Stalin-Pakt hat Auswirkungen bis heute

Vor 80 Jahren wurde der Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnet. Das kurzlebige Abkommen wirkt bis heute nach. Bis heute beeinflusst es, wie Deutschland und Russland in Osteuropa gesehen werden.

Die Landschaft ist leicht wellig. Dörfer sind selten, stattdessen stehen einzelne Gehöfte verteilt. Abseits der Hauptstraße sind die Wege unbefestigt. Im historischen Galizien merkt man heute nicht auf Anhieb, ob man gerade in Polen oder der Ukraine unterwegs ist. Erst wenn ein Schild den Weg weist, erkennt man es daran, ob die Buchstaben lateinisch oder kyrillisch sind. Mitten in der Landschaft steht der Grenzübergang Korczowa-Krakowez. Auf der polnischen Seite beginnt eine Autobahn, die bis nach Calais am Ärmelkanal führt. Auf der ukrainischen Seite hat man sich zur Fußball-Europameisterschaft 2012 immerhin frischen Asphalt auf der Landstraße bis in die 90 Kilometer entfernt Universitätsstadt Lwiw geleistet – der historischen Hauptstadt Galiziens, die auf Deutsch Lemberg heißt und auf Polnisch und Russisch Lwow.

Hier verläuft die EU-Außengrenze. Dass das so ist, hängt auch mit einem Dokument zusammen, dass vor 80 Jahren in Moskau von Nazi-Außenminister Joachim von Ribbentrop und seinem sowjetischen Amtskollegen Wjatscheslaw Molotow unterschrieben wurde: Dem geheimen Zusatzprotokoll zum Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Der Pakt der Diktatoren, der Hitler freie Hand für seinen Krieg gegen Polen gab, teilte den Osten Europas zwischen dem faschistischen und dem kommunistischen Imperium auf.

Auch wenn der Pakt selbst nicht lange hielt, wirkt er bis heute nach. Mit ein paar Ausnahmen bildet die Linie aus dem Zusatzprotokoll auch heute die polnische Ostgrenze. „In der Erinnerungskultur in Polen und den baltischen Ländern spielt der Pakt bis heute eine große Rolle“, sagt Jan Behrends vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). Der Historiker lehrt auch an der Humboldt Universität und forscht zur osteuropäischen Geschichte. „In Polen wird am 1. September an den Überfall durch die Wehrmacht und am 17. an den Einmarsch der Roten Armee gedacht.“ Die Besetzung Polens durch Deutsche und Sowjets stehe zudem im historischen Kontext der polnischen Teilungen im ausgehenden 18. Jahrhundert als Russland, Preußen und Österreich das Königreich unter sich aufteilen. „Das war für die Leute ein Déjà-vu“, so Behrends.

Für Polen ist die Nato wichtiger als die EU

Die Erfahrung von den größeren Nachbarn der eigenen Staatlichkeit beraubt zu werden, sorgt heute für eine besondere Sensibilität. Alles, was die Souveränität stärkt, wird ernst genommen. „Polen kann heute genauso wie Deutschland seine Sicherheit nicht selbst garantieren“, sagt Behrends. „Deshalb ist ihm die Nato wichtiger als die EU.“ Der Flirt mit US-Präsident Donald Trump um eine US-Militärbasis passt in dieses Bild.

Im Baltikum sieht die Sache etwas anders aus. Dort setze man mehr auf europäische Integration, meint Behrends. „Die Idee dort ist, je mehr wir in Europa eingebunden sind, umso weniger kann es uns im Stich lassen.“ In der Selbstwahrnehmung identifiziere man sich in Estland, Lettland und Litauen mehr und mehr mit Nordeuropa statt mit Osteuropa.

Wie verankert das Datum des 24. August in den baltischen Ländern ist, zeigte sich schon einmal im Jahr 1989. Von Tallin über Riga bis nach Vilnius bildete sich über mehr als 600 Kilometer eine Menschenkette. Rund eine Millionen Esten, Letten und Litauer reihten sich ein, um für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion zu demonstrieren. Moskau ließ sie gewähren. Es war einer der Schlüsselmomente des Zerfalls des kommunistischen Imperiums. Das Okkupationsmuseum in Riga ist dem Ereignis ein eigener Raum gewidmet. Ein paar Meter weiter wird auch ein Faksimile des Hitler-Stalin-Pakts gezeigt.

Ein Faksimile des Hitler-Stalin-Pakts im Okkupationsmuseum in Riga. 
Ein Faksimile des Hitler-Stalin-Pakts im Okkupationsmuseum in Riga. 

© Marco Zschieck

Das Baltikum wurde nicht wie der Osten Polens unmittelbar von der Sowjetunion besetzt. Moskau ließ sich ein paar Monate Zeit. Nach militärischem Druck stimmten die Regierungen der Stationierung von Truppen der Roten Armee zu. Anschließend wurden in Scheinwahlen Parlamente nach den Vorstellungen Moskaus bestimmt, die um Aufnahme in die Sowjetunion baten. Was passiert, wenn man nicht mitspielt, konnte man seinerzeit in Finnland beobachten. Das war auch dem sowjetischen Einflussbereich zugeschlagen worden, weigerte sich aber Militärbasen zu erlauben. Dann gab es Krieg.

In diesem Kontext habe auch der Krieg in der Ukraine und die Annexion der Krim Ängste in Polen und dem Baltikum mit seinen russischsprachigen Minderheiten ausgelöst, so Behrends. „Die Parallelen liegen ja auf der Hand.“ Zum einen das Argument zum Schutz der vermeintlich bedrohten russischen Brüder einzuschreiten, eine Desinformationskampagne und Scheinwahlen beziehungsweise Referenden, nach denen das zuvor militärisch gesicherte Territorium um die Aufnahme ins Moskauer Imperium ersuche.

Traumatisch war die Besetzung auf beiden Seiten der neuen Trennlinie. Ausplünderung und massenhafter Terror herrschten. Nachlesen kann man die grausamen Details in Timothy Snyders Buch „Bloodlands“.

Die Ereignisse von 1939 bestimmen in Polen und im Baltikum bis heute die Wahrnehmung von Russland, so Behrends. „In Deutschland wird das heute oft nicht verstanden.“ Wenn deutsche Politiker öffentlich Russland als Nachbarn bezeichnen, zucke man in den Ländern dazwischen zusammen. Auch die Opferrolle im Zweiten Weltkrieg werde zu einseitig auf Russland als Nachfolger der Sowjetunion verlegt.

Schädliche Sonderbeziehung zwischen Berlin und Moskau

Natürlich sei es einfacher sich nur mit einem großen Imperium als Nachbarn auseinanderzusetzen. „In diesem Zusammenhang musste in den 1970er-Jahren auch die Ostpolitik ansetzen“, so Behrend. Die Macht lag ja faktisch in Moskau. Heute gebe es eine Vielzahl von kleineren Staaten mit eigenen Interessen. „Das ist natürlich komplizierter.“ Eine Sonderbeziehung zwischen Berlin und Moskau beiße sich aber mit den Verpflichtungen, die Deutschland eingegangen sei. „Eigentlich ist die Sache ja klar: Polen und die baltischen Staaten sind Bündnispartner.“

In Galizien ist die Grenzlinie inzwischen durchlässiger geworden. Seit fast zwei Jahren können Ukrainer visafrei für 90 Tage in die EU einreisen. Hunderttausende arbeiten in Polen, dessen seit 30 Jahren ununterbrochen wachsende Wirtschaft ihnen besser bezahlte Arbeit als zu Hause bietet. Revidieren will man die Grenze weder in Polen noch in der Ukraine. „Polen ist in seinen Grenzen angekommen“, sagt Behrends. Man wolle weder eine Diskussion über die Ost- noch über die Westgrenze. Und der Ukraine bescherte die Grenzziehung von 1939 mehr als 60 Jahre später erstmals einen Staat, der das ukrainische Siedlungsgebiet im Wesentlichen umfasst.

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