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Von Jan Kixmüller: Spiel mit den Möglichkeiten

Klimawandel und Kunst: Zahlreiche Künstler trafen sich auf dem Telegrafenberg mit Klimaforschern

Er werde kein Theaterstück schreiben, das Propaganda für den Klimaschutz betreibt, sagt der renommierte britische Bühnenautor David Greig. Doch irgendwie werden die Bilder vom tauenden Polareis in seine Texte einfließen, auch wenn der junge Autor noch nicht weiß wie. Für die „Tipping Point“-Konferenz war er zum Wochenbeginn mit rund 120 anderen Künstlern und Wissenschaftlern am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zusammengekommen, um Wege zu finden, die Ergebnisse der Klimaforschung in die Sprache der Kultur zu übersetzen. „Wir gehen auf eine gigantische Naturkatastrophe mit dem Ausmaß von Weltkriegen zu, deren Auswirkungen auch ich und meine Kinder noch zu spüren bekommen werden“, sagt der Schriftsteller. Darauf müsse auch die Kunst reagieren, denn mit ihr könne man Menschen auf emotionaler Ebene ansprechen.

Der Potsdamer Klimaforscher Prof. Wolfgang Lucht, am PIK als Leiter des Forschungsbereichs Klimawirkung und Vulnerabilität tätig, geht sogar noch weiter, wenn er sagt, dass nur Kunst und Kultur den Klimawandel zu stoppen vermögen. „Denn der Klimawandel ist von der menschlichen Gesellschaft verursacht, also muss auch die Gesellschaft darauf antworten“, sagt er im Gespräch mit den PNN. Die Forscher könnten nur erklären, was abläuft. Wie dringend das Problem ist, hat Lucht, der an der Uni Potsdam Professor für Biosphärendynamik und Erdsystemforschung ist, den Künstlern anhand neuester Forschungsergebnisse verdeutlicht. Mit rund zehn Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß ist 2007 trotz aller Warnungen und Maßnahmen ein Spitzenwert beim Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids erreicht worden – Tendenz steigend. Eine andere aktuelle Studie belege, dass es eigentlich jetzt schon viel wärmer wäre, würde nicht die Luftverschmutzung den Treibhauseffekt etwas abmildern. „Der Klimawandel wird das gesamte Erscheinungsbild der Erde ändern“, prognostiziert Lucht. PIK-Chef Hans Joachim Schellnhuber spricht sogar von einer „Transformation der Weltzivilisation“.

Die Künstler reagieren schockiert auf die Erkenntnisse der Forscher. „Wir können weiter Bilder malen, das nützt uns aber nichts, wenn wir schließlich in der Klimakatastrophe enden“, sagt der Künstler Hermann Josef Hack. Die Wissenschaft stoße nun an Grenzen, den Menschen das Ausmaß des Klimaproblems zu vermitteln. Hier müsse die Kunst eine Sprache finden, die die Menschen erreicht. „Wir haben es nicht nur mit einer technischen Herausforderung, sondern auch mit einer kulturellen Frage zu tun“, stimmt der Künstler dem Klimaforscher Lucht zu. Doch mit Panik-Szenarien sei es nicht getan. Dass Abschreckung nicht funktioniert, habe sich bereits in der Ökologiebewegung der 70er Jahre gezeigt. „Dann schalten die Leute einfach ab“, so Hack. Er setzt auf das „Spiel mit den Möglichkeiten“. So erklärte Hack die documenta im vergangenen Jahr zum Klimaflüchtlingslager. Auch in anderen Städten wie Bonn und Weimar baute er seine 300 Miniatur-Flüchtlingszelte auf. Er spielt damit auf die ethische Frage nach der Verantwortung der Länder an, die das Klima hauptsächlich schädigen. Heute würden Klimaflüchtlinge aus Entwicklungsländern bei uns als Wirtschaftsflüchtlinge verharmlost.

Auch die bildenden Künstlerin Stefanie Zoche setzt in ihren Arbeiten auf Symbolik. So flutete sie etwa zusammen mit ihrer Partnerin (Haubitz+Zoche) 2006 auf dem Münchner Opernplatz einen 3-er BMW bis zu den Kopfstützen mit Wasser. Klar was gemeint war: das Wasser steht uns bis zum Hals und das PS-starke Benzinerauto als Symbol für Wohlstand und Fortschritt wird seiner Funktion enthoben. Stefanie Zoche sieht in den dramatischen Warnungen der Wissenschaftler auch eine große Chance. „Das Klimaproblem eröffnet uns die Möglichkeit, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen durch dezentrale Energietechniken zu ersetzen.“ Hermann Josef Hack sieht sogar eine Popularisierung des Klimaschutzes „Wir bewegen uns zu einem positiven Lebensstil der zeigt, dass es geil ist Öko zu sein“, schätzt er. Eine solche Entwicklung habe auch viel mit dem Selbstbewusstsein der Künstler zu tun.

Klimaforscher Wolfgang Lucht sieht die Chance der Kunst in der Aufmerksamkeit, die sie erregt. „Unsere Welt funktioniert nach kulturellen Mustern“, erklärt er. Die Sprache der Kultur sei es, die die Menschen bewege. „Kunst kann aufregen, Dinge hinterfragen, schockieren, anregen und auf Entwicklungen aufmerksam machen“. Die Forschung sei nun an einem Punkt angelangt, an dem sie aufgrund der dramatischen Wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Schluss kommt, dass die Gesellschaft sich ändern muss. Und dazu brauche man eben die Sprache von Kunst und Kultur.

Unter dem imposanten Großen Refraktor auf dem Gipfel des Potsdamer Telegrafenbergs fanden sich die Künstler und Wissenschaftler nach zwei Tagen Gruppenarbeit am Montagnachmittag bei Bio-Saft und viel Symbolik wieder zusammen. Hier wo einst die Vermessung der Welt ihren Ausgang nahm, gab man sich nun gegenseitig erste Impulse für einen Mentalitätswandel. „Tipping Point“, so der Titel der Konferenz, ist in der Forschung der Punkt, an dem das Klimasystem kippt. Es kann auch der Punkt sein, an dem Gesellschaften durch den Klimawandel in eine Krise stürzen. Oder eben auch der Punkt, an dem eine Gesellschaft beginnt umzudenken. Wie man sich einem solchen Punkt mit einfachsten Mitteln nähern kann, demonstrierte ein britischer Künstler. Er rief eine Gedenkminute für das Klima aus und ließ die 60 Sekunden dann verstreichen, ohne das Schweigen zu beenden. Über die Anwesenden brach eine Ewigkeit herein, in der jeder mit seinen Fragen allein war. Durchaus ein sehr aufrüttelnder Moment.

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