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Modellregion Potsdam. Während sich die Erde erwärmt, müsste sich auch das Klima in der Gesellschaft ändern, so die Mitglieder des Innovationskollegs. Potsdam  hier die Blüte der japanischen Kirsche  dient ihnen als Labor.

© dpa

Von Heike Kampe: Messbare Veränderungen

Das Innovationskolleg „Stadtklima Potsdam“ an der Fachhochschule Potsdam möchte Verhaltensänderungen in Zeiten des Klimawandels anstoßen

Wie weit muss eine Erdbeere aus Marokko reisen, bevor sie bei uns im Supermarkt liegt? Etwa 2600 Kilometer. Dass so weite Wege in Zeiten der globalen Erderwärmung nicht sehr sinnvoll sind, liegt auf der Hand. Doch meist weiß der Verbraucher gar nicht, woher die Produkte stammen, die er kauft. Eine simple Idee könnte das ändern: Ein Rechner, der anzeigt, welche Wegstrecken Obst oder Gemüse unterwegs waren, um bei uns verkauft zu werden. Eine Idee des Innovationskollegs „Stadtklima Potsdam“ der Fachhochschule Potsdam (FH).

Vier Fachbereiche, vier Professoren, ein Thema: Im vergangenen Jahr hatte sich das Innovationskolleg gegründet. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie in Zeiten des Klimawandels gesellschaftliche Veränderungen angestoßen werden können. Denn eines ist den Forschern klar: Technische Innovationen allein werden nicht ausreichen, die Probleme des Klimawandels zu lösen.

„Stadtklima Potsdam“ versteht sich als Ideenschmiede, als Think Tank der Hochschule. Dabei wird der Begriff „Klima“ von den Forschern ganz im Sinne des interdisziplinären Anspruchs auch im übertragenen Sinne verstanden. Es geht dem Forscherteam nicht nur um die Klimaerwärmung, sondern auch um das soziale und kulturelle Klima unserer Zeit. „Wie können wir in Zeiten des Klimawandels ein gutes Leben führen, was müssen wir verändern?“, dies sei die zentrale Frage, erklärt Frank Heidmann, Professor für Interfacedesign an der FH.

„Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu“ – dieses Zitat des Schriftstellers Ödön von Horváth ist der Ausgangspunkt des vierköpfigen Forscherteams, dem die Professoren der Fachbereiche Sozialarbeit, Design, Informationswissenschaften sowie Architektur und Städtebau angehören. In dem dreijährigen Projekt wollen sie ihre Fachexpertisen bündeln und gemeinsam mit anderen Experten und Studierenden der FH neue Denkansätze und Strategien entwickeln. Potsdam dient den Wissenschaftlern als Modellregion, die gewonnenen Erkenntnisse sollen jedoch auf andere Regionen übertragen werden.

„Wir wissen, dass wir unser Verhalten ändern müssen, aber wir machen es nicht. Dieses Phänomen wollen wir aus der Sicht der Soziologie, Psychologie und der Gestaltung beleuchten“, erklärt Heidmann. Dabei sei den Forschern durchaus bewusst, dass andere Forschungseinrichtungen in Potsdam sich bereits intensiv und schwerpunktmäßig mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzen. Dennoch habe eine Analyse ergeben, dass die FH Kompetenzen bieten könne, die in anderen Einrichtungen noch zu kurz kämen. „Eine Lücke fanden wir ganz klar in der Visualisierung“, so Heidmann. Alle Wissenschaftler würden Unmengen von Daten erfassen. „Aber die wenigsten haben wirklich eine professionelle Kompetenz, diese Daten so aufzubereiten, dass sie verständlich sind und eine hohe Ästhetik haben.“ Hier möchte das Innovationskolleg ansetzen. Zudem sei die hohe Klimakompetenz der Potsdamer Wissenschaftszentren vielen Bewohnern gar nicht bewusst. Ziel sei es daher auch, die Wahrnehmung der Potsdamer Öffentlichkeit zu verändern.

Die Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team erweitert nicht nur den Horizont, es ist auch anstrengend. Die Professorin für Psychologie und Sozialarbeit, Jutta M. Bott, betrachtet das Thema Verhaltensänderung aus einer völlig anderen Perspektive als ihre Kollegen Hans-Christoph Hobohm oder Hermann Voesgen, die Informationswissenschaft und Architektur und Städtebau lehren. Die Wissenschaftler müssen sich einlassen auf andere Sichtweisen, andere Schwerpunkte. Einmal pro Woche treffen sie sich und sprechen über ihre Vorstellungen. Die Lehrverpflichtung der vier Professoren wurde für die Dauer der Forschung im Innovationskolleg um die Hälfte reduziert.

Die ersten Ideen des Innovationskollegs sind bereits umgesetzt. So wurde im Fachbereich Design die iPhone-Applikation „EcoChallenge“ entwickelt. Die kostenlose Anwendung, die zum Herunterladen im Apple iTunes-Store bereitsteht, stellt dem Nutzer jede Woche zwei Aufgaben, die es zu erfüllen gilt. Regionales Essen, sauberes Licht oder Mobilität sind dabei einige der Themen, mit denen sich die Anwender auseinandersetzen sollen. „Koche ein Essen für deine Freunde und verwende dabei ausschließlich heimische Zutaten“, lautet etwa eine Herausforderung. Rezeptideen und Infografiken gibt es gleich dazu, die Transportstrecken der Lebensmittel werden berechnet. Die Herausforderungen können mit Freunden geteilt, die Ergebnisse verglichen werden. Denn in Gruppen sei eine Änderung des Verhaltens für den Einzelnen leichter, die Motivation höher, erklärt Heidmann. Bereits jetzt hätten hunderte Nutzer „EcoChallenge“ heruntergeladen.

„Stadtklima Potsdam“ wirkt nicht nur nach außen, auch intern gerät einiges in Bewegung. „Wir haben uns angeschaut, wie nachhaltig unsere Hochschule ist. Wie kocht unsere Mensa, wie kommen die Studierenden hierher, wie gehen wir mit Elektroschrott um – solche Fragen zu thematisieren, war sehr spannend, aber auch sehr schmerzhaft“, so Heidmann. Nach der erfolgten Bestandsaufnahme sollen nun Konzepte entwickelt werden, wie der Weg zu einer größeren Nachhaltigkeit gelingen kann. „Vielleicht bilden wir intelligentere Fahrgemeinschaften oder pflanzen selbst Gemüse an. Wir stehen noch ganz am Anfang.“ Doch die Veränderungen werden messbar sein, ist sich Frank Heidmann sicher.

Stadtklima Potsdam im Internet: http://innovationskolleg.fh-potsdam.de

Heike Kampe

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