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Spurensuche in Belgrad. Eine Studentin der FH bei der Aufnahme (vorne).

© FHP

Von Heike Kampe: Der Sound der Stadt

Studenten der FH Potsdam haben in Belgrad akustische Phänomene aufgespürt

Seit Mitte der Neunziger Jahre zieht eine Mischung aus traditioneller osteuropäischer Folklore und Dance-Rhythmen die Tanzwütigen auf die Bühne. Balkan Beat, Balkan Pop oder auch Balkan-Dub heißt das neue Genre, das irgendwie nach Dorfhochzeit in Rumänien klingt und seine Anfänge in Berlin und anderen westeuropäischen Metropolen hatte.

„Nach dem Krieg auf dem Balkan haben sich Migranten in westlichem Metropolen wie etwa Berlin getroffen und festgestellt, dass ihre Musik auch für andere interessant ist, wenn sie einen Beat unterlegen. So wurde Balkan Beat als tanzbare Clubmusik kreiert. Diese Musik reißt die Leute nach zwei Sekunden mit“, sagt Arthur Engelbert, Professor für Medientheorie und Kunstwissenschaft an der Fachhochschule Potsdam. Innovativ, extrem vielfältig und durch weltweite Einflüsse geprägt – das kennzeichne den Balkan Beat, dessen Motor die Gypsy-Musik sei, so Engelbert. Diese Musik sei der Anlass für ihn und seine Studierenden gewesen, sich einmal ausführlicher mit der Region zu beschäftigen. „Was ist gerade los auf dem Balkan?“ – dieser Frage wollten Professor Engelbert und sechs seiner Studierenden im September dieses Jahres nachgehen und begaben sich für eine Woche auf Spurensuche nach Belgrad. Finanziert wurde die Reise vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem Allgemeinen Studierenden Ausschuss der Fachhochschule (AStA).

Das Sammeln von Erfahrungen direkt vor Ort, der unmittelbare Kontakt mit den Menschen – die Reise sollte dies ermöglichen. „Das ist etwas ganz anderes, als Dinge über die Region zu lesen oder einen Gastreferenten einzuladen“, erklärt Engelbert. „Wenn man sich auf andere Plätze und andere Orte, auf andere Situationen einlässt, dann erlebt man Unterschiede zu dem was man bisher kannte. Diese Differenzerfahrung ermöglicht es, etwas zu erkennen und zu bemerken, was man unter normalen Umständen nicht bemerken würde“, so Engelbert.

In einem Seminar beschäftigten sich die Studierenden im Vorfeld der Reise intensiv mit dem Balkan. In Belgrad wollte die Gruppe den kulturellen Hintergrund, die gegenwärtige Kunstszene und die zeitgenössische Kunst hautnah erleben. „Wir sind nach Serbien gefahren, um Menschen zu treffen, Kontakte zu knüpfen, Kunst und Kultur anzuschauen. Das wichtigste war aber, ein eigenes Projekt zu machen, also vor Ort auch zu arbeiten“, erklärt Student Felix Urban.

Die Akustik der Stadt war das Projekt, dem sich die Potsdamer in Belgrad widmeten. „Wir sind mit unseren Aufnahmegeräten durch die Stadt gezogen und haben mit unterschiedlichen Intentionen Geräusche aufgenommen“, erklärt Engelbert. „Sounds of the City“ heißt das Vorhaben, das unter dem Dach des übergeordneten Projekts „cultrans“ (cultural transfers) angesiedelt ist und schon in vergangenen Jahren auf Reisen in Plymouth, Palermo, Hongkong und auch in Potsdam praktiziert wurde. Der Fokus liegt hierbei auf aktuellen, technisch basierten Klangentwicklungen.

„Wir haben mal genauer hingehört und versucht herauszufinden, wie die Stadt klingt und das auch in Begriffe zu fassen und zu analysieren“, erläutert Felix Urban. Dabei interessierte sich die Gruppe nicht für Universalgeräusche, sondern für die feinen Unterschiede. „Autos klingen überall auf der Welt gleich“, so Urban. Für sie sei vielmehr die Frage interessant gewesen, ob eine Stadt nach Geld klingen kann. Diese Frage wird bei der nun erfolgenden Auswertung der aufgenommenen Stadtgeräusche im Fokus liegen. „Man kann Unterschiede heraushören“, sagt Arthur Engelbert. „Wir sehen die Akustik als Indiz für kulturelle Phänomene“, erklärt er. „Sounds of the City“ soll in einer Ausstellung münden, die die letzten drei Stationen der Studienreihe – Mumbai, Belgrad und Jerusalem – thematisiert. In Filmen, Fotos und Geräuschen soll die Auseinandersetzung mit den Städten verdeutlicht werden.

Doch nicht nur der Geräuschteppich Belgrads fesselte die Aufmerksamkeit der Studiengruppe. „Wir haben unheimlich viele beeindruckende Erlebnisse gehabt“, sagt Felix Urban. So sei etwa der Besuch des Museums Macura in Novi Banovci herausragend gewesen. „Mitten in diesem kleinen Dorf an der Donau gibt es eine Privatsammlung von wirklich überraschenden Kunstschätzen“, erinnert sich Urban. „Die kulturellen Erlebnisse muss man sich ein Stück weit selbst erarbeiten. Die verschiedenen Eindrücke setzt man erst nach und nach wie Puzzleteile aneinander, bis man daraus eine individuelle Ordnung hergestellt hat“, resümiert Engelbert.

Heike Kampe

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