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Von Heike Kampe: Der Fingerabdruck des Weins

Potsdamer Forscher haben die Inhaltsstoffe des Weins analysiert und neue Kontrollmethoden entwickelt

Dieses Ergebnis dürfte selbst die größten Weinkenner überraschen: Bis zu 8000 unterschiedliche Substanzen enthält der vergorene Traubensaft, wie kürzlich Forscher des Potsdamer Max-Planck Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie (MPI) entdeckt haben. „Wein besteht im Wesentlichen aus Wasser, Alkohol und einer Vielzahl kleiner Moleküle, den Metaboliten“, erklärt Professor Lothar Willmitzer vom MPI. Die große Vielfalt dieser Metabolite hat auch den Wissenschaftler erstaunt.

Auf welchem Boden ist der Rebstock gewachsen, wie oft hat es geregnet, wie lange hat die Sonne geschienen – alle diese Faktoren hinterlassen Spuren im Wein, die sich in Form der Zusammensetzung der Moleküle niederschlagen. Aber auch, wie der Winzer die Trauben nach der Ernte behandelt, welche Hefen er zusetzt oder ob er den Most in Eichenholzfässern oder Stahltanks reifen lässt, spiegelt sich in den Inhaltsstoffen wider. Daher müssten sich – so die Idee der Forscher – alle Eigenschaften des Weins in der Komposition seiner Moleküle äußern. Der Wein hätte eine Art Gedächtnis, in dem seine gesamte Geschichte gespeichert ist. Herkunft, Jahrgang, Sorte und Qualität wären messbar.

Mit Hilfe hochauflösender Massenspektrometer, die die einzelnen Substanzen aufgrund geringster Unterschiede ihres Molekulargewichts erkennen, gingen die Forscher ans Werk. Sie analysierten das Auftreten und die Verteilung sämtlicher Inhaltsstoffe von vier chilenischen Rotweinsorten, die sich in Herkunft, Jahrgang und Qualität unterschieden. „Metabolomics“ nennen die Forscher diese umfassende Inhaltsstoffanalyse, mit der sie experimentelles Neuland betreten. Denn in der klassischen Weinanalytik werden bisher nur einzelne Weinkomponenten, wie Phenole, Anthocyane oder Säuren betrachtet.

Neben der erstaunlich hohen Anzahl der Weinsubstanzen offenbarte die Analyse von Cabernet und Co auch, dass mehr als die Hälfte der chemischen Verbindungen noch unbekannt ist. „Möglicherweise geht ein Teil der positiven Wirkungen, die dem Wein zugeschrieben werden, auf diese unbekannten Inhaltsstoffe zurück“, erklärt Professor Peña-Cortés von der Universität Valparaiso in Chile, der zu den Initiatoren des Projekts gehört. Zudem waren nur etwa neun Prozent der Moleküle in allen Weinen enthalten. Mit den Analysedaten aus den chilenischen Rotweinen speisten die Forscher ein mathematisches Modell und konnten feststellen, dass die Moleküle im Gesamten betrachtet, tatsächlich Einiges verraten: „Die erste Frage war, ob wir Wein unterschiedlicher Sorten differenzieren können“, so Willmitzer. Die Antwort sei sehr überraschend, sehr klar gewesen: Die vier Rotweinsorten haben deutlich unterschiedliche Inhaltsstoffe und lassen sich daher auch statistisch gut voneinander unterscheiden. Doch damit nicht genug. Innerhalb der Sorten lassen sich sogar die Jahrgänge und auch die Herkunftsgebiete gut trennen. Jeder Wein ist in seiner Zusammensetzung sehr individuell und besitzt seinen eigenen chemischen Fingerabdruck.

Wie gravierend die Unterschiede zwischen den verschiedenen Weinen sind, offenbarte sich den Wissenschaftlern schon zu Beginn der Untersuchungen: „Wir brauchten authentische Weinproben, in denen auch hundertprozentig das drin ist, was draufsteht“, so Willmitzer. Denn zur Justierung des mathematischen Modells benötigen die Forscher Vergleichsproben, bei denen genau bekannt ist, woher der Wein stammt und welchem Qualitätsgrad er entspricht. Bei den in Deutschland eingekauften Weinflaschen habe sich schnell herausgestellt, dass Weine durchaus gemischt werden und eben oft nicht das drin ist, was draufsteht, so Willmitzer. Für die Untersuchungen waren sie nicht geeignet. Daher mussten 360 Weinflaschen direkt von den Weingütern aus Chile importiert werden.

Professor Willmitzer ist überzeugt, dass das neue Analyseverfahren in naher Zukunft Anwendung in der Qualitäts- und Herkunftskontrolle finden wird. Beispielsweise tauche in Europa viel mehr „chilenischer“ Wein auf, als Chile tatsächlich exportiere, so Willmitzer. Mit der neuen Methode könne man den Wahrheitsgehalt des angegebenen Herkunftsgebietes gut kontrollieren. Denkbar sei auch eine Anwendung durch Winzer, die schon vor der Weinherstellung prüfen könnten, ob die Inhaltsstoffe der Traube einen guten Wein versprechen. Das sei allerdings noch Zukunftsmusik, so der Forscher. Auch andere Lebensmittel, wie etwa Olivenöl, können mit dem neuen Verfahren untersucht werden. Bevor die Analysemethode Marktreife erlangt, muss das mathematische Modell jedoch erst noch mit vielen Vergleichsproben „trainiert“ werden. Daran wird derzeit intensiv an der Universität in Valparaiso gearbeitet.

Trotz aller Analytik: Weingenuss bleibt eine Frage des Geschmacks: „Ich trinke sehr gern chilenischen Rotwein der Sorte Cabernet-Sauvignon“, verrät Professor Willmitzer schmunzelnd. Warum das so ist, lässt sich nicht mit Statistik begründen: „Das ist eine sehr persönliche, subjektive Entscheidung.“

Heike Kampe

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