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Niedergeknüppelt. Am 7. Oktober 1989 ging die Polizei hart gegen Demonstranten in Potsdam vor.

© be.bra wissenschaft verlag

Von Erhart Hohenstein: Potsdam als Zentrum der Opposition

20 Jahre Land Brandenburg: Der Weg zur Demokratie. Ein Symposium der Universität Potsdam und der Historischen Kommission

Reste der Grenzbefestigungen, Gedenktafeln und Stelen erinnern in Potsdam und Brandenburg an die Einmauerung der DDR-Bevölkerung zwischen 1961 und 1989 und die durch Grenzsoldaten erschossenen Flüchtlinge. Die Erinnerung an jene Zeit darauf zu begrenzen, ist nach Ansicht von Ulrike Poppe aber zu eng gegriffen. Ebenso wichtig sei, wie sich jahrzehntelange Einsperrung, Unterdrückung und Überwachung auf die Menschen in der DDR und ihren Alltag ausgewirkt haben. Diese Frage müsse stärker erforscht und dargestellt werden, sagte die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur.

Die einstige DDR-Bürgerrechtlerin sprach auf dem Symposium „Brandenburgs Weg zur Demokratie“, das von der Brandenburgischen Historischen Kommission und der Universität Potsdam im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte unlängst veranstaltet wurde. Anlass war der 20. Jahrestag der Neugründung des Landes Brandenburg.

Poppe schilderte am Beispiel ihres Heimatdorfes Hohen Neuendorf, einer der an den Sperranlagen gelegenen 86 „Grenzgemeinden“, die Behinderungen und Schikanen für die Bewohner. Nach dem Mauerbau stieg die Zahl der Selbsttötungen im Bezirk Potsdam um zehn Prozent an. Die rund 20 000 in Westberlin tätigen Brandenburger („Grenzgänger“) verloren ihre Arbeitsstellen, wurden schikaniert und zum Teil in Arbeitslager eingewiesen. Nach dem Mauerbau hatten sich am 14. August 1961 rund 200 Potsdamer an der Glienicker Brücke versammelt und forderten den Zutritt nach Westberlin. In neun Betrieben der Stadt kam es zu spontanen Streiks. Im Laufe der Jahre sei es dann aber zu Resignation und Anpassung gekommen. Äußerlich passten sich auch junge Menschen den politischen Verhältnissen an und lebten ihre eigenen Vorstellungen und Lebenswünsche im privaten Kreis aus.

Vor Ulrike Poppes Abschlussvortrag hatten Prof. Friedrich Beck, Reinhold Göse und Prof. Rüdiger Hachtmann mit Beiträgen über die mittelalterlichen Landstände, den durch die preußischen Reformen ab 1808 bewirkten Beginn kommunaler Selbstverwaltung und die Auswirkungen der Revolution 1848/49 die ersten Schritte auf dem Weg zur Demokratie beleuchtet. Dieser Spur auch in Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus zu folgen, ließ der enge Zeitrahmen wohl nicht zu. So nahm Michael C. Bienert den Faden mit „Parlamentarismus in der Sowjetischen Besatzungszone“ 1946 bis 1950 wieder auf. Zwar erreichten die bürgerlichen Parteien CDU und LDP 1946 bei den ersten Nachkriegswahlen in Brandenburg gemeinsam eine Mehrheit, doch blockierten die sowjetische Besatzungsmacht und die SED eine Rückkehr zur bürgerlichen Demokratie. In einer „Säuberungsaktion“ wurde nicht nur der von Bienert erwähnte Frank Schleusener (CDU) von den Russen verhaftet und im Gefängnis Priesterstraße (heute Hennig-von-Tresckow-Str.) zu Tode gefoltert – vielmehr gab es auch zahlreiche andere Morde, Hinrichtungen und mehrjährige Internierungen in Zwangsarbeitslagern.

Die Einführung der „Einheitsliste“, in der die Mandatsverteilung im Vorhinein festgelegt wurde, erstickte mit den Wahlen 1950 dann endgültig demokratische Entscheidungen. Einen Schlusspunkt setzte 1952 die Zerschlagung der Länder, die in Bezirke aufgeteilt wurden. Harald Engler, der dazu referierte, sah in den durch die Bezirkstage für Fachbereiche gebildeten Ständigen Kommissionen Rudimente demokratischer Einflussnahme.

Ein dankbareres Feld hatte Peter Ulrich Weiß zu beackern: die friedliche Revolution 1989/1990, die nach den vielen historischen Verwerfungen auch für Brandenburg Demokratie erzwang. Den Bürgerrechtlern, von denen leider kaum jemand anwesend war, hätte es sicher gefallen, dass der junge Historiker die Kundgebung auf dem Weberplatz (4. Oktober 1989) und die von der Polizei niedergeknüppelte und mit rund 100 Festnahmen quittierte Demonstration in der Brandenburger Straße (7. Oktober 1989) würdigte. Auch das gute Dutzend Potsdamer oppositioneller Gruppen von Kontakte und Arche über terra unida, Argus und Schmiede bis zum Hauskreis Hugler, den von Detlef Kaminski angeführten mutigen Einsatz gegen die Wahlfälschung von Mai 1989 und die Mitbegründung des Neuen Forums durch Rudolf Tschäpe und Reinhard Meinel ließ er nicht unerwähnt. Kein Zweifel, Potsdam sei in Brandenburg das wichtigste regionale Zentrum der Oppositionsbewegung gewesen.

Wie allerorts gerieten die Bürgerrechtler, die eine demokratisierte DDR anstrebten, schon Anfang 1990 ins Hintertreffen. Der Mehrheitswille führte zur schnellen Wiedervereinigung und zur Übernahme des Gesellschaftsmodells der Bundesrepublik. Dass sie die Volksmassen mobilisiert und die friedliche Revolution eingeleitet habe, sollte der Bürgerbewegung dennoch hoch angerechnet werden, meinte Weiß. In Potsdam sei diese Achtung stärker ausgeprägt als in vielen anderen Städten und Regionen.

Erhart Hohenstein

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