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Getränkemixen und Online-Verleih? Niemals. Die Kreuzberger Kultvideothek „Videodrom“ in der Friesenstraße, Berlins älteste und wohl bestsortierte Programmvideothek mit immer noch über 30 000 Filmen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Videotheken in der Krise: Warten aufs Revival

Zwischen Ausbeutung und innovativen Geschäftsideen: Wie Videotheken auf den Boom von Amazon, Netflix & Co. reagieren.

Im „Fitzcarraldo“ in der Reichenberger Straße trifft man einen gut gelaunten Martin Schuffenhauer. Der Besitzer der Kreuzberger Videothek hat gerade seine Bar geöffnet, es ist 17 Uhr. Man kann schlechtere Arbeitszeiten haben als er. Die Bar im Erdgeschoss, bestehend aus zusammengewürfelten Filmrequisiten, Kunstblumen und Lametta, vergleicht er mit einem „explodierten Weihnachtsgeschenk“. Im Keller stehen mehr als 10 000 DVDs, akribisch nach Genre und Herkunftsland sortiert, in handbeschrifteten Regalen. Seit 2012 ist das „Fitzcarraldo“, zuvor als „Videothek Roderich“ bekannt, eine Filmkunstbar. Schuffenhauers Strategie: „Die Bar soll das Geld verdienen, aber ich investiere immer weiter in Filme und kaufe sogar noch mehr dazu.“ Die Filme sind sein Hobby, die Bar sein Broterwerb.

Gerade laufe der Verleih gut, erklärt er selbstgewiss. Den Kunden dämmere, dass die Auswahl von Streaming-Anbietern wie Netflix und Amazon sehr begrenzt sei, glaubt Schuffenhauer. Viele Arthouse-Filme und Klassiker würden dort schlicht fehlen. „Woher willst du deine Filme bekommen, wenn du gezielt etwas suchst?“ Auch auf illegalen Streaming-Seiten, die Filme kostenlos anbieten, gäbe es nicht alle Titel. Dennoch seien offenbar viele Kunden bereit, sich Filme mit schlechter Bildqualität sogar auf dem Smartphone anzusehen.

Weil die Kunden ausbleiben, stehen viele Videothekare vor der Wahl, sich selbst auszubeuten oder einen Nebenerwerb zu finden, der ihre Miete sichert. Ein Patentrezept sucht man vergebens. Die Kult-Videothek „Traumathek“ in Köln etwa rettete sich durch Patenschaften und Spenden. Doch Geschäftsmodelle wie die „Filmkunstbar“ gefallen nicht jedem, gleichen sie doch einem Verrat an der Zunft.

Schuffenhauer meint: „Ein Videothekar hat ja etwas Soziopathisches. Der kann nicht mit Menschen umgehen, guckt Filme und isst nachmittags Kekse. Ein Barkeeper dagegen muss gesellig sein.“ Im „Fitzcarraldo“ ist er der einzige Videothekar, der die Kunden beraten kann. Seine Angestellten sind Barkeeper.

Wenn er einen Film nicht hat, schickt Schuffenhauer seine Kunden ins „Videodrom“, Berlins älteste Programmvideothek. Dass deren Inhaber Karsten Rodemann vom Getränkemixen und Onlineverleih nichts hält, ist in der Branche weitgehend bekannt. Das Videodrom lebt von seinem Ruf, von Rodemanns Expertise und seiner immensen Auswahl aus über 30 000 Filmen.

DVD-Bestand auf 2 000 Titel minimiert

Seit Jahren singen Journalisten den Abgesang der Videotheken. Anne Petersdorff, Inhaberin der Lichtenberger Kiez-Videothek „Madeleine und der Seemann“, möchte deshalb erst nicht mit der Presse sprechen, schließlich sei zum Thema Videothekensterben alles gesagt. Ohnehin sei die „Madeleine“ keine richtige Videothek mehr, sondern ein Café mit Softeis, Kinderspielecke und gelegentlichen Filmvorführungen, sagt sie. Ihren DVD-Bestand hat Petersdorff auf 2 000 Titel minimiert, nur noch Kinderfilme, die nach wie vor gut laufen, und ausgewählte Neuheiten verleiht sie.

Vor einem halben Jahr wollte sie die „Madeleine“ schließen, doch die Nachbarschaft stand hinter ihr. Die Umwandlung in ein Café bedeutet für Petersdorff die Aufgabe des Traums, vom unhaltbaren Filmverleih leben zu können, und den Neuanfang als Gastronomin mit kleinem, gepflegtem Filmbestand. Sofas und Tischchen ersetzen nun die Filmregale, ein Konzept, das man so ähnlich auch aus einigen Buchläden kennt.

Angesichts der Konkurrenz im Netz resigniert Petersdorff. Gelegentlich seien Kunden gekommen und hätten ein DVD-Regal abfotografiert, um die Filme dann vermutlich zu Hause zu streamen. „Dagegen kann ich nichts machen.“ Ähnlich pragmatisch sieht es Franziska Tettschlag, Inhaberin der Videothek „Filmfreund“ auf der gegenüberliegenden Seite der S-Bahn-Trasse. Viele Kunden wüssten gar nicht, dass ihr Eckladen in der Corinthstraße eine Videothek sei. Von außen sieht der „Filmfreund“ aus wie ein Spätkauf mit Internetcafé.

Die gelernte Kostümschneiderin hält sich mit einer integrierten Postfiliale, Getränkeverkäufen und Lotto über Wasser. Als Späti versteht sie ihren Laden nicht, die Getränke und Snacks wurden eher unfreiwillig vom Videotheken- zum Späti-Inventar. Früher, das heißt zu DDR-Zeiten und nach der Wende, verkauften Tettschlag und ihr Mann Schallplatten. Tettschlag war dabei, als alle wichtigen Speichermedien ausstarben. In einem Durchgangszimmer und im hinteren Raum stehen DVD-Regale. Viele Filme hat Tettschlag verkauft, an einigen Titeln hängt sie.

Etwa 50 bis 100 Filme verleiht Tettschlag monatlich, rund 3000 Filme zählen noch zu ihrem Bestand. „Ich glaube nicht, dass man den Verfall der Videotheken aufhalten kann“, sagt sie. Nur wer seinen Kunden zusätzliche Angebote schaffe, könne überleben. Auch in anderen Städten haben sich Videotheken ihre langen Öffnungszeiten zunutze gemacht und ihre Läden zum Spätkauf erweitert. Das funktioniert: Immer wieder betreten Kunden den „Filmfreund“, kaufen Getränke oder spielen Lotto.

In der Branche glauben viele an ein Revival der Videotheken. Doch Experten warnen vor voreiligen Schlüssen: „Die Prognose, dass Videotheken zu den Liebhaber-Plattenläden der nächsten Jahre werden, ist mit Vorsicht zu genießen“, sagt Tobias Haupts, Filmwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. „Das betrifft vielleicht sogenannte Kult-Videotheken wie die ,Traumathek‘, das ,Videodrom‘ und ähnliche. Das ist aber kein Versprechen für die Zukunft.“ Krisensituationen habe es schon in den 80er und 90er Jahren gegeben, so Haupts, auch Ende der Nullerjahre seien die Videotheken totgesagt worden: „Jetzt haben wir 2017, und es sieht zwar schlecht aus, aber es gibt sie noch.“ Auch Beiprogramme wie Snackangebote oder Cafés hätten Videotheken schon immer geführt, erinnert Haupts, „aber ob das die Videotheken retten wird, weiß ich nicht.“

Franziska Tettschlag ist mit Prognosen vorsichtig. Sie erkennt noch keine DVD-Nostalgie. „Fitzcarraldo“-Chef Schuffenhauer hingegen ist sich sicher: „Irgendwann werden die Leute sagen: ‚Da gab es doch dieses tolle Medium, diese silbernen Scheiben, und Videotheken waren doch total nett. Man wurde beraten und es war keine Maschine!‘“ Vielleicht gibt es das „Fitzcarraldo“, den „Filmfreund“ & Co. dann immer noch.

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