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Rückführung. Deutsch-jüdische Emigranten hinterließen weltweit ihr kulturelles Erbe. Das MMZ möchte es nun zurückbringen.

© Antonella Sudasassi Furniss / MMZ

Homepage: Verpflanzte Bäume

Das Potsdamer Mendelssohn-Zentrum sammelt weltweit Kulturerbe und stellt sich international neu auf

Als Elke-Vera Kotowski in Argentinien Roberto Schopflocher trifft, sagt ihr der 89-Jährige, dass er beim Wort Baum nicht an die Pampas-Sträucher vor dem Fenster denkt. Vor seinem inneren Auge sieht er eine fränkische Dorflinde oder den deutschen Tannenbaum. Schopflocher hat ein Gedicht darüber geschrieben. 1923 war er im fränkischen Fürth geboren worden, als 14-Jähriger war er mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten nach Südamerika geflohen. Und nie wieder zurückgekehrt. Heute noch wirkt das Interieur seines Hauses wie in einem deutschen Haushalt der 30er Jahre. Schopflocher fühlt sich als deutscher Jude, nicht als Argentinier.

Als die Wissenschaftlerin des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) in Buenos Aires eintraf, erhielt sie als Gastgeschenk vom argentinischen Rabbiner Abraham Skorka den Original-Briefverkehr von Leo Back mit dem deutschen Exil-Rabbiner Fritz Steinthal aus der Zeit von 1918 bis 1955. Bei ihr sei es am besten aufgehoben, sagte man der Potsdamer Wissenschaftlerin. Elke-Vera Kotowski ist mittlerweile zwischen Südamerika und Osteuropa unterwegs, um deutsch-jüdisches Kulturerbe weltweit zu sichern. Ein entsprechendes Forschungsprojekt – „German Jewish Cultural Heritage“ – betreibt das MMZ seit einigen Jahren, gefördert wird es unter anderem vom Auswärtigen Amt. Ziel ist es, das durch die Judenverfolgung der Nationalsozialisten in der ganzen Welt verstreute kulturelle Erbe der deutschen Juden zu erfassen und wenn möglich im deutschsprachigen Raum zu archivieren.

Das An-Institut der Universität Potsdam begibt sich aber nicht nur mit dem Heritage-Projekt auf die internationale Ebene. Am 10. Oktober wird an der Universität Zagreb ein „Moses Mendelssohn Institut zur Erforschung der jüdischen Geschichte und Kultur in Südosteuropa“ (MMI) eröffnet. Am Aufbau dieser für die Balkanstaaten bisher einzigartigen Forschungseinrichtung ist das MMZ über einen Kooperationsvertrag mit der Universität Zagreb direkt beteiligt. „Wir können hier unsere 20-jährige Erfahrung weiterreichen, wie Lehre und Forschung rund um das Judentum sinnvoll kombiniert werden“, erklärt der Direktor des MMZ, Julius H. Schoeps. In Kürze bereits sollen erste gemeinsame Forschungsprojekte mit den kroatischen Kollegen starten, auch Gastdozenturen zu Schwerpunkten wie deutsch-jüdische Geschichte und transnationale jüdische Migration sind geplant.

Die aktuellen Kooperations-Pläne des MMZ gehen derweil noch weit über das Zagreber Projekt hinaus, wissenschaftliche Vernetzung soll es auch mit Forschungseinrichtungen in Warschau und Vilnius geben. „Wir haben Signale für eine engere Zusammenarbeit, die die jüdische Geschichte in Mittel- und Osteuropa betrifft, aber auch ganz zeitgenössische Themen“, erklärt MMZ-Direktor Schoeps. „Dazu gehört das kulturelle jüdische Revival in Osteuropa ebenso wie demografische Verschiebungen und neue Probleme mit Antisemitismus.“ In Deutschland selbst will Schoeps Wissenschaft und Öffentlichkeit noch mehr zusammenbringen als bisher. Er verweist auf die angegliederte Mendelssohn-Akademie in Halberstadt, die demnächst mit anderen jüdischen Einrichtungen ins Weltkulturerbe aufgenommen werden soll. So bekämen Forschung und Weiterbildung, internationale Kooperationen, Ausstellungen und kulturelle Aktivitäten in sich neue Gewichtungen.

Der Historiker Schoeps sieht die Aufgabe des MMZ in einem breiteren Zusammenhang. „Die Auseinandersetzung mit der deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte ist für mich auch eine Auseinandersetzung mit den Problemen der Demokratie“, sagt Schoeps. So erstellt das MMZ Studien zum Rechtsextremismus und stellt Expertisen dazu für die Politik aus. Das Projekt „Bibliothek verbrannter Bücher“ zur Erinnerung an das Verbrechen der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen im Mai 1933 ist vom Moses Mendelssohn Zentrum speziell auch für Schulen ins Leben gerufen worden. 120 Titel umfasst die Sammlung, an über 3000 Schulen wird sie zugänglich gemacht. „Wenn in jeder Schule nur zwei Schüler pro Jahr ein Buch ausleihen, dann sind das 7500 Multiplikatoren“, sagt der Historiker.

Das Gedenken an die deutsch-jüdische Geschichte will Schoeps auch mit der Mendelssohn-Stiftung transportieren. Die Stiftung baut deutschlandweit Studentenwohnheime, die sie nach deutsch-jüdischen Denkern benennt. So wird demnächst in Hamburg ein Wohnheim eröffnet, das nach dem Rechtswissenschaftler Albrecht Mendelssohn Bartholdy benannt wird, in Frankfurt soll der Bau den Namen des Ökonomen Franz Oppenheimer tragen. Schoeps sieht das Engagement auch als eine Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft, die als Institut einer Universität nicht möglich wäre. Dies sei der Vorteil des Status „An-Institut“, den das MMZ in Bezug auf die Universität Potsdam hat.

Das MMZ-Vorhaben zum deutsch-jüdischen Kulturerbe, das das Zentrum derzeit weltweit aktiv werden lässt, sieht Schoeps als Symbol für den Ansatz des Forschungszentrums. „Will man die deutsche Geschichte begreifen, muss man die deutsch-jüdische Geschichte als integralen Bestandteil betrachten“, sagt er. Daher sei es so wichtig, die in alle Welt verstreuten Hinterlassenschaften der deutsch-jüdischen Geschichte zusammenzutragen. Denn Schoeps weiß auch, dass das deutsche Judentum heute Geschichte ist. Er sieht sich als eine Art Nachlassverwalter. Damit die nachfolgenden Generationen verstehen, was die deutsch-jüdische Symbiose einmal bedeutete.

Mehr im Internet:

www.verbrannte-buecher.de

http://germanjewishculturalheritage.com/

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