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Der gute alte Dorfladen kann ganz neue Aufgaben zur Nahversorgung erfüllen.

© Angelika Warmuth/dpa

Verlassene Dörfer: Neue Lebensenergie für ländliche Gegenden

Das Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) untersucht Strategien zur Wiederbelebung schrumpfender Ortschaften.

Marion Ben Rabah hat nachgeschaut: Jedes Jahr verliert die Gemeinde Schönfeld 15 Bürger. So schrumpfte der Ort von 1000 Einwohnern im Jahre 1990 auf nun rund 620. Während Berlin und sein direktes Umland prosperiert und wächst, unterliegt das ländliche Brandenburg einem Schrumpfungs- und Ausdünnungsprozess. Damit ist die ländliche Infrastruktur bedroht, was die Landflucht beschleunigt. Wie dem entgegengewirkt werden kann, untersucht das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner.

Beteiligung aller Bewohner

Studien über den ländlichen Raum und von Forschern initiierte Projekte sollen Aufschluss darüber geben, wie der schleichende Strukturwandel sinnvoll gestaltet werden kann. Das Institut unterstützt regionale Initiativen wie diejenige von Marion Ben Rabah. Denn die Agraringenieurin initiierte zusammen mit acht Gemeindemitgliedern eine „Dorfwerkstatt“. Mithilfe der „kommunalen Intelligenz“ sollte, unterstützt von einer Stiftung, „Lebensenergie für das Dorf“ geschaffen werden. Als probates Mittel hierzu erschien ein Gesprächskreis aus acht Gemeindemitgliedern - die Dorfwerkstatt, die es sich zum Ziel gemacht hatte, einen Mehrgenerationenspielplatz, Gemeinschaftsgärten und ein Dorfcafé mit Dorfküche zu errichten. Mit Bürgerversammlung und Arbeitsgruppen sollten alle Bewohner in den Neuaufbruch einbezogen werden. Am Ende stand jedoch ein Projekt mit strukturierten Entscheidungsabläufen, in dem 26 langzeitarbeitslose Bürger der Gemeinde gegen eine Aufwandsentschädigung tätig waren. So hatte sich das Ben Rabah nicht vorgestellt. Aber „Streitereien und Machtgehabe“ hätten keine andere Möglichkeit gelassen, man habe die „Entscheidungskompetenzen“ der Bürger schlicht überschätzt, so Ben Rabah.

Konsumzentren sind denkbar

„Wenn Initiativen nur zeitlich begrenzte Projekte sind, ist das problematisch“, stellt Ralph Richter, Soziologe am IRS fest. Notwendig sei es, nachhaltige Strukturen zu schaffen, die auch dann weitertrügen, wenn die einmal gewährten Projektmittel aufgebraucht sind. „Die Leute müssen ihren Ort wieder als lebendige Gemeinschaft wahrnehmen“, sagt Richter. Wenn der letzte Konsum im Osten geschlossen habe und der letzte Fleischer abgewandert sei, würden Orte zu reinen Schlafstätten für Bewohner, die dann mit dem Auto zu einem entfernten Arbeitsplatz fahren. Generell erscheine der entfernte Großmarkt den Dorfbewohnern attraktiver als der „Tante Emma Laden“ vor Ort. Dennoch sei es möglich, aus einer Kombination von Dorfladen, Bank, Café und Friseur eine Art funktionierendes Konsumzentrum zu schaffen. „Die Nahversorgung ist eine Marktnische“, so Richter. 

Wer dies ausnutze, betätige sich als eine Art „Sozialunternehmer“ und könne so schneller reagieren als Politik und Bürokratie. Am Seddiner See beispielsweise habe sich ein entsprechender Dorfladen etablieren können. „Geschäftsidee und Nachfrage“ müssten zusammengebracht werden, damit entsprechende Sozialprojekte funktionieren könnten, so Richter.

Gemeinschaftsprojekt Kläranlage

Manchmal hilft auch die EU der dörflichen Gemeinschaft ungewollt auf die Sprünge, berichtet Richter. So war der Verein zum ökologischen Gewässerschutz Treptitz e. V. Bundessieger in der Kategorie Umwelt beim „Land der Ideen“ Wettbewerb im Jahre 2014. Nachdem die Gemeinde auf weniger als 150 Mitglieder geschrumpft war, wäre nach EU-Richtlinien eigentlich für jedes Haus eine gesonderte Kläranlage notwendig gewesen. Eine recht aufwendige und kostspielige Angelegenheit. 

Also besannen sich die Treptitzer ihres Gemeinschaftssinns, schlossen sich zum Verein ökologischer Gewässerschutz Terptitz e. V. zusammen. Sie bauten so zwei Kleinkläranlagen, die den Normvorgaben entsprechen. Parallel dazu habe man auch ein entsprechendes Nahwärmenetz, ausgehend von einem örtlichen Agrarbetrieb, installieren können.

Wie können Städter angelockt werden?

Mit dieser Initiative habe das Dorf auch neue Einwohner für sich interessieren können, so Richter. Skeptisch beurteilt der Wissenschaftler allerdings die Möglichkeiten, Städter mit an sich nicht ortsgebundenen digitalen Arbeitsplätzen für die billigeren und ruhigeren ländlichen Regionen interessieren zu können. Das sei zwar technisch möglich. Aber: „Für entsprechende Abwanderungsbewegungen wegen digital gewordener Arbeit in den ländlichen Raum gibt es keine Beispiele“, so Richter.

Als Hauptproblem für die Rückbesinnung auf die örtliche Gemeinschaft sieht Richter die begrenzten Entscheidungsmöglichkeiten der Verwaltung vor Ort. Diese seien häufig an langwierige Verwaltungsprozesse gebunden. Ein selbständiger „Sozialunternehmer“ könne da schneller Ideen entwickeln und entsprechend reagieren. Wenn dieser aber gemeinnützig arbeite, so sei auch wieder ein erheblicher bürokratischer Aufwand notwendig, um zu vermeiden, dass die Gemeinnützigkeit verloren ginge.

Richard Rabensaat

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