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Homepage: Verborgene Stellungen

60 Jahre lang waren am Uni-Campus Golm Militär und Nachrichtendienste zu Hause. Eine Ausstellung

Wenn man heute vom Bahnhof aus auf den Uni-Campus Golm blickt, ist alles wie weggewischt. Nichts erinnert mehr an die Stasi, nichts an die Wehrmacht, die hier einst angesiedelt waren. Wie eine Sichtblende haben sich der elegant geschwungene Klotz der neuen Uni-Bibliothek und der goldene „Käfig“ der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vor die Relikte der Vergangenheit geschoben. Doch wer dahinter blickt, der findet sie noch, die Plattenbauten der ehemaligen Stasi-Hochschule und die historischen Flachbauten der NS-Kasernen. Und wer noch genauer schaut, der findet Aufschriften wie „Luftschutzraum“ hinter Efeu versteckt, ja sogar Stasi-Siegel auf alten Tresorschränken.

Golm bedeutet im Slawischen so viel wie Hügel, slawische Siedler ließen sich hier bereits im 9. Jahrhundert nieder. Einen Hügel gibt es in Golm tatsächlich, an seinem Fuße fanden nicht nur die Slawen einen gute Lagerplatz. Auch die Wehrmacht lagerte hier seit den 1930er Jahren. Nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht durch die Nationalsozialisten mussten Kasernen her. Für die „Luftnachrichtenabteilung Oberbefehlshaber der Luftwaffe“ wurden mehrere Gebäude errichtet, die General-Wever-Kaserne entstand, Funker und Nachrichtendienste kamen hinzu. Nach dem Krieg kam die Rote Armee der Sowjetunion, dann die Volkspolizei der DDR und schließlich 1951 die Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS).

Heute ist das Areal einer der drei Standorte der Universität Potsdam, zusammen mit den Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten ist hier der Größte Forschungsstandort Brandenburgs entstanden. Die Zeiten, in denen die Studierenden den grauen Campus Golm zu meiden versuchten sind vorbei, eine moderne Forschungslandschaft ist entstanden, die gerne angenommen wird. Die dunkle Vergangenheit des Ortes holt nun eine Ausstellung der Uni zurück ans Tageslicht. Und zwar ausgerechnet in der neuen Uni-Bibliothek (IKMZ), die ja wie ein Feigenblatt den Blick auf die Vergangenheit verdeckt. Doch die Gebäude sind zum Großteil noch da, sowohl die Kasernen wie auch die Stasibauten sind heute Teil der Uni. In der ehemaligen Wehrmachtskantine wurden zu DDR-Zeiten die Offiziersschüler des MfS verköstigt und heute gehen hier die Studierenden der Uni zum Essen.

13 Bild- und Texttafeln stehen etwas verloren im Foyer der Bibliothek. An diesem Vormittag interessiert sich niemand für sie. Das sollte man aber. Das Ausstellungskonzept ist nicht sonderlich innovativ. Doch was es zu lesen gibt, lohnt sich in seiner Verdichtung allemal. Vielleicht sollte man an eine Broschüre oder eine Internetseite denken, um den Inhalten eine größere Reichweite zu geben. Der Schwerpunkt der kleinen „Ausstellung“ liegt eindeutig auf der Zeit der DDR-Geheimdiensthochschule von 1951 bis 1990, die ab 1965 Juristische Hochschule Potsdam (JHS) hieß. Hier lässt sich die kuratorische Hand des Uni-Historikers Manfred Görtemaker unschwer erkennen. Er hat sich wiederholt mit der Stasi-Vergangenheit der Potsdamer Uni auseinandergesetzt.

Verbindungslinien gibt es in der Zusammenstellung viele, so etwa die Nutzung des Areals durch die Nachrichtendienste sowohl der Wehrmacht wie auch der DDR. Alles steht und fällt mit dem besagten kleinen Hügel, in dessen Windschatten konnten sich klandestine Stellungen sozusagen wegducken, und auf erhöhter Position ließen sich wohl auch Antennen gut platzieren. In der DDR wurde der Ort dann zur wichtigsten Kaderschmiede des Ministeriums für Staatssicherheit. Von 1963 bis 1984 zählen die Uni-Historiker 4240 Absolventen, wovon lediglich 13 weiblich gewesen sein sollen. Rund 350 Personen promovierten an der JHS, unter anderem Alexander Schalck-Golodkowski. Bis zum Ende der DDR war die geheime Hochschule am expandieren: 1989 zählte man 726 Mitarbeiter, wovon rund die Hälfte Dozenten waren.

Die JHS unterlag großer Geheimhaltung nach außen, bis zum Ende der DDR fand sie sich in keinem Hochschulverzeichnis des Staates. Weder publizistisch noch medial trat man in der Öffentlichkeit oder Forschung in Erscheinung. Die Hochschule habe, so heißt es im Ausstellungstext, Fachwissen vermittelt, um den Klassenfeind besser verstehen und bekämpfen zu können. Auch sei es um Effektivierung und Verbesserung der Arbeitsmethoden des MfS gegangen.

Die Rekrutierung der späteren Geheimdienstler habe bereits in der sechsten Klasse der Schule begonnen, weniger nach sozialen, mehr nach politischen Gesichtspunkten. Die Offiziersschüler wohnten dann auf dem Areal der Stasi-Hochschule. Sie unterlagen militärischem Reglement, es gab strenge Kleider- und Verhaltensvorschriften, das Stammpersonal trug Waffen, als Kleiderschrank diente ein Spint. Ordnung und Sauberkeit sei in den Räumen penibel kontrolliert worden. Aber es hatte auch etwas für sich, an so exponierter Stelle zu studieren: so sei es an der JHS nicht wie an anderen DDR-Hochschulen zu Papierengpässen gekommen, das Betreuungsverhältnis lag bei viereinhalb Studierenden pro Dozent. Den Studierenden standen 36 Tage Erholungsurlaub und Kurzurlaub an den Wochenenden zu. Ab 17 Uhr konnte das Areal in zivil verlassen werden, allerdings nur, wenn sämtliche Studien- und Einsatzverpflichtungen erledigt waren.

Was studierte man als angehender Geheimdienstler? Neben der umfassenden theoretischen Ausbildung – Marxismus-Leninismus, Rechtswissenschaft – gab es auch den politisch-operative Bereich: operative Psychologie, Spionage, Staatsgrenzen und Feindkontakt gehörten hier zum Unterrichtsstoff. In das Studium integriert war auch der Einsatz in den künftigen Diensteinheiten. Hier lernten die Anwärter Methoden der Vorbeugung, Aufdeckung sowie der Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit kennen. Feindbildvermittlung, Umgang mit Spionen und Vorgehen gegen Grenzflüchtlinge gehörten zudem zum praktischen Unterricht. Was die Studierenden am meisten interessierte, zeigt vielleicht eine Statistik der Diplomthemen: Am häufigsten dabei vertreten das Thema Spionageabwehr. Für Fragen von Untersuchungshaft und Strafvollzug konnten sich nur die wenigsten Nachwuchsagenten erwärmen.

Mit der nun vollzogenen mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausrichtung des Lehr- und Forschungsstandortes der Uni Potsdam scheint der militärisch-geheimdienstlerische Komplex von Golm endgültig überwunden zu sein. Heutzutage versteckt der Nachrichtendienst sich nicht mehr am Rande der Hauptstadt, sondern baut gleich mittendrin. Und an die militärische Vergangenheit erinnert in Golm einzig noch die Nähe zur Havellandkaserne in Eiche.

Bis zum 31. März im Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum (IKMZ), Foyer, Uni-Campus Golm, Karl-Liebknecht-Straße 25-25

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