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Im September bricht die „Polarstern“ in die Arktis auf. Ein Potsdamer Forscher leitet die einjährige Forschungsreise.

© AWI/Stefan Hendricks

Unter Potsdamer Leitung: Die größte Arktisexpedition aller Zeiten hat begonnen

Der Potsdamer Forscher Markus Rex leitet die größte Arktisexpedition aller Zeiten. Am Freitagabend ist die "Polarstern" in See gestochen.

Potsdam - Es ist die größte Expedition in die Arktis seit mehr als 100 Jahren und wahrscheinlich eine der größten Expeditionen überhaupt. Am Freitagabend startet die Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of arctic Climate, kurz: Mosaic-Expedition, in die Arktis. Ungefähr 600 Personen aus verschiedenen Ländern nehmen im Laufe eines Jahres daran teil.

Expeditionsleiter und Koordinator des wissenschaftlichen Großunternehmens ist der Potsdamer Wissenschaftler Markus Rex, Professor für Physik an der Universität Potsdam und Leiter der Atmosphärenforschung am Alfred-Wegener-Institut (AWI). Ausgestattet mit einem Budget von mehr als 120 Millionen Euro brechen insgesamt fünf Schiffe aus verschiedenen Nationen in Richtung Nordpol auf. Das Forschungsschiff des AWI, die „Polarstern“, will den Nordpol erreichen und passieren. Ein Jahr lang soll das Schiff unterwegs sein und, im arktischen Eis eingefroren, durch das Nordpolarmeer driften.

Ein Projekt von weltweitem Interesse

17 verschiedene Nationen sind an dem Unternehmen beteiligt. Die Idee dazu entstand bereits 2011. Markus Rex übernahm 2015 die Leitung und machte es zu einem Projekt, an dem weltweites Interesse besteht und das ganz verschiedenen Wissenschaftler und Nationen einbindet. Im Bildungsforum Potsdam hat Rex das Projekt vorgestellt. Ausgerechnet Deutschland, das keine direkte Verbindung zu arktischen Regionen hat, übernimmt die Führungsrolle in dem internationalen Großprojekt. Und das aus einem einfachen Grund: Keine andere Nation habe in den vergangenen Jahrzehnten ein ähnlich fundiertes Wissen über die Region gesammelt, erklärt Jane Francis, die Direktorin des renommierten British Arctic Survey, einem weltweit führenden Forschungsinstitut für die Polarregionen. 

Chinesische, russische, deutsche und schwedische Eisbrecher starten in die halbjährliche Finsternis am Nordpol. Beim Start der Reise im September herrschen noch Temperaturen, die es den Eisbrechern ermöglichen, eine Schifffahrtsrinne ins Eis zu schneiden. Dann wird es im arktischen Winter so kalt, dass sich kein Schiff mehr am Pol rühren kann. Deshalb wird die „Polarstern“ im Eis einfrieren und sich mit der Drift über den Pol treiben lassen. Ähnlich hatte es seinerzeit der Polarforscher Fridtjof Nansen geplant.

Nansen schuf die Grundlage für die heutige Expedition

Als Nansen 1893 aufbrach, um den Nordpol zu sichten, hatte er sich gründlich vorbereitet. „Er hat damals genau studiert, wie die Inuit überleben und sich überlegt, wie es überhaupt möglich ist, im Eis zu überleben. Seine Reise hat die Grundlage für die heutige Expedition geschaffen“, erklärt Rex. Nansen erreichte sein Ziel nicht, sondern brach den Weg zum Nordpol ab, als er sah, dass die Fortsetzung wahrscheinlich mit dem Tod im Eis enden würde. Zudem hatte er sich bei der Berechnung der Drift des Schiffes verschätzt.

Nansen wurde wesentlich vom Entdeckergeist geleitet und wollte in damals noch völlig unerforschte Welten aufbrechen. Heute ist es auch handfestes ökonomisches Interesse, das die Mosaic-Expedition befeuert. „Wenn die Klimaentwicklung sich so wie gegenwärtig fortsetzt, wird sich das auf die weltweiten Handelsströme massiv auswirken“, konstatiert Rex. Denn dann werde die Nordostpassage, die von Nordamerika am Nordpol vorbei nach Asien führt, im Sommer dauerhaft schiffbar. Bis zum Jahre 2030 könnten 25 Prozent der Schifffahrt, mit der im Containerhandel Waren von Asien nach Europa geschafft werden, über diesen Weg transportiert werden, so Rex. Der Weg ist erheblich kürzer als die heute noch übliche Passage durch den Suezkanal. Wäre die arktische Region dauerhaft schiffbar, könnte dies zu einer Vervielfachung des weltweiten Handelsvolumens durch die Arktis führen. „Das hätte natürlich massive Auswirkungen auf die Ökosysteme der Arktis und die Ökonomie der Staaten, die an diese Region grenzen“, weiß Rex aus verschiedenen Studien, die im Vorfeld der Expedition angefertigt wurden. So wäre auch die Wirtschaft Europas massiv involviert, daher das große Interesse auch der Bundesregierung an der Expedition.

Es wird ein Datenberg entstehen

Ist die „Polarstern“ erst einmal im Eis eingefroren, legen die Forscher im Radius von 50 Kilometern einen Ring aus wissenschaftlichen Forschungsstationen um das Schiff an. Diese werden mit einem Hubschrauber oder einem Flugzeug angeflogen. Es entsteht ein Datenberg, der erstmals genaue Auskunft über die Klimaveränderungen in der Region gibt. Denn in den vergangenen 100 Jahren hat es zwar immer wieder Forschungsansätze in der Arktis gegeben. Aber die waren nie groß angelegt und lieferten keine ausreichenden Daten, um die aktuellen massiven Veränderungen zu erklären und zu erfassen. Die Arktis sei wie ein Klimalabor, in dem sich die weltweiten Klimaveränderungen wie im Zeitraffer abspielten und niederschlügen, so Rex. Das Meereis, der Ozean, die Atmosphäre würden untersucht.

1992 hat Rex als Student zum ersten Mal die Region bereist. Auf einem Foto von damals zeigt er eine weite vereiste Fläche, aus der ein Eisberg herausragt. Auf einem Bild, das er vor Kurzen erst vom gleichen Fleck aufgenommen hat, ist eine weite Wasserfläche zu sehen, über der Vögel kreisen. Das Eis ist verschwunden. Und auch Gletscher, die 100 Meter dicke Eiswände vom Land ins Meer geschoben haben, sind mittlerweile auf kilometerweiter Fläche getaut. Rex hält es für ein mögliches Szenario, dass das Eis ganz vom Nordpol verschwindet. Bisher bedeckt eine ein bis zwei Meter dicke Eisfläche den Pol. Darunter befindet sich ein mehrere tausend Meter tiefes Meer. Verschwindet das Eis, verschwinden auch die Eisbären und die dortigen Einwohner.

Kommt der Luftwirbel ins Stottern, wirkt sich das aufs Kontinentalklima aus 

Noch dramatischer aber wäre die Veränderung der Luftströme, die um die Arktis zirkulieren, führt Rex aus. Denn der Luftwirbel um die Arktis ist auch für das Klima in Europa und Amerika verantwortlich. Er sei ein Motor des weltweiten Klimas, sagt der Forscher. Käme der ins Stottern, wie es derzeit schon zu beobachten sei, so wirke sich das auf das kontinentale Klima aus. Es träten Extreme wie der vergangene Dürresommer auf. Verschwände das Meereis in jedem Sommer dauerhaft, hätte dies Folgen für das weltweite Klima, die heute überhaupt nicht vorhersagbar wären. Dies schlicht deshalb, weil die Daten fehlen und nicht in gängige Klimamodelle eingefügt werden können. Um hier eine Forschungsgrundlage zu legen, bricht die groß angelegte Expedition auf ins Eis. Denn: „Wenn das Meereis nicht mehr da ist, dann haben wir in der Arktis eine andere Welt. Die resultierende, noch stärkere Erwärmung kann dann auch Konsequenzen für das grönländische Eisschild haben und das Risiko erhöhen, dass dieses instabil wird. Und sollte Grönland langfristig eisfrei werden, müssten wir mit einem Anstieg des weltweiten Meeresspiegels um mehr als fünf Meter rechnen“, warnt der Wissenschaftler.

Die Beschäftigung mit den polaren Regionen zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben des Forschers, der mit seiner Frau und zwei Kindern in Potsdam wohnt. Seit seiner Studienzeit hat er immer wieder Forschungsreisen in die Arktis gemacht und auch in den USA dazu unterrichtet. Im vergangenen Jahr allerdings hat er eine Forschungsstation auf Palau im pazifischen Ozean errichtet. Denn auch die von dort kommenden Luftmassen beeinflussen das arktische Klima.

Der Beitrag war zuerst am 17. Juli 2019 in den PNN erschienen.

Richard Rabensaat

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