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Manfred Görtemaker gilt als einer der führenden deutschen Zeithistoriker.

© Andreas Klaer

Universität Potsdam: Historiker Görtemaker in den Ruhestand verabschiedet

Der Zeithistoriker Manfred Görtemaker hat sich an der Universität Potsdam nicht nur Freunde gemacht. Am heutigen Mittwoch wird er in den Ruhestand verabschiedet.

Von Helena Davenport

Potsdam - Er habe immer fleißig auf die Füße getreten. Manfred Görtemaker grinst verschmitzt, allerdings nur für den Bruchteil einer Sekunde, berichtet dann rasch weiter aus seiner Zeit als Prorektor der Universität Potsdam. Von 1994 bis 1995 war das. Die eben erst gegründete Universität steckte noch in den Kinderschuhen, „und eines ihrer Kernprobleme war ihre Vergangenheit“, erzählt der Professor für Neuere Geschichte. „Rote-Socken-Universität“ sei sie genannt worden. Und Görtemaker hatte das Mandat vom Uni-Senat erhalten, diesem Vorwurf auf den Grund zu gehen. Er habe nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass entgegen der Behauptungen der Universität bis dato keine Überprüfungsanträge gestellt worden waren. Es war seine Aufgabe, die Stasi-Vergangenheit der Uni aufzudecken. Mit dieser Aufgabe, die nicht gerade auf Beliebtheit stoßen konnte, begann seine Zeit in Potsdam.

Er sagt: „Freiwillig höre ich nicht auf“

Heute wird er nun nach 26 Jahren von der Universität in den Ruhestand verabschiedet. Wobei auch die ihm bevorstehenden Aufgaben mit Ruhe wenig zu tun haben dürften. Im Historischen Institut hat der 67-Jährige, der als einer der führenden deutschen Zeithistoriker gilt, gerade erst ein neues Büro bezogen. „Freiwillig höre ich nicht auf“, sagt er.

Mehr als 1500 Anträge waren es, die Görtemaker Mitte der 90er-Jahre zur Stasiunterlagenbehörde brachte. Es sei vollkommen klar gewesen, dass die Ergebnisse nicht unproblematisch ausfallen konnten, sagt er. Denn an der jungen Potsdamer Uni war Personal übernommen worden von der Pädagogischen Hochschule, an der DDR-Lehrer ausgebildet worden waren, von der Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit in Golm, sowie von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft in Griebnitzsee, einer DDR-Kaderschmiede.

Seine Kritik war vielen ein Dorn im Auge

Görtemaker hatte aber noch auf ein anderes Problem aufmerksam gemacht, was erst recht dazu führte, dass er für viele ein Dorn im Auge wurde. Er thematisierte mangelnde Kompetenzen. Überall auf der Welt wäre es schwierig gewesen, eine Pädagogische Hochschule in eine Universität zu verwandeln, betont er auch heute: „Weil eine Uni für wissenschaftliche Forschung zuständig ist, und eine Pädagogische Hochschule ausschließlich für die Lehre.“ Die Forschung habe entscheidend darunter gelitten. Bis jetzt beschäftigt ihn das Thema, erst vor kurzem wurde er aufgefordert, Belege für seine Untersuchungsergebnisse bezüglich der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vorzubringen. Das Ergebnis sei derart schlecht, man könne es als Weltrekord bezeichnen, ärgert sich Görtemaker. Es sei jedoch nie seine Absicht gewesen, die Lebensleistung von Dozenten zu zerstören.

Görtemaker wuchs im Norden auf, im Landkreis Leer in Ostfriesland. Sein berufliches Ziel: Journalismus. Genau genommen wollte er Auslandskorrespondent werden. Er arbeitete für verschiedene Zeitungen, etwa die Nordwest-Zeitung, später auch für den NDR und den WDR. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Publizistik in Münster und Berlin. Anfang der 80er-Jahre kam er als John F. Kennedy-Stipendiat an die Harvard University in Cambridge bei Boston, später war er auch als Gastdozent an der Stanford University tätig. „Das hat alles verändert“, sagt er: „Wenn man zwischen den Welten unterwegs ist, erhält man eine ganz neue Weltsicht.“ Sein gutes Verhältnis zu den USA bestehe bis heute. „Ich unterscheide zwischen Amerika und Trump“, sagt er. Der aktuelle US-Präsident sei zwar furchtbar, das politische System werde die Lage aber richten – da ist sich der Historiker sicher.

Mehrere „unglückliche Zufälle“ hielten ihn an der Uni

An der Uni wollte Görtemaker eigentlich nie bleiben. Nur eine Verkettung unglücklicher Zufälle, wie er es nennt, hielt ihn am Campus. „Entscheidend war auch, dass ich unbedingt Bücher schreiben wollte“, erklärt er. Zählt man nur die Monographien, die Görtemaker verfasst hat, zusammen, kommt man auf 19. 26 weitere Bücher hat er herausgegeben. Als schließlich die Mauer fiel, war Görtemaker gerade in New York. „Was soll ich hier, wenn sich in Europa die Welt verändert“, habe er sich gefragt. Für die Professorenstelle in Potsdam entschied er sich aufgrund der vielen Archive und Bibliotheken in der Nähe, insbesondere in Berlin. Mit seiner Arbeit steht er seitdem immer wieder in der Öffentlichkeit: Etwa, als er die NS-Geschichte des Bundesjustizministeriums aufarbeitete.

Görtemaker hat noch eine weitere berufliche Leidenschaft: die Museumsarbeit. Der Historiker gestaltete als wissenschaftlicher Beirat die Ausstellung im Schloss Cecilienhof, dem Ort der „Potsdamer Konferenz“ 1945, neu. Anfang der 2000er baute er das Museum im Justizpalast in Nürnberg mit auf, das an die Nürnberger Prozesse nach 1945 erinnert. Als sein wichtigstes Projekt auf diesem Gebiet bezeichnet er aber den Aufbau des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, der rund zwölf Jahre gedauert und circa 64 Millionen gekostet habe. „Man hat als Zeithistoriker nicht nur die Aufgabe, im Kämmerlein zu sitzen, man muss auch nach außen wirken“, sagt er. Das goldene Ehrenkreuz der Bundeswehr, das ihm 2016 für seine ehrenamtliche Arbeit verliehen wurde, sei ihm allerdings vollkommen gleichgültig gewesen.

Jetzt will Görtemaker zum DDR-Strafrecht forschen

Ab dem 1. November wird Görtemaker an einem neuen Drittmittelprojekt namens „Grenzregime“ arbeiten. Rund 450 000 Euro stellt das Bundesforschungsministerium dafür der Uni zur Verfügung. Untersucht werden soll das politische Strafrecht in der DDR. Für die kommenden vier bis sechs Jahre bleibt Görtemaker der Uni somit auf jeden Fall erhalten. „Eigentlich ist die Verabschiedung etwas peinlich“, findet er. Er befinde sich jetzt sogar in einer privilegierten Position, könne sich auf die Forschung konzentrieren. „Das Leben endet erst mit dem Tod, aber nicht vorher“, betont er. Alt fühle er sich sowieso nicht. Zweimal in der Woche spielt er Tennis, zweimal geht er zum Zirkeltraining. Er esse gesund, trinke nicht, rauche nicht: „Das alles sind doch gute Voraussetzungen, noch ein paar Jahre durchzuhalten.“

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