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Zu den Akten. Uni-Kritiker wünschen sich, dass die Stasi-Vergangenheit an der Hochschule besser aufgearbeitet werden soll.

© dpa

Uni Potsdam: Alte Lasten

20 Jahre nach Uni-Gründung wächst die Kritik an der Vergangenheitsaufarbeitung der Hochschule

Die Unverfrorenheit macht Horst Röpke noch heute fassungslos. 1990 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Medienpädagogik der Pädagogischen Hochschule Potsdam, die damals noch den Namen „Karl Liebknecht“ trug und im offiziellen Briefkopf auf die Auszeichnung mit dem „Karl-Marx-Orden“ verwies. Dass das nicht das einzige Relikt der überkommen geglaubten Ära war, musste der seinerzeit 57-Jährige, der in Potsdam gerade die Partei „Demokratischer Aufbruch“ mitgegründet hatte, in einer Dienstbesprechung erfahren. Es ging um die Planung von Seminaren im Lehrgebiet „Aktive Medienarbeit“. Dass die Hochschule dafür auch einen ehemaligen Mitarbeiter der früheren Juristischen Hochschule der Staatssicherheit in Golm eingestellt hatte, machte Röpke schon stutzig. Befragt nach seiner Qualifikation scheute sich der neue Kollege nicht zu erzählen, dass er angehende Stasi-Offiziere mittels Videotechnik in „Gesprächsführung“ geschult hatte. „Was das heißt, können Sie sich vorstellen“, sagt Röpke.

Er lies den Fall nicht auf sich beruhen. Gemeinsam mit drei Institutskollegen schrieb er an die Personalabteilung und bat um Überprüfung. Gut zwei Monate später, im August 1990, die Rückantwort: Die Übernahme sei planungsgemäß erfolgt. Röpke schreibt einen zweiten Brief, als Vorsitzender des „Demokratischen Aufbruchs“ – ohne Erfolg. Die Uni verweist ihn an das „Zentrale Komitee zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit“. Seine Seminare wird der neue Kollege aber trotzdem nicht wie geplant geben. „Er war ohne Abmeldung auf einmal weg“, erinnert sich Röpke: „Wahrscheinlich haben sie gemerkt, dass sie damit nicht durchkommen.“

Der Fall war keine Ausnahme, glaubt Röpke heute. Wenn er vom Bekenntnis der Universität zur Aufarbeitung hört, schüttelt er nur den Kopf. In den Komissionen, die seinerzeit über die Belastung von Mitarbeitern entscheiden sollten, sei es nicht so demokratisch und selbstbestimmt zugegangen wie behauptet. Mit Verwunderung erfuhr Röpke irgendwann zufällig, wer sein Institut in dieser Komission vertrat: „Der Kollege war Offizier der NVA, hat uns Nicht-Parteimitgliedern zu DDR-Zeiten politische Schulungen gegeben.“ Als er nachfragte, wie ausgerechnet dieser Kollege in die Komission geraten sei, war vage von einer „Absprache mit der Institutsleitung“ die Rede.

Dass sich die Uni mit ihrer Gründungszeit kritisch auseinandersetzen und personelle Kontinuitäten hinterfragen muss, dafür kämpft Frank-Rüdiger Halt bereits seit Jahren. Mit seinen Forderungen hatte er sich noch während seiner Zeit als Dezernatsleiter für akademische und studentische Angelegenheiten der Uni von 1991 bis 1995 viele Feinde gemacht. Als „Kopfjäger“ wurden er und sein Mitstreiter Ulrich Baumann von der Initiative „Hochschulerneuerung von innen“ geschmäht.

Auf Grundlage von Archiv-Recherchen rekonstruierte Halt die Lebensläufe von rund hundert Uni-Mitarbeitern. Und kam zu einem erschreckenden Resümee: Stasimitarbeiter, Parteikader, Kampfgruppenleiter, Mitarbeiter der Sektion Marxismus-Leninismus – viele waren an der Uni untergekommen. „Praktisch alle Funktionsträger des DDR-Regimes wurden übernommen“, sagt Halt, der heute als Physik- und Mathematiklehrer in der Nähe von Bremerhaven arbeitet. Dabei hätte man „Altlasten“ nach dem Einigungsvertrag nicht übernehmen müssen, betont er: Mit dem Kriterium der „persönlichen und fachlichen Eignung“ hätte man „etliche Leute aussortieren können“. Auch wenn ein Großteil der Mitarbeiter jetzt in Rente ist, bleibe das Problem der fehlenden Aufarbeitung: „Die Uni muss den ersten Schritt machen“, sagt Halt. Er wünsche sich etwa Workshops für Studierende, damit sie von der Umbruchszeit der Hochschule erfahren.

In der Pressestelle der Uni reagiert man gereizt auf solche Forderungen. Als „persönlichen Rachefeldzug eines Ex-Mitarbeiters“ wertet man Halts Anliegen. „Es hat diese Aufarbeitung gegeben“, betont Uni-Sprecher Andreas Peter und verweist auf eine Podiumsdiskussion anlässlich des 20. Jubiläums der Unigründung und auf die Stasi-Überprüfung aller Mitarbeiter bis zum Jahr 2007. 122 Stasi-Fälle ergab diese Überprüfung nach aktuellen Zahlen aus dem Wissenschaftsministerium (PNN berichteten).

Dabei ist Halt mit seiner Forderung längst nicht mehr allein. Auch CDU-Landtagsmitglied Michael Schierack äußerte jüngst Zweifel an der Vergangenheitsaufarbeitung der Uni. Spätestens im Herbst werden die Vorwürfe in den Blick der Öffentlichkeit rücken. Am 4. November will sich die Enquetekomission des Landtags zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit den Hochschulen befassen. Auf dem Programm stehen neben einem Gutachten zu dem an Hochschulen vermittelten DDR-Bild auch personelle Entwicklungen, wie Komissionsreferentin Christina Trittel sagte. Angehört werden unter anderem Manfred Görtemaker, Professor für Neuere Geschichte und ehemaliger Prorektor der Uni Potsdam sowie Ulrich Baumann, Mitinitiator von „Hochschulerneuerung von Innen“.

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