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Talkgastgeberin Sandra Maischberger

© Twitter @maischberger

TV-Talk "Männer unter Generalverdacht?": Sexuelle Gewalt, Weinstein & Co. - alles nur mal angetippt

Die ARD widmete dem Thema "Sexuelle Nötigung, Lügen, Vorteil" einen ganzen Themenabend. Der Talk dazu bei Sandra Maischberger ging gründlich daneben.

Auch auf dem Sofa kann man ein Schleudertrauma erleiden, insbesondere dann, wenn man dem Themenabend "Sexuelle Nötigung, Lügen, Vorurteil" in der ARD folgte. Zuerst sah man den Fernsehfilm "Meine fremde Freundin", in der eine krankhafte Lügnerin einen unschuldigen Mann durch einen Vergewaltigungsvorwurf ins Gefängnis bringt. Dieser Film basierte auf einem authentischen Fall und der unschuldig Verurteilte wurde von Hannes Jaenicke gespielt.

Der Schauspieler saß dann in der nachfolgenden Sendung als Talkgast bei Sandra Maischberger, deren Sendung unter dem Titel "Sexuelle Nötigung - Männer unter Generalverdacht?“ stand. Diese Programmierung war fahrlässig. Der Film, der keinen Generalverdacht gegen Männer artikulierte, wurde zum Antriebsriemen für eine Diskussion missbraucht, die durch den Film aber nicht befeuert, sondern gelähmt wurde. So entstand kein dialektischer Dialog, sondern ein mythisches Raunen, dass man den Frauen eben auch nicht alles glauben dürfe und mancher Vorwurf hexenhaft erfunden sei.

Durch die Verquickung mit der Harvey-Weinstein-Debatte wurde ein globaler Diskussionsprozess, ein kollektiver Aufschrei hier erstmal auf einen Einzelfall reduziert, auf eine Perspektive verengt. Allein die Überschrift "Sexuelle Nötigung, Lügen, Vorurteile" ist schon fatal, denn in der Reihung wiegt alles gleich schwer, so als ob die lügenden Frauen ein ebenso großes Problem sind wie die vergewaltigenden und sexuell aggressiven Männer.

Die erste halbe Stunde arbeitete der Talk sich an dem Film und dem Fall Horst Arnold ab, der fünf Jahre unschuldig wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs im Gefängnis saß. Die Aufarbeitung dieses Falles, der medial schon oft aufgearbeitet worden war, wirkte wiederum wie eine Misstrauenserklärung gegen den Film, die Fiktion, so als ob man zeigen müsse, solche Fälle gäbe es wirklich.

Eine gehemmte Gastgeberin

Es waren Hannes Jaenicke und vor allem die Netzaktivistin und Feministin Teresa Bücker, die dem Eindruck widersprachen, dass der Film ein weit verbreitetes Phänomen abbildet. Beinahe jede siebte Frau in Deutschland wurde sexuell genötigt oder vergewaltigt. Nur fünf bis sieben Prozent der Frauen, so Bücker, zeigten den Täter an. Und nur etwa acht Prozent der angeklagten Männer würden verurteilt. Die krankhafte Lügnerin hingegen, die Männer ins Gefängnis bringt, ist eine absolute Ausnahme.

Die verquere Programmierung schien auch die Gastgeberin zu lähmen, sie wirkte seltsam teilnahmslos, hakte Stichworte und Fälle kurzatmig ab. Dominique Strauss-Kahn, die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, Jörg Kachelmann, schließlich der Hollywood-Produzent Weinstein. Gerne hätte man mehr erfahren über die Macht der Männer, die Scham der Frauen, ihr Schweigen, unsensible Strafbehörden. Alles nur angetippt.

Die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen hält die aktuelle Debatte für aufgeblasen, historisch überwunden. Ihr machen dagegen die vielen Flüchtlingsmänner und deren Frauenbild Sorgen, das offen auszusprechen, wagte sie jedoch nicht. Sie meinte, gegen übergriffige Männer helfe es, ihnen "die Meinung zu geigen". Was für eine Verniedlichung des Problems, so als ob man Männer wie Harvey Weinstein und ihre Machtstrukturen wie einst Miss Marple mit dem Regenschirm erledigen könnte.

Je länger man der Sendung zusah, desto fataler der Eindruck. Da saß ein supernetter Mann, der sich als "Gentleman" sah, Frau Maischberger "Rehaugen" bescheinigte und Dieter Bohlen als problematische Sozialisationsinstanz einstufte und da saßen fünf Frauen (die ehemalige Frauenbeauftragte Anja Keinath, die Journalistin Marlene Lufen, Teresa Bücker, Gisela Friedrichsen und die Gastgeberin) und die Analyse der sexuellen Gewalt, die Kritik der patriarchalischen und paternalistischen Ordnung wurde in homöopathischen Dosen betrieben.

Ist das Medium selbst eine Machtmann-Kiste? Blockieren sich die Frauen als Konkurrentinnen? Gibt es Solidarität unter ihnen? So lange es so missratene Sendungen gibt, sitzt der machtvolle Mann noch lange fest auf seinen unheilvollen Sesseln.

Torsten Körner

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