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Ambivalenter Einsatz. Krankenschwestern waren im Zweiten Weltkrieg einer besonderen Belastung ausgesetzt. Viele verdrängten die Widersprüche zwischen Helfen und Massenmord. Andere hingegen waren begeisterte Anhänger der NS-Ideologie.

© Auschwitz 1944/AFP

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Der Historiker Ludger Tewes zeichnet ein differenziertes Bild von der Rolle der deutschen Rotkreuzschwestern im Zweiten Weltkrieg

Am 15. Juni 1965 stellte die Bundestagsabgeordnete Emmy Diemer-Nicolaus (FDP) einen Antrag zur Untersuchung der Rolle der Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges bei den deutschen Streitkräften eingesetzt waren. Doch der damalige Innenminister Hermann Höcherl (CSU) lehnte eine Untersuchung ab, weil für einen umfassenden Bericht nach seiner Auffassung das Material fehle. Die meisten Akten seien in den Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit zerstört worden, und das Thema könne nicht mehr angemessen durchleuchtet werden.

Seit diesem Antrag im Deutschen Bundestag hat sich am Kenntnisstand nicht mehr viel verändert. Die Rolle der Frau bei der Wehrmacht gehörte auf vielen Feldern zu einem wenig bekannten Thema. Vor diesem Hintergrund setzt die Forschungsarbeit von Ludger Tewes an, der als Privatdozent am Historischen Institut der Universität Potsdam lehrt. Der Historiker publizierte im vergangenen Jahr seine Studie „Rotkreuzschwestern. Ihr Einsatz im mobilen Sanitätsdienst der Wehrmacht 1939–1945“ (Verlag Ferdinand Schoening). Tewes forschte viele Jahre in etwa 30 verstreuten Archiven des Deutschen Roten Kreuzes und im Bundesarchiv. Die Beziehungen zwischen dem Deutschen Roten Kreuz und dem nationalsozialistischen Regime sind mittlerweile bekannt, doch fehlte bislang der Blick auf die Krankenschwestern, die im Lazaretteinsatz hinter den Fronten in ganz Europa standen.

Tewes zeichnet in seiner umfassenden Untersuchung ein sehr differenziertes Bild der Rotkreuzschwestern. Mit der NS-Ideologie und Hitlers Krieg konnten sich viele von ihnen zunächst durchaus identifizieren. Doch zeigt Tewes’ Untersuchung auch, dass vor allem die Zugehörigkeit zur Schwesternschaft und die Pflege der Verwundeten für die Frauen als Anreiz dienten, während der Einsätze ihrer Arbeit diszipliniert und gewissenhaft nachzukommen. Im Verlauf des Krieges hielten sie an ihrer „Treue zur Schwesternschaft“ fest, wie Tewes in seinem Buch schreibt. Der Sinn ihrer Tätigkeit resultierte für sie aus dieser Zugehörigkeit und der Überzeugung von der Notwendigkeit ihrer Arbeit.

Sie pflegten Schwerverwundete, von denen viele verstarben. Die Vorgangsakten und die Interviews von über 120 inzwischen zum großen Teil verstorbenen Schwestern zeigen ihren Weg bis in die Gefangenschaft der Westalliierten und der Roten Armee. An den Fronten arbeiteten die Schwestern ausschließlich mit Männern im Feld, mit Soldaten, Patienten, Ärzten und Sanitätern. Ihre Aufgabe bedeutete eine große menschliche Herausforderung. Sie flickten und pflegten im Akkord die Kranken und Verwundeten, die der Krieg in die Lazarette schwemmte. Die Frauen sahen klaffende blutende Wunden, zerfetzte Körper, Amputationen.

Sie selbst hatten mit den psychischen Folgen ihres Einsatzes, Krankheiten und Infektionen zu kämpfen. Psychologische Begleitung gab es damals nicht, weder für die Patienten noch für ihre Pflegekräfte. Viele Schwestern wuchsen über sich hinaus und meisterten schwere Einsätze im Osten bei hoher psychischer und physischer Belastung.

War der Druck zu groß geworden, zerbrach manche der Schwestern an ihren Aufgaben und musste abgelöst werden. Eine Rotkreuzschwester sollte nach den gesetzlichen Vorgaben zwei Jahre im Ausland Dienst tun, doch die meisten Frauen schafften das nicht. Der dienstliche Einsatzbereich hätte die Ablösung aber auch deshalb erfordert, so Tewes, weil viele Schwestern im Feldeinsatz noch nicht fertig ausgebildet gewesen seien. Es gab in Deutschland zu wenige Rotkreuzschwestern, denn der Personalmangel in den Reihen der männlichen Sanitäter war hoch – und Frauen erfüllten ihre Aufgaben. Diese Mängel durch Professionalität und Disziplin auszugleichen, empfanden die Frauen als ihre Pflicht, schreibt Tewes in seinem Buch.

Die Ideale des Internationalen Roten Kreuzes in Genf vertrugen sich freilich nicht mit dem Einsatz des Deutschen Roten Kreuzes unter dem Hakenkreuz, wo rassenideologische Ideale vertreten wurden und der Vernichtungskrieg und der Holocaust unfassbar viele Opfer forderten. Jüdisches Pflegepersonal wurde 1941 aus deutschen Lazaretten in der Sowjetunion ausgesondert und getötet. Das haben auch viele Schwestern des Roten Kreuzes gewusst. Nicht wenige von ihnen waren begeisterte Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie. Andere standen innerlich abseits zum NS-System, was sie aber kaum öffentlich äußern konnten.

Doch letztlich verdrängten viele die Widersprüche, angesichts des Elends ihrer Soldaten. „Für ihre Einsätze suchten sich die Schwestern und Ärzte eine Leitmotivation und hielten an ihrem Selbstbild als Helfer fest, der Rest wurde verdrängt“, sagt Ludger Tewes. Humanität helfe, wo sie benötigt wird. Doch in diesem Fall sei der Krieg durch die Rettung und den erneuten Einsatz der Soldaten sicher verlängert worden, so Tewes.

Sarah Stoffers

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